Hamburg. Radwegetest, Teil 3: Von perfekt bis katastrophal: Auf der Veloroute 2 ist noch vieles Stückwerk. Aber die Planungen laufen.
Achtung, ein Touristenbus! Jetzt schnell weg, gen Westen, dem Wind entgegen, dem Trubel davon. Und die ersten 250 Meter sind ja auch ein Traum. Am Rathaus rollt der Testpulk ruckelfrei und mit einem Tempo-25-Schild vor Augen paradiesisch an. Am Großen Burstah muss der Begriff Veloroute erfunden worden sein. Auch Bernd Reipschläger, Tester des Fahrrad-Clubs ADFC, ist zufrieden. Zumindest, bis die Veloroute 2 in Baustellen versinkt.
Graskeller, Stadthausbrücke, Kaiser-Wilhelm-Straße – überall wird gebuddelt, gebaggert, geteert, sind Straßen gesperrt oder nur einseitig zu befahren. Ausgeschilderte Umleitungen für Radfahrer? Gibt es nicht. „Wollen wir fahren oder uns an die Verkehrsregeln halten?“, fragt Reipschläger. Öhm, regelkonform? „Dann schieben wir.“
Extreme zwischen Eimsbüttel und Eidelstedt
Die Veloroute 2 aus der City über das Schanzenviertel durch Eimsbüttel bis nach Eidelstedt hält gleich auf den ersten Metern beide Extreme bereit: bestens ausgebaut. Und: katastrophale Verkehrsführung. Hamburgs ADFC-Vize Dirk Lau, der die Tour am Anfang begleitet, treiben die Baustellen kleine Zornesfalten ins Gesicht. „Ich war erst vor ein paar Tagen in Kopenhagen. Da gibt es große Umleitungsschilder und Ausweichstrecken für Radfahrer. In Hamburg wird der Radverkehr dagegen an Baustellen oft vergessen – oder verboten“. Dem Anspruch einer Fahrradstadt genügt das noch nicht.
Andererseits, so der ADFC, sei das Konzept aus 14 zusammenhängenden Hamburger Velorouten ein großer, guter, aber auch ambitionierter Schritt. Da noch zwei Jahre Zeit zum Ausbau bleiben, wolle man mit dem Zustand nicht allzu hart ins Gericht gehen. Der Test, sagt Lau, tauge als Bestandsaufnahme.
Amtlich festgestellter "Handlungsbedarf"
Elf Kilometer lang ist die Strecke. Im Innenstadtbereich ist die Routenführung, die ein zügiges Vorankommen fernab des Autoverkehrs ermöglichen soll, bestenfalls zu erahnen. Weiter draußen werde es besser, sagt Reipschläger, Sprecher der Eimsbütteler ADFC-Gruppe. „Etwa ein Drittel der Strecke würde ich als zufriedenstellend ausgebaut bezeichnen.“ Offiziell fertig sind aber erst Feldstraße, Spannskamp, Furtweg, eine Minipassage im Sola-Bona-Park und eine Minikreuzung an der Sillemstraße. Dafür herrscht auf mehr als der Hälfte der Strecke amtlich festgestellter „Handlungsbedarf“.
Erste Herausforderung (außer den Baustellen) ist schon der Johannes-Brahms-Platz vor der Laeiszhalle. Auf der Kaiser-Wilhelm-Straße fehlen Radstreifen, stadteinwärts enden sie auf der Fahrbahn. „Hier weiß kein Radfahrer, wie er auf der Veloroute bleiben soll.“ Die Führung zum Sievekingplatz ist im Grunde nicht vorhanden. Die ADFC-Tester reihen sich in den bedrohlich wirkenden Autoverkehr ein. Erst die Radspur auf dem Sievekingplatz (wenn man sie findet) trifft den ADFC-Geschmack: Radfahrer und Busse teilen sich eine Spur. „Eine gute, komfortable, breite Lösung, Bus und Rad haben hier genügend Platz“, sagt Dirk Lau.
Radstreifen auf der Feldstraße ist zu schmal
Der Radfahrstreifen auf dem fertigen Abschnitt der Feldstraße stadtauswärts ist laut ADFC zu schmal, ein Überholen von Radfahrern untereinander kaum möglich. Im Gegensatz dazu ist der Fahrrad-Club mit der Feldstraße stadteinwärts zufrieden, wie bereits in Teil 2 dieser Serie berichtet. Rechts lauern stadtauswärts zudem aufgehende Autotüren von geparkten Fahrzeugen (Dooring), links überholen die Autofahrer knapp. ADFC-Urteil: halbherzig, aber besser als gar nichts. Das Abbiegen in den Mischverkehr der Sternstraße (kein eigener Radweg) will gelernt sein. Die Schilder der Velorouten sind klein. Über die Lagerstraße (kein Radweg) geht es bald über einen Kreisel auf die Schanzenstraße – heute noch Baustelle. „Aber Kreisel sind gute Lösungen“, sagt Reipschläger.
Schanzenstraße und Weidenallee werden (auch radgerecht) umgebaut. „Wenn alles fertig ist, haben sie Schutzstreifen auf der Fahrbahn mit eigenen Abbiegespuren für Radfahrer.“ Gelungen seien die Kreuzungslösungen, die Schutzstreifen selbst zu schmal. Tempo 30 an der Weidenallee wäre perfekt.
Nach der Baustelle kommt das Kopfsteinpflaster
Spannend werde es künftig an der Christuskirche. Radfahrer werden dort auf einem eigenen Fahrbahnstreifen über die stark befahrene Kreuzung in den Weidenstieg geführt. „Ich kann Leute verstehen, die das heikel finden. Aber die Spur ist eindeutig, aus meiner Sicht gut“, so der ADFC-Experte. Nach seiner Fertigstellung sei er für viele Radler besser als vorher.
Im Gegensatz dazu warten an der Passage Weidenstieg und Tornquiststraße nicht nur die nächste Baustelle, sondern auch Kopfsteinpflaster und eine kurvige, fast komplizierte Führung. Schnelles Dahingleiten? Bleibt hier vorerst ein Traum. Anwohner am Weidenstieg wollen ihr Pflaster behalten, es wird jetzt wohl für die glatte Veloroute zur Fahrbahn hin geschnitten, am 17. September ist Baustart. An der Tornquiststraße ist die Lage noch unklar.
300 Meter ist es breit genug
Die Übergänge am Eppendorfer Weg und Doormannsweg mit Bedarfsampeln sind Zumutungen. Anfang 2019 soll alles besser werden. Besser ist es schon hinter der Grundschule Tornquiststraßee: der erste eigene Radweg. Breit genug für Gegenverkehr, keine Gefahr durch Fußgänger, immerhin 300 Meter lang. ADFC-Tester Reipschläger rutscht glatt ein „geil“ heraus.
An der Sillemstraße mischen sich wieder Rad- und Autoverkehr, bis zum Langenfelder Damm ist das zu verkraften. „Aber wenn Autofahrer hier abends einen Parkplatz suchen (und den suchen sie oft), wird’s eng.“ Einmündungen der kreuzenden Straßen wurden für den Radverkehr angepasst, ein Schild weist auf die umgebaute Veloroute hin, und jetzt wird kurz deutlich, was die Route auch ausmacht: Keine Ampel stört den Fluss. Für Radfahrer ideal. „Gerade bei den Kreuzungen würde ich mir aber noch mehr Einsehbarkeit wünschen“, sagt der ADFC-Experte.
Problem Basselweg – zu schmal und noch keinen Plan
Am Langenfelder Damm fehlen dann wieder jegliche Führung und Radspur, bis zur Högenstraße eine gefährliche Passage. Dort müssen Radfahrer wieder auf das gleichberechtigte Miteinander von Autos und Radfahrern hoffen. Ausgeschildert ist das aber nicht.
Dafür wird es am Stellinger Wasserturm fast schon idyllisch: Die Veloroute führt durch eine Kleingartenkolonie. „Hier lauern allerdings Konflikte mit Fußgängern“, sagt Reipschläger, bevor er auf den Spannskamp einbiegt. Ein kurzes, fertig ausgebautes, noch verkehrsberuhigtes Stück Veloroute. Dieses Vergnügen hört am Basselweg abrupt auf. Radfahrer haben hier die Wahl zwischen Fußweg oder Todesmut auf der Fahrbahn – eine Infrastruktur für Radler fehlt komplett. Abgesehen von 20 Metern Schutzstreifen an der Kreuzung zum Sportplatzring.
Gefährlich, schmal, nicht ohne Weiteres zu ändern – der Basselweg ist das vielleicht größte Problem auf dieser Veloroute. Überholt wird im Zentimeterbereich. Am Wördemannsweg gibt es immerhin altertümliche Hochborde – Radfahrer teilen sich mit Fußgängern den Weg. Richtig eng wird es an der Behelfsbrücke über die A 7, zumal jeglicher Hinweis auf das heftige Abknicken der Veloroute in den Olloweg fehlt. „Das ist richtig schlecht“, sagt Reipschläger. Vor allem in die Gegenrichtung.
Veloroute 2 endet im Nirgendwo der Elbaustraße
Der Olloweg als Wohnstraße ist durchaus angenehm zu befahren, eine Führung für Radler fehlt jedoch. Erst am Sola-Bona-Park, einem 200 Meter langen Teilstück, rühmt sich die Stadt wieder per Schild mit dem ausgebauten Veloroutenabschnitt, bevor es an die vierspurige Kieler Straße geht und nur Kenner wissen, wo die Strecke weiterführt. Nämlich: über die Ampel (an der ein winziges Schild klebt) in die Reichsbahnstraße (ohne Radspur) und dann in die Wohnstraße Furtweg (ohne Radspur) als Finale der Tour.
Warum die Veloroute 2 nicht am Ziel der meisten Radfahrer (am Eidelstedter Platz) endet, sondern im Nirgendwo der Elbgaustraße, versteht auch Reipschläger nicht. „Aber insgesamt fahre ich die Strecke durchaus häufig und finde sie größtenteils gelungen, vor allem wegen der wenigen Ampelkreuzungen.“ Er werte es schon als Erfolg, dass die Stadt ein Gesamtkonzept über „100 Meter Radweg“ hinaus verfolge. Fazit: Eine intuitive Streckenführung und mehr Entschlossenheit beim Ausbau wären trotzdem wünschenswert.
Elf Kilometer – das Urteil des ADFC
Ausbauzustand: Es wurde schon viel geplant, die Umsetzung läuft. Richtig fertig sind aber erst zehn Prozent.
Sicherheit: Überwiegend sicher. An Lagerstraße, Feldstraße, Stadthausbrücke, Kaiser-Wilhelm-Straße, Johannes-Brahms-Platz, Spannskamp, Basselweg, Olloweg, Wördemannsweg muss die Sicherheit verbessert werden. Nicht optimal: Reichsbahnstraße, Furtweg, Langenfelder Damm und Sillemstraße.
Fahrbahnqualität: In Weidenstieg, Tornquiststraße und Sillemstraße bisher für Radfahrer ungeeigneter Belag (Kopfsteinpflaster). Ansonsten Asphalt in „Autofahrerqualität“, also sehr gut. Wenig Betonpflaster.
Respekt: Wird sich zeigen. Verhalten der Autofahrer bisher an Basselweg, Wördemannsweg und Schanzenstraße eher schlecht wegen ungenügenden Überholabstands.
Radstreifen/Schutzstreifen: Bei bestimmten Verkehrsmengen unbedingt nötig (und teils vorhanden), oft aber laut ADFC zu eng. An vielen Stellen Hochbordradwege, die bei einer Planungsgeschwindigkeit von Tempo 30 zu Konflikten mit Fußgängern sowie an Ein- und Ausfahrten mit Autos führen.
Beschilderung:
Fast durchgängig, aber zu klein. Intuitive Streckenführung noch nicht erkennbar. Farbliche Markierung der Veloroute auf dem Asphalt wäre sinnvoll. Richtungsschilder für Stadtteile und bestimmte Orte sowie Veloroutennummer sind sinnvoll und vorhanden.
Drei Tops:
1. Olloweg (Teilstück Sola-Bona-Park mit glattem Asphalt ohne Autos). 2. Kaiser-Wilhelm-Straße mit Schwung Richtung Rathaus. 3. Kreuzung Fruchtallee – in einem Schwung über die Kreuzung Richtung Norden
Drei Flops:
1. Kopfsteinpflaster in Weidenstieg, Tornquiststraße und Sillemstraße. 2. Basselweg, der wohl keine Möglichkeit für eine veloroutengerechte Planung hat, wenn der Autoverkehr nicht eingeschränkt wird. 3. Anforderungsampeln an Schulweg und Kieler Straße.
Am Mittwoch: Die Veloroute 3 im Test – von der City nach Niendorf