Zwei Hamburger Wissenschaftler erklären, was dieses Gefühl überhaupt ist und wer dafür besonders anfällig ist.

Hass – was ist das überhaupt? Und wo kommt er her? Gibt es Menschen, die besonders anfällig sind? Und welchen Einfluss hat das Internet? Prof. Dr. Susanne Krasmann und Dr. Martin Kahl geben Antworten.

Chemnitz in diesen Tagen: Hass auf Politiker, Hass auf Journalisten – und vor allem Hass auf Menschen, von denen man glaubt, sie seien Ausländer. Woher kommt das?

Susanne Krasmann: Die Ereignisse in Chemnitz haben eine Bereitwilligkeit gezeigt, die längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist: Menschen die vermeintlich anders sind, zu diskriminieren und auszugrenzen, und Menschen zu anderen zu machen, um sie zu verfolgen und gewalttätig zu sein. Hass ist die Artikulation von Feindseligkeit, die in erster Linie die Funktion hat, sich selbst zu bestätigen und zu überhöhen. Dabei ist Hass nicht einfach etwas, das Menschen innewohnt. Hass ist ein soziales Gefühl, ein Affekt, der in bestimmten Situationen entsteht und der gesellschaftlich gemacht wird: Hass wird gesät, geschürt, ideologisch geformt und hervorgerufen.

Martin Kahl: Es ist eine ganze Reihe von Erklärungsangeboten zu den Ursachen im Umlauf: ökonomische, kulturelle oder psychologische. Wichtig scheint mir das Gefühl einer relativen Benachteiligung zu sein, das sich freilich selbst in der Herabsetzung anderer Luft macht. Bedrohungsvorstellungen spielen eine Rolle, die sich in Ängste umsetzen. Das alles wird von rechten Gruppen gezielt angeheizt, durch Dramatisierungen oder falsche Darstellungen. Hinzu kommen Schuldzuweisungen an Politiker und auch an Journalisten, die vorgeblich einseitig berichten. Den rechten Gruppen geht es um Mobilisierung durch Angst. Anknüpfen können sie allerdings an eine bei Teilen der Bevölkerung vorhandene tiefsitzende Ressentiments.

Kommt diese Explosion des Hasses für Sie unerwartet, oder gab es Indizien, dass diese Entwicklung drohte?

Krasmann: In Situationen wie in Chemnitz ist der Hass schon da: in Gestalt von gesellschaftlichen Feindbildern, aber auch von gesellschaftlichen Ressentiments, die eine Art „Du darfst“ voraussetzen. Ein gesellschaftliches Umfeld kann den Ausbruch von Hass legitimieren, indem es eine entsprechende Rhetorik aufbaut und auch indem es Feindseligkeit duldet oder weg schaut. Deshalb bedarf es oft nur eines kleinen Anlasses, der gesucht wird, eines Vorwands, der gefunden wird, wie in Chemnitz: Das Bemerkenswerte ist ja, dass lange Zeit ein Gerücht ausreichte, um die Masse in Bewegung zu setzen.

Kahl: Das gemeinsame Auftreten rechter und rechtsextremistischer Gruppen war vielleicht in seiner konkreten Form so nicht genau vorauszusehen, vollkommen überraschend waren die Ereignisse nicht. Die Strategie der Szene, über Straftaten von Flüchtlingen zu mobilisieren, zur Selbstverteidigung aufzurufen und die eigene Gewalt über einen Ausnahmezustand zu rechtfertigen, war auch in früheren Fällen schon beobachtbar. Auch Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Migranten hat es zuvor ja schon viele gegeben, wenn auch mit zuletzt abnehmender Tendenz.

Könnte Chemnitz auch im Westen passieren?

Krasmann: Die Gegenüberstellung von Ost und West ist ja selbst schon gefährlich. Sie tut so, als scheide eine unsichtbare Grenze die Bevölkerung der Bundesrepublik zwischen gut und schlecht. Sicherlich sind in verschiedenen Regionen unterschiedliche Milieus entstanden, in denen soziale Unzufriedenheit und strukturelle Defizite einen Nährboden bereiten: die Leute empfänglich machen für die Ansprache der Feindseligkeit und für die Artikulation von Hass, der das Selbst aufwertet. Aber Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit sind ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Kahl: Hasskampagnen und Übergriffe gegen Flüchtlinge und Migranten waren in den vergangenen Jahren nicht auf den Osten Deutschlands beschränkt. Der Zuspruch für rechtes Gedankengut ist aber im Osten stärker, Menschen können sich hier eher ermächtigt fühlen zur Tat zu schreiten in dem Gefühl den „Volkswillen“ zu vollstrecken. Die rechte Szene in Sachsen ist zudem gut organisiert, die Strukturen sind hier dichter.

Wie sollten Politik und Gesellschaft jetzt reagieren?

Krasmann: Zunächst einmal ist es wichtig, klar zu benennen, was in Chemnitz passiert ist: das waren nicht ein paar Wenige, das war keine Ausnahme, das war der kollektive Ausbruch von Hass. Was angezeigt ist, ist diese gesellschaftlichen Ressentiments und Feindbilder sichtbar zu machen, sich ausdrücklich dagegen zu wenden, wie das ja auch in Chemnitz und in anderen Städten als Reaktion etwa in Gestalt von Gegendemonstrationen geschehen ist. Politisch ist das ein längerer Weg, der in einer vernünftigen Einwanderungspolitik seinen Ausgangspunkt nimmt.

Kahl: Zunächst einmal: Keine Verharmlosung, keine „Normalisierung“ von Gewalt, aber auch nicht von Hass, Hetze und Herabwürdigung. Behauptungen, man müsse nun das Recht in die eigene Hand nehmen, sollte mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Ein funktionierender, durchsetzungsfähiger demokratischer Rechtsstaat ist ein hohes Gut. Er ist eine Friedensbedingung.

Die Experten

Susanne Krasmann ist Professorin für Soziologie in der Kriminologischen Sozialforschung, Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Soziologie der Sicherheit, Rationalitäten des Rechts, Macht und Wahrheit.
Martin Kahl ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Er beschäftigt sich mit Fragen der inneren Sicherheit und des innergesellschaftlichen Friedens. Dabei interessieren ihn insbesondere  die Themen Terrorismus und Terrorismusbekämpfung sowie Radikalisierung.

Was ist der Nährboden für Hass?

Krasmann : Es gibt zwei Formen von Hass. Die eine ist die Erfahrung von Ungerechtigkeit gekoppelt mit Ohnmacht. Nämlich die Erfahrung von Marginalisierung, von Ausgrenzung, von Chancenlosigkeit. Hass ist dann ein Gefühl, dem man ausgeliefert ist. Nicht immer richtet sich dann der Hass gegen diejenigen, die die Situation der Chancenlosigkeit produzieren, sondern er wird oft nach unten weitergegeben. Die andere Form, gesellschaftlich weitaus beunruhigender, ist der Hass derjenigen, die sich aufregen wollen, die erregen wollen. Die Sorge, sozial abgehängt zu sein, ist dann sehr oft etwas Vorgeschobenes, was den Hass rationalisieren soll.

Dient der Hass der Selbstwertsteigerung?

Kahl : So könnte man es sagen. Auf psychologisch-individueller Ebene hat Hass die Funktion der Selbsterhöhung. Unter Umständen sind es Verlustängste, die dazu führen. Das erklärt zwar noch nicht alles. Wenn sich einzelne Personen zurückgesetzt fühlen, muss das noch nicht schlimm sein. Problematisch wird es, wenn Unzufriedenheit kampagnenfähig gemacht und zur Mobilisierung genutzt wird. Das kann dazu führen, dass dann gar nicht die „wahren Ursachen“ von Zurücksetzung oder Benachteiligung genannt werden, sondern man einfach Sündenböcke sucht, auf die man seine Benachteiligung projizieren kann.

Nimmt der Hass zu oder ist das nur eine subjektive Wahrnehmung?

Kahl : Wenn man sich seit Gründung der Bundesrepublik harte rechtsextreme Einstellungen, Gewalttaten und alles, was schädlich sein kann für die Gesellschaft, anschaut, hat man eher Grund zum Optimismus. Der momentane Eindruck ist ein anderer, ich weiß.

Krasmann: Diese Veränderung ist schwer zu messen. Aber ich glaube, dass man schon sagen kann, dass sich die Artikulation von Hass oder Ressentiments stärker verbreitet und auch gesellschaftsfähiger geworden ist. Durch das Internet kann man geschützt Hass artikulieren. Man muss dem anderen nicht begegnen von Angesicht zu Angesicht, man riskiert praktisch überhaupt nichts. Dort ist der artikulierte Hass auch gemeinschaftsstiftend. Man kreiert gemeinsam eine Filterblase die lautet: Das ist das, was wir nicht wollen.

Kahl: Die Frage ist: War das, was wir jetzt wahrnehmen, immer schon in den Köpfen und wird jetzt nur durch Kanäle wie die sozialen Medien stärker geäußert? Jeder kann heute auch dank Facebook weit verbreiten, was er oder sie meint. Was hinzukommt sind Verstärkereffekte – also dass man sich vielleicht eher traut, etwas zu sagen, was man sich vorher nicht getraut hat, weil viele andere das schon sagen.

Es gibt den Begriff der „Verbitterungsmilieus“: Man fühlt sich abgehängt.

Krasmann: Die einfache Gleichung „Die armen Abgehängten und ihr Hass zum Beispiel auf Ausländer“ geht nicht auf. Es ist ja nicht von ungefähr, dass gerade in Regionen, in denen diese Adressaten des Hasses gar nicht vorkommen, der Hass am größten ist. Wenn hier Angst oder Sorge artikuliert wird, dann setzt das einen Zugzwang: Angst oder Sorge hat man ernst zu nehmen. Dabei könnten oft konkrete Infrastrukturleistungen – Investition in Wohnraum, in Bildung und Ausbildung – in der Tat helfen.

Welche Strategie ist besser: Ignorieren oder sich damit auseinanderzusetzen?

Krasmann : Im Parlament ist es manchmal ganz gut, bestimmte Äußerungen einfach zu ignorieren. Man muss nicht auf alles antworten, und man muss auch nicht für alles Verständnis zeigen. Gesellschaftlich fordert es Mut, sich dem entgegenzustellen und tatsächlich auch zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Wichtig ist, Gastfreundschaft und Solidarität zu zeigen mit denen, die diskriminiert werden. An manchen Stellen ist unsere Demokratie gefährdet. Deshalb ist der Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit so wichtig. Es fehlen auch politische Visionen, die über nationalstaatliches Denken hinausgehen und die sagen, „wir brauchen ein Europa, das in der Lage ist, sich auf eine vernünftige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu einigen“.

Kahl: Sehr wichtig ist, Propaganda durchschaubar zu machen, auf Widersprüche aufmerksam zu machen. Und dann Konsequenzen aufzuzeigen: Wenn man all das machen würde, was da in der jeweiligen Szene propagiert wird, zu welcher Gesellschaft würde das wohl führen? Wollt Ihr die haben?

Gibt es Menschen, die besonders anfällig sind für Verachtung oder Hass?

Kahl : Es gibt kein entsprechendes Persönlichkeitsprofil. Die extremen Fälle, also die Menschengruppen die Gewalt anwenden, sind einfach zu unterschiedlich. Lebenskrisen spielen ein große Rolle. Menschen in dieser Situation sind ansprechbarer für Verführung und einfache Lösungen. Aber Hass zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.

Lassen sie uns über Barmbek sprechen. Dort hat im vor einem Jahr ein staatenloser Palästinenser, der zuvor an seiner Abschiebung mitgewirkt hatte, wahllos auf Menschen eingestochen. Es gab Hinweise auf Radikalisierungstendenzen, die man nicht ernst genug genommen hat. Stehen Behörden und Polizei solchen Taten hilflos gegenüber?

Krasmann : Terroristische Anschläge, die plötzlich verübt werden und die man nicht vorhersagen kann, sind die neue Form der Bedrohung. Man kann keine Muster erkennen. Es gibt Leute, die sind psychotisch, es gibt Trittbrettfahrer, es gibt Leute, die sich fanatisieren lassen, auch kurzfristig. Verschiedene Behördenvertreter sind da unter Umständen gefragt – von sozialen Diensten bis zur Polizei, die aber jeweils einen ganz unterschiedlichen Blick darauf haben. Deren Antworten auf die Person widersprechen sich teilweise sogar. Die einen wollen abschieben, die anderen sagen, „der Mensch ist psychotisch, den darf man nicht abschieben.“

Kahl: Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass Fälle wie der von Barmbek einfach sehr schwer vorherzusagen sind. Möglicherweise wusste der Täter am Vormittag noch gar nicht, dass er es am Nachmittag machen würde. Ja, es gab Anzeichen, aber eher für eine psychische Labilität angereichert mit islamistischem Gedankengut. Bei Einzeltätern ist es für die Sicherheitsbehörden besonders schwierig. Wenn es Gruppenbezüge gibt, dann können sie etwa durch V-Leute potenzielle Täter ausfindig machen.

Oft sind es hier aufgewachsene und augebildete Jugendliche, die sich radikalisieren. Warum tun sie das?

Krasmann : Ich glaube, dass die Motive sehr heterogen sind und mit so etwas Harmlosen anfangen wie Abenteuerlust und jugendlicher Sinnsuche.

Kahl: Untersuchungen zeigen, dass Jugendliche, die nach Syrien ausgereist sind, ganz unterschiedliche Motive hatten. Wir haben in der Wolle gefärbte Islamisten, aber wir haben auch Leute, die mit dem eigenen Leben nicht zurecht gekommen sind, solche, die sich „Heilung von ihrem sündigen Leben“ versprochen haben, es gibt Abenteuer, es gibt Mitläufer, es gibt Leute, die haben gedacht, sie könnten helfen.

Lassen sich junge Leute mit traumatischen Kriegserfahrungen wieder in die Gesellschaft integrieren?

Kahl : Rückkehrer können stark desillusioniert und traumarisiert sein, dass sie Abstand nehmen von früherem Gedanken. Entscheidend ist nicht, ob jemand ein Rückkehrer ist, sondern wie gewaltgeneigt oder radikal eine Person ist.