Hamburg. Hamburg scheitert mit seiner Klage gegen den Zensus vor dem Bundesverfassungsgericht. Stadt entgehen Hunderte Millionen Euro
Dieses Urteil ist eine teure Schlappe für Hamburg: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Mittwoch eine Klage der Bundesländer Berlin und Hamburg gegen den Zensus 2011 zurückgewiesen. Die Richter kamen zu dem Urteil, dass die aktuellen Einwohnerzahlen der Städte und Gemeinden mit verfassungsgemäßen Methoden bestimmt worden seien. Den beiden Stadtstaaten entgehen dadurch Hunderte Millionen Euro an Steuereinnahmen – pro Jahr.
Infolge des Zensus war die Einwohnerzahl Hamburgs von knapp 1,79 Millionen um 82.800 auf nur noch 1,706 Millionen Menschen korrigiert worden. Wie das Statistikamt Nord ebenfalls am Mittwoch mitteilte, ist sie zwar mittlerweile wieder auf 1,83 Millionen angestiegen (siehe unten). Ohne Zensus würde sie aber bereits bei 1,91 Millionen liegen – was der Zahl der in Hamburg gemeldeten Personen deutlich näherkommt als die amtliche Statistik.
Tatsächlich geht es bei dem Streit aber nicht um Köpfe, sondern um Geld: Da die Einwohnerzahl die maßgebliche Grundlage für die Verteilung der Steuereinnahmen auf Bund, Länder und Kommunen ist und auch den Finanzausgleich beeinflusst, belastet der Zensus Hamburg nach Berechnungen der Finanzbehörde mit gut 100 Millionen Euro pro Jahr. Seit 2011 seien der Stadt auf diese Weise bereits mehr als 600 Millionen Euro entgangen. Immerhin: Da die Stadt ihre Haushaltsplanung schon seit Jahren auf Basis der Zensus-Ergebnisse aufstellt, ändert sich durch das Urteil zunächst nichts, Spaßmaßnahmen sind nicht geplant. Weiterer Nebeneffekt des Zensus: Infolge der niedrigeren Bevölkerungszahl stand Hamburg bei der Bundestagswahl 2017 ein Bundestagsmandat weniger zu: zwölf statt bislang 13. Nur durch Überhang- und Ausgleichsmandate stieg die Zahl der Abgeordneten aus der Hansestadt dann aber auf 16.
Bürgermeister Peter Tschentscher, der in seiner Zeit als Finanzsenator 2015 die Zensus-Klage forciert hatte, und sein Nachfolger Andreas Dressel (beide SPD) hatten also aus mehreren Gründen auf ein positives Urteil gehofft. „Wir bedauern, dass das Bundesverfassungsgericht unserer Argumentation im Ergebnis nicht gefolgt ist, respektieren aber selbstverständlich diese Entscheidung“, sagte Dressel, der in Karlsruhe vor Ort war. „Die Ergebnisse des Zensus 2011 hatten und haben weiterhin erhebliche nachteilige finanzielle Folgen für Hamburg.“ Der Gang nach Karlsruhe sei daher richtig gewesen, zumal Hamburg und Berlin die Interessen vieler anderer Städte und Gemeinden mit vertreten hätten, so Dressel.
Geklagt hatten die beiden Länder nicht gegen das Zensus-Ergebnis und seine Folgen, sondern gegen die Methoden: Erstmals war nämlich nicht die gesamte Bevölkerung gezählt und befragt worden, sondern nur zehn Prozent. Mithilfe von Daten aus Registern und diversen Korrekturverfahren wurden diese Ergebnisse dann auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Dabei kam heraus, dass in Deutschland 1,5 Millionen weniger Menschen leben als angenommen. Vor allem die Einwohnerzahlen vieler großer Städte wurden nach unten korrigiert. Berlin schrumpfte um rund 180.000 Einwohner und verliert dadurch 470 bis 490 Millionen Euro im Jahr.
Zum Teil fragwürdige Ergebnisse hatte der Zensus aber bundesweit hervorgebracht, wie das Abendblatt 2013 in einem großen Dossier aufgedeckt hatte: So gab es im schleswig-holsteinischen Schwarzenbek angeblich kein Haus mit mehr als 110 Bewohnern, obwohl Mitarbeiter der Stadt in einem Hochhaus 137 Bürger gezählt haben. Oder Flensburg: Die Stadt hatte aus schriftlichen Rückmeldungen von Eltern ermittelt, dass dort 2229 Kinder unter drei Jahren leben – laut Zensus sollten es aber nur 1970 gewesen sein.
Die Verfassungsrichter beeindruckte das jedoch nicht. Der registergestützte Zensus sei nicht zu beanstanden, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Auch andere Staaten setzten auf diese Methode. Sie verursache weniger Kosten und sei auch „grundrechtsschonender“, weil nur noch ein kleiner Teil der Bürger Daten preisgeben müsse. Die Richter wiesen zudem darauf hin, dass die Länder in die Konzeption und Umsetzung der Volkszählung über ihre Statistikbehörden eng mit eingebunden waren. Sie hätten „ausreichende Kontroll- und Mitwirkungsmöglichkeiten“ gehabt. Einen Funken Hoffnung gibt es für Hamburg aber noch: Denn die Verfassungsrichter verpflichten den Gesetzgeber, aufgetretene Mängel bei künftigen Volkszählungen zu beheben. Der Zensus findet alle zehn Jahre statt, das nächste Mal also 2021. „Der Gang nach Karlsruhe war deshalb nicht umsonst“, sagte Finanzsenator Dressel.
Opposition spricht von „Ohrfeige für den Senat“
„Eine schwere Niederlage für Bürgermeister Tschentscher“, sah CDU-Fraktionschef André Trepoll in dem Karlsruher Urteil. „Er wird nun erklären müssen, warum er mit seiner Klage so krachend gescheitert ist und welche Nachteile auf Hamburg zukommen.“ Klar sei: Hamburg wachse stärker als alle anderen Bundesländer, aber die Bevölkerungsentwicklung schlage sich nicht entsprechend nieder. „Auch das behördliche Meldewesen in Hamburg muss besser organisiert werden“, so Trepoll. „Wenn alle wissen, dass sich tatsächlich mehr Menschen dauerhaft in unserer Stadt aufhalten als gemeldet sind, führt das zu unzumutbaren Verzerrungen, die viel Geld kosten.“
Auch Jennyfer Dutschke (FDP) sah in dem Urteil „eine Ohrfeige für den rot-grünen Senat“. Dieser müsse jetzt kritisch prüfen, wie viele Einwohner Hamburg tatsächlich hat und zudem „umso mehr Haushaltsdisziplin wahren, da sich die Hoffnungen auf einen zusätzlichen warmen Geldsegen zerschlagen haben“.