Hamburg. Sie ist keinem Karriereklischee gefolgt, sondern der Freude. Zweifache Mutter zu sein zählt für sie auch dazu.

Ist sie ein Zahlenmensch? Die Frage ist kaum gestellt, da fängt Petra Scharner-Wolff an zu lachen. Es ist ein freundliches Lachen. Eins, das ein Gespräch öffnet. Hätte man so nicht erwartet. Immerhin ist die Frau auf der anderen Seite des Tisches oberste Finanzchefin der Hamburger Otto Group mit einem Umsatz von 13 Milliarden Euro, fast 52.000 Mitarbeitern und zig Millionen Kunden in mehr als 120 Firmen.

„Na ja“, sagt sie, „ganz ohne Zahlen kann man den Konzernbereich nicht leiten. Aber das, was ich vor allem den ganzen Tag mache, ist reden.“ Außerdem zuhören, hinterfragen, diskutieren. Es steckt wohl ein bisschen hanseatisches Understatement hinter dieser Antwort, aber – das ist damit klar – diese Frau entspricht nicht dem Bild unnahbarer Machtdemonstration, das man sich gemeinhin vom Spitzenpersonal internationaler Unternehmen macht. Sie wirkt sogar ausgesprochen geerdet und kommt ziemlich direkt auf den Punkt.

Gerade mal Platz für einen Tisch

Das fing schon bei der Begrüßung an. Schwungvoll war Petra Scharner-Wolff in den Flur vor dem Trakt des Otto-Komplexes in Bramfeld getreten, in dem sie ihren Arbeitsplatz in Rufweite zu dem von Vorstandschef Alexander Birken hat. Geblümtes Kleid, dunkler Blazer. Die Haare zum Knoten zusammengefasst, die Brille randlos. Alles eher unprätentiös, der Händedruck dafür ausgesprochen kräftig.

Im Büro der Topmanagerin ist gerade mal Platz für einen Tisch. Auf einer Ecke steht ein Laptop, an der anderen Seite finden Besprechungen statt. Teure Kunst an den Wänden, sorgfältig arrangiere Blumen, Familienfotos – Fehlanzeige. An einem Schrank kleben gelbe Zettel, Erinnerungen an Termine und Aufgaben in direkter Sichtachse. Das Büro ist eine Übergangslösung, solange die eigentliche Vorstandsetage renoviert wird, hatte eine Sprecherin vorher erklärt. Mag sein, aber man würde sich nicht wundern, wenn der Arbeitsplatz der Otto-Finanzchefin auch danach nicht viel anders aussieht.

Bei Otto wird geduzt

„Ich brauche jetzt dringend einen Kaffee“, hatte Petra Scharner-Wolff noch schnell einer Mitarbeiterin zugerufen, bevor sie sich auf einen der Bürostühle setzte. Bei Otto wird geduzt. Das ist Teil des selbst verordneten Kulturwandels in dem traditionsreichen Familienunternehmen. Die Idee hatte für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, in Teilen der ehrbaren Hamburger Kaufmannschaft auch für Unverständnis. „Schwergefallen ist mir das nicht“, sagt die Finanzchefin, die vor drei Jahren in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ins Amt berufen worden war. Eine Troubleshooterin für den notwendigen Konzernumbau mit viel Erfahrung mit Finanzen und einem Wertekanon, der auf Respekt und Wertschätzung aufbaut.

3 Fragen

Überrascht habe sie, welche Kraft das selbstverständliche Du entwickelt habe, sagt die Vorstandsfrau, die auch für den Personalbereich verantwortlich ist. „Die Kommunikation ist direkter. Es wirkt wie eine natürliche Ermutigung, eigene Positionen zu vertreten.“ Dass ihr das gefällt, dass sie es als notwendig für die Zukunftsfähigkeit der Gruppe erachtet, muss sie gar nicht explizit erklären. Sogar Firmenchef Michael Otto hat sich angeschlossen, auf seine Art. „Im Vorstand sprechen wir ihn mit Michael an, aber weiterhin mit Sie“, sagt Petra Scharner-Wolff. Das Gleiche gilt umgekehrt auch.

Ihr Tag beginnt früh

Aber jetzt erst mal einen Schluck Kaffee. Petra Scharner-Wolff spricht nicht nur schnell, sie denkt auch schnell. Ihr Tag beginnt früh, meistens vor sechs Uhr. „Bei uns zu Hause bin ich für das Morgenprogramm zuständig“, sagt die 47-Jährige, die mit ihrer Familie im Hamburger Norden lebt. Der ganz normale Mütteralltag: Kinder wecken, Frühstück machen, zur Schule schicken. Der Nachwuchs ist zwölf und elf Jahre alt. Die Namen der beiden dürfen nicht in der Zeitung stehen. Ihr Leben solle so normal wie möglich verlaufen, sagt die Mutter.

Wenn die Kinder aus dem Haus sind, fährt sie ins Büro – und schaltet auf Berufsalltag um. Öfter wird es spät. Abends ist ihr Mann, Steuerberater mit eigener Praxis, dran. Außerdem gibt es eine Kinderfrau im Haushalt.

„Man muss mutig sein und selbstbewusst“

„Wir waren uns immer einig über das Grundkonzept des Lebens“, sagt Petra Scharner-Wolff über ihre Ehe. Und darüber, dass Arbeit und Familie für beide Partner ganz selbstverständlich dazugehören. Bei der Geburt ihrer Tochter war sie als Direktorin für das Controlling aller Otto-Konzernfirmen weltweit verantwortlich. Im Jahr darauf, ihr Sohn war gerade geboren, zog die Familie nach Hanau, weil Petra Scharner-Wolff in die Geschäftsführung des Modeversands Schwab berufen worden war. Seit 2012 sind sie wieder in Hamburg.

„Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wem ich Teile der Erziehung meiner Kinder übertragen kann“, sagt die Managerin, deren Karriereweg immer nach oben ging. Dabei hat sie auch gelernt, dass man dafür nicht nur im Job, sondern auch in der Familienarbeit bereit sein muss, zu delegieren. Viele Frauen scheuten sich davor. „Man muss mutig sein und selbstbewusst.“ Verbündete seien gut, und Frustrationstoleranz. „Es ist machbar, erfolgreich zu sein, wenn man will.“

Erster Berufswunsch war Bundeskanzlerin

Auch wenn sich das unkompliziert und selbstverständlich anhört, eine Frau und Mutter auf einem Vorstandsposten ist – immer noch – etwas Besonderes. Das weiß Petra Scharner-Wolff. „Ich versuche, es zu entmystifizieren.“ Immer noch seien viele Rollen männlich besetzt. „Situationen, in denen das ausgeglichen ist, müssen mehr in die Öffentlichkeit“, sagt sie und sieht sich auch in einer Vorbildfunktion. Nicht auf der großen Bühne der Eitelkeiten. Scharner-Wolff sitzt nicht in Talkshows, sie postet keine Lebensweisheiten ins virtuelle Orbit, ihr Facebook-Account ist lange nicht genutzt worden.

Sie spricht auf Konferenzen, sitzt in Fachgruppen und hält direkten Kontakt zu Nachwuchskräften. Stetig und beharrlich. Das hat etwas fast Altmodisches in aufgeregten Zeiten. Scharner-Wolff ist ziemlich erfolgreich damit. Bei der letzten Bilanzpressekonferenz präsentierte sie zusammen mit Otto-Group-Chef Birken die – positiven – Unternehmenszahlen. Und hatte auf jede Frage eine souveräne Antwort.

„Erst wollte ich Mathematik studieren“

Das klingt alles fast so, als hätte sie einen Masterplan für ihre Karriere gehabt. Die Otto-Managerin schüttelt den Kopf. „Mein erster Berufswunsch war Bundeskanzlerin“, sagt sie mit Augenzwinkern. „Ich bin froh, dass es nichts geworden ist.“ Dass sie nach dem Abitur in der niedersächsischen Kleinstadt Hann. Münden Betriebswirtschaftslehre als Studienfach gewählt habe, sei eine rationale Entscheidung gewesen. „Erst wollte ich Mathematik studieren“, sagt die Tochter eines Betriebswirts mit Vorliebe für analytische Fragestellungen. „Aber ich wollte auch etwas, das mir ein breites berufliches Spektrum ermöglicht.“ Also BWL in Göttingen.

Aber schon in den ersten Vorlesungen, mit 1000 Studenten und Frontalunterricht im Hörsaal, merkte sie, dass ihr etwas fehlt. Ganz bewusst entschied sie sich für Politik und Psychologie als Nebenfächer, belegte Seminare in Gesprächstherapie und stieg in eine Forschungsgruppe ein, die sich mit neuronalen Netzen und Mustererkennung beschäftigte. „Das hatte größeren Einfluss auf meine berufliche Laufbahn als alles, was ich in BWL gelernt habe“, sagt sie.

Meetings, Verhandlungen, Entscheidungen

Inzwischen ist Scharner-Wolff seit fast 20 Jahren in unterschiedlichen Positionen bei Otto. Für jemanden in einer Spitzenposition eine lange Zeit. „Wenn man überzeugt ist, dass es das richtige Leben ist, sollte man nicht der Karrierelinie folgen, sondern der Freude an der Arbeit.“ Um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist sie pragmatischer geworden, sagt die Topmanagerin, der ein Abendbrot auf der heimischen Terrasse lieber ist als ein Essen im Nobelrestaurant.

Mit den Kindern ist sie über den Familienchat laufend in Kontakt, „Mama irgendwo“ heißt er. Denn natürlich ist ihr Terminkalender prallvoll. Meetings, Verhandlungen, Entscheidungen. Und klar ist auch, dass sie nicht erfolgreich in ihrem Job wäre, wenn nicht auch Klarheit und Härte zu ihren Eigenschaften gehören würden. Der Blick für den Erfolg des Unternehmens. Und der misst sich auch in Zahlen. „Aber es geht nicht um Gewinnmaximierung, sondern darum, stärker unternehmerisch aktiv zu sein“, sagt die Otto-Finanzchefin.

Dann ist das Gespräch fast zu Ende. Eine letzte Frage muss jetzt noch gestellt werden. Findet sie Otto so gut, dass sie selbst auch dort kauft? Petra Scharner-Wolff lacht. „Ja“, sagt sie, „aber nicht nur.“ Erst hinterher fühlt man sich ertappt: Hätte man das einen Mann auch gefragt?