Hamburg. Nur vier Kleinkinder pro Erzieher: Rot-Grün einigt sich mit Volksinitiative. Heute Abstimmung in Bürgerschaft
Plötzlich ging es dann doch ganz schnell. Mitte August hatten die Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburger Kitas“ und die rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft die Frist für Verhandlungen noch bis Anfang Dezember verlängert. Doch dann gelang der Durchbruch früher als gedacht. Am Montagabend wurde er von den Fraktionen der SPD und Grünen abgesegnet, am heutigen Mittwoch soll er bereits die Bürgerschaft passieren.
Die Einigung sieht im Kern so aus, wie bereits im Abendblatt berichtet: Die Forderung der Initiative, dass eine Erzieherin im Krippenbereich (bis drei Jahre) nur noch maximal vier Kinder betreuen darf und im Elementarbereich (drei Jahre bis zur Einschulung) maximal zehn, werden als verbindliche Ziele ins Hamburger Kinderbetreuungsgesetz (KibeG) aufge-nommen. Das 1:4 im Krippenbereich – derzeit liegt diese „Fachkraft-Kind-Relation“ bei 1:5,1 – soll zum 1. Januar 2021 umgesetzt sein. Das entspricht den Plänen des Senats und wird durch die Gesetzeskraft nur verbindlicher, daher war die Einigung in diesem Punkt keine große Hürde.
Die Verbesserung des Betreuungsschlüssels im Elementarbereich von derzeit 1:10,7 auf 1:10 soll von Anfang 2024 an gelten, etwa zwei Jahre früher als von Rot-Grün geplant. Vor allem daraus resultieren die zusätzlichen Kosten der Einigung von rund 50 Millionen Euro pro Jahr. Denn statt der geplanten 2000 sollen nun 3000 zusätzliche Erzieherinnen eingestellt werden. In den mehr als 1000 Hamburger Kitas werden gut 62.000 Drei- bis Sechsjährige und 28.000 Krippen-Kinder betreut. Da außer der Qualität auch das Kita-System wächst, werden die Ausgaben der Stadt für Betreuung von 927 Millionen Euro im Jahr 2018 auf mehr als eine Milliarde ab 2019 steigen.
Die finanzielle Frage war ein Grund, warum SPD und Grüne die Forderungen der Initiative, auch die Ausfallzeiten (Urlaub, Krankheit) und die mittelbare Pädagogik (Vorbereitung, Elterngespräche) in die Personalbemessung einzubeziehen, abgelehnt haben. Das hätte mehrere Hundert Millionen Euro pro Jahr gekostet und wäre daher ein unzulässiger Eingriff in den Haushalt, hatte Rot-Grün argumentiert und der Initiative sogar mit dem Gang zum Verfassungsgericht gedroht. Viel entscheidender für die Einigung war aber das Argument der Regierungsseite, dass es angesichts des Fachkräftemangels unmöglich sei, so kurzfristig mehrere Tausend Erzieherinnen einzustellen. Das hätte zu einem Platzabbau führen können – und den wollte auch die Initiative nicht. Beide Seiten vereinbarten aber, dass man die Ziele bei der Anrechnung der mittelbaren Pädagogik weiter im Blick haben wolle.
„Diese Einigung ist natürlich ein Kompromiss“, räumte Marina Jachenholz, eine der drei Vertrauensfrauen der Initiative, ein. „Aber den neuen Rechtsanspruch auf eine qualitativ gute Betreuung halten wir für einen sehr, sehr großen Erfolg.“ 3000 neue Erzieherinnen einzustellen sei angesichts des Fachkräftemangels „sportlich“, sagte ihre Kollegin Alexandra Balthasar. Der Beruf werde in Hamburg nun attraktiver, was helfen werde, Personal zu finden.
Auch die Fraktionschefs Dirk Kienscherf (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne), die den Kompromiss maßgeblich mit ausgehandelt hatten, zeigten sich zufrieden. „Der klare Gewinner unserer Einigung mit der Volksinitiative sind die Hamburger Kinder und ihre Eltern sowie die Beschäftigten in den Kindertagesstätten“, sagte Kienscherf. „Hamburg verfügt bereits heute über eine flächendeckende und gute Kinderbetreuung, die weitestgehend beitragsfrei ist“, sagte Tjarks. „Nun setzen wir den Fokus auf noch mehr Qualität.“ Die nötigen Fachkräfte zu gewinnen sei dabei „die entscheidende Herausforderung“.
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) freute sich, dass „ein gemeinsames Verständnis von der Lage“ entstanden sei – ein dezenter Hinweis auf die anfangs sehr kontroversen Positionen. Geholfen habe auch, dass der Bund sich künftig an den Betreuungskosten beteilige, in Hamburg mit bis zu 50 Millionen Euro.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) begrüßten den Kompromiss, sahen darin aber auch eine Herausforderung für die Personalabteilungen. Der Landeselternausschuss für Kindertagesbetreuung (LEA) gratulierte der Volksinitiative zur Einigung, auch wenn die Beschlüsse „hinter den Erwartungen“ zurückblieben. Ähnlich sah es Mehmet Yildiz (Linkspartei): „Da bleibt noch sehr viel Luft nach oben.“ Kritik kam von Philipp Heißner (CDU): „Wieder einmal mussten sich SPD und Grüne die Einhaltung ihrer eigenen Wahlversprechen erst von einer Bürgerinitiative abringen lassen.“ Auch Daniel Oetzel (FDP) sagte, Rot-Grün nehme nur die selbst gesteckten Ziele in Angriff. Er frage sich: „Wo kommen die 3000 zusätzlichen Erzieher auf dem ohnehin leer gefegten Arbeitsmarkt her?“
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