Hamburg. Wahl der Harburger Bezirksamtsleiterin entfacht Debatte. Wahlen zur Bezirksversammlung im Frühjahr als Test für neuen Bürgermeister.

Mag ja sein, dass es Tage gibt, an denen die Maloche nervt. Aber Nichtstun macht auch nicht glücklich. Das hat zuletzt auch Sophie Fredenhagen gemerkt. Fast drei Monate musste sie sich das politische Gezerre und Gewürge um ihre Kandidatur für die Leitung des Bezirksamts Harburg ansehen, ohne viel tun zu können. Das sei eine belastende Zeit gewesen, sagte die 53-Jährige am Montagabend, nachdem die Bezirksversammlung sie mit hauchdünner Mehrheit zur Nachfolgerin des verstorbenen Thomas Völsch gewählt hatte. Nun könne sie endlich „jeden Morgen ins Büro gehen, die Ärmel aufkrempeln und arbeiten“, so die Ex-Chefin des Harburger Jugendamts.

Die hoch umstrittene Harburger Entscheidung hat aber nicht nur Auswirkungen auf das Lebensgefühl der Gewählten. Sie wirft ihren Schatten bis aufs Hamburger Rathaus. Denn die Personalie führte nicht nur zum Bruch der Großen Koalition in Harburg. Um sie durchzusetzen, wurde auch erstmals ein rot-rot-grünes Bündnis geschmiedet. Zwar haben SPD, Grüne und Linke acht Monate vor den Neuwahlen zu den Bezirksversammlungen keine Koalition mehr gebildet. Allerdings beschränkt sich die Zusammenarbeit nicht allein auf die Wahl Fredenhagens. Vielmehr vereinbarten die drei Partner auch eine Kooperation in zahlreichen Sachfragen, etwa beim Wohnungsbau oder der Einrichtung von Kitas.

Lockere Kooperation auf Bezirksebene

„Der Zusammenschluss zwischen Rot-Rot-Grün in Harburg hat im ersten Aufschlag eine hohe thematische Übereinstimmung gezeigt“, betont die Grünen-Fraktionschefin Britta Herrmann. „Ob das ein Modell für andere Bezirke oder die Landesebene sein könnte, muss sich zeigen. Ich plädiere angesichts der sich immer schneller ändernden politischen Kräfteverhältnisse dafür, auch Neues auszuprobieren – und im Falle eines Falles auch auf Landesebene nicht unbedingt mit Dreier- oder gar Viererkoalitionen zu arbeiten, sondern mit wechselnden Mehrheiten.“

Auch Linken-Fraktionschef Jörn Lohmann könnte sich vorstellen, dass das Modell Schule macht. „Ich denke, wir könnten mit dieser Kooperation auch ein Modell für andere Bezirke werden“, so Lohmann. Ob es etwa nach der Bürgerschaftswahl 2020 auch für die Landesebene tauge, müsse auf Landesebene diskutiert werden.

Die CDU ist bereits alarmiert

Nun kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, eine lockere Kooperation auf Bezirksebene habe mit der Landespolitik nichts zu tun. Allerdings hat sich schon gelegentlich gezeigt, dass neue politische Konstellationen zuerst in Bezirken ausprobiert wurden – bevor man sie dann auch im Hamburger Rathaus schmiedete. So war es etwa mit Schwarz-Grün, das 2004 zunächst im Bezirk Altona getestet wurde – bevor CDU-Bürgermeister Ole von Beust 2008 die bundesweit erste Koalition auf Landesebene mit den Grünen einging. Wäre die erste rot-rot-grüne Kooperation auf Bezirksebene also eine Variante für das Rathaus – falls es bei der Bürgerschaftswahl Anfang 2020 nicht mehr für Rot-Grün reichen sollte?

Darüber möchte man auf Landesebene derzeit bei den beteiligten Parteien nur ungern spekulieren. Knallharte Absagen an das gelegentlich auch als R2G abgekürzte Bündnis zwischen SPD, Linken und Grünen gibt es aber auch nicht. „Die Frage nach Rot-Rot-Grün stellt sich uns derzeit nicht“, sagt etwa die SPD-Landesvorsitzende Melanie Leonhard. „In Harburg wurde sich auf das Modell mit wechselnden Mehrheiten geeinigt.“ Hamburgs Grünen-Chefin Anna Gallina findet, dass „die pragmatische Einigung in Harburg zeigt, dass die Zeiten der traditionellen Bündnisse vorbei sind und es mehr auf die Inhalte ankommt als auf die Parteizugehörigkeit“. Gleichwohl glaube sie nicht, „dass wechselnde Mehrheiten oder Rot-Rot-Grün modellhaft für Hamburg sind“.

Wie zufrieden sind die Hamburger mit Tschentscher?

Die CDU ist angesichts der Harburger Entwicklung bereits alarmiert. Ein rot-rot-grünes Landesbündnis „wäre fatal für Hamburg“, sagt ihr Landeschef Roland Heintze. „Dennoch besteht das reale Risiko, dass eine geschwächte SPD ein solches Bündnis eingeht.“

Neben der Debatte über neue Kon­stellationen rücken die Harburger Ereignisse auch die Bezirksversammlungswahlen im Mai in den Blick. Diese können zusammen mit den zeitgleich abgehaltenen Europawahlen getrost als Test für die Bürgerschaftswahl im Fe­bruar 2020 angesehen werden. Dabei dürfte sich nicht nur zeigen, wie zufrieden die Hamburger mit Bürgermeister Peter Tschentscher sind. Es geht auch darum, wie viel Kraft die Parteien auf die Straße bringen und in welcher Verfassung sie sich ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl präsentieren.

Die CDU setzt neuerdings auf Frauen an der Spitze

Die Hamburger CDU etwa will nach den Querelen um die fast rein männlichen Bundestagskandidaturen 2017 endlich den Geruch einer Partei der verschworenen Männerbünde loswerden. Nach der Auswahl von Aygül Özkan als Spitzenkandidatin sollen auch bei den Bezirkswahlen Frauen weit nach vorne rücken. In Eimsbüttel etwa gilt die stellvertretende Bezirksversammlungs-Vorsitzende Jutta Höflich als gesetzt für Platz eins der Liste. Und im größten Kreisverband Wandsbek soll an diesem Wochenende mit Franziska Hoppermann die Chefin der Frauen Union für den Spitzenplatz nominiert werden.

In der SPD quält sich derweil mancher eher mit gemischtgeschlechtlichen Bünden. Seit Anja Domres im Frühjahr als Nachfolgerin von Peter Tschen­tscher SPD-Kreischefin in Nord wurde, steht die Verfassungsschutzvizechefin unter Beobachtung. Ihr Mann Thomas ist nämlich Chef der SPD-Bezirksfraktion in Nord, und mancher Genosse fürchtet, dass das Eppendorfer Ehepaar nun beim Frühstück zu Schrippen Strippen zieht und sich Mandate zuschanzt. Dass Frau Domres über die politische Karriere ihres Mannes mit entscheidet, hat für manche Genossen mindestens das berühmte Geschmäckle. Die beiden Domres ficht das nicht an. Sie wollen Mann Thomas offenbar ungerührt weit oben auf die Bezirksliste setzen. „In den letzten Jahren“ hätten „die Vorsitzende der Bezirksversammlung und der Fraktionsvorsitzende“ schließlich auch im Wahlkreis und auf der Liste kandidiert, sagt Anja Domres. „Diese beiden ersten Plätze werden auf Vorschlag des Kreisvorstands gewählt.“ Dass der praktischerweise von ihr selbst geführt wird, muss dabei ja kein Schaden sein.

So oder so: Die kommenden Monate der Nominierungen und des Wahlkampfs werden wohl nicht nur die politischen Kräfteverhältnisse in Hamburg sichtbar machen. Sie dürften auch einiges über den Stil von Kandidaten und Parteien offenbaren – mit Auswirkungen auf die Bürgerschaftswahl 2020.