Hamburg. Ein Gespräch mit Abendblatt-Kolumnist Hajo Schumacher über Paar- und Tantra-Seminare, Geldsorgen und hochhackige Schuhe.

Männer müssen endlich aus ihren Rollen ausbrechen. Sie müssen sich emanzipieren und öffnen, fordert Hajo Schumacher. Der Abendblatt-Kolumnist, Läufer, Talkshow-Dauergast und Autor hat über das Mannsein nachgedacht, recherchiert, beobachtet, die Rolle mit seiner Frau getauscht – und am Ende alles aufgeschrieben. Ein Gespräch unter Männern – über Männer und ihre Probleme.

Nach vergleichsweise einfachen Themen wie Laufen, Altern oder Erziehung, Deutschland oder Angela Merkel wagen Sie sich in Ihrem neuen Buch an ein wirklich schwieriges Thema heran: Männer. Warum? Was stimmt nicht mit den Männern?

Hajo Schumacher : Altern ist überhaupt nicht einfach, Erziehung auch nicht. Und zumindest die Herren Seehofer und Spahn dürften die Kanzlerin für ein hochkomplexes Thema halten. Mein „Männerspagat“ ist ein Meta-Thema, das sich unterschwellig durch alle anderen Bücher zieht. Warum laufen Männer Marathon? Um ihrem Heldenfimmel zu genügen. Als Vater von zwei Söhnen weiß ich, wie kompliziert es ist, den Jungs eine fröhliche, gesunde Männlichkeit vorzuleben. Die ganze Merkel-Story ist ebenfalls durchzogen von enttäuschter Männermacht. Und das Altern? Das kriegen Frauen viel besser hin als Männer. Sie leben fünf Jahre länger.

Mann gegen Frau – dieses Motiv habe ich in fünf Jahrzehnten Mannsein in vielen Spielarten erlebt: als Sohn, als Ehemann, als Vater, als Kumpel, als Chef, als Journalist und als notorischer Fehlermacher. Meine Frau Susanne und ich feiern, tatsächlich: Wir feiern in diesem September unsere Silberhochzeit. Hätten wir unsere Rollenbilder vor einer Weile nicht radikal, aber liebevoll zu begutachten begonnen, dann hätten wir das gemeinsame Vierteljahrhundert nicht geschafft oder würden uns heute bestenfalls passiv-aggressiv angrummeln wie so viele Langzeitverbundene. Wir haben sogar ein Paarseminar besucht – und überraschend viel Spaß gehabt.

Das klingt nach einem sehr persönlichen und offenen Buch. Also raten Sie den Männern zum Rollentausch – oder dazu, von den Frauen zu lernen?

Schumacher : Zunächst einmal geht es um Respekt und Interesse von allen Beteiligten. Die erste Runde beim Paartherapeuten endet ja meistens mit dem Vorhaben, wieder was Gemeinsames zu machen: meistens einen Tanzkurs. Anfangs ganz lustig, man macht sich mal wieder schick, fasst sich mal wieder an, aber nachhaltig ist das nicht. Viele Männer, die wegen Burn-out, Depression oder Selbstmordgedanken beim Therapeuten landen, haben primär keine Beziehungsprobleme, sondern leiden an sich selbst und ihren eigenen Erwartungen.

Sie spüren gleichzeitig, dass der Zugang zu ihren eigenen Gefühlen versperrt ist, oft seit der Kindheit: Nicht weinen, immer mehr leisten, erfolgreich sein – der Mann ist von klein auf auf ein darstellendes Leben im Außen getrimmt. Das lässt sich eine Weile mit den Angeboten einer milliardenschweren Ablenkungsindus­trie überdecken: Marathon, Rotwein-Seminar, Grill-Bibel und natürlich Craft-Beer- und Gin-Expertentum. Im Kern aber fühlen sich viele Männer müde und niedergeschlagen, sie fliehen in die Opferrolle des überforderten Superleisters oder fühlen sich von Feministinnen verfolgt.

Der Männer-Therapeut Björn Süfke beschreibt sehr schön diesen ausweglosen Korridor zwischen „Du musst …“ und „Du darfst nicht …“. Partnerinnen sind häufig der einzige Weg in die verschüttete Gefühlswelt, sie wollen reden. Aber das haben viele Männer verlernt. Denn sie müssten Schwächen eingestehen. Das ist gesellschaftlich nicht erwünscht. In meinem Buch befasse ich mich auch mit meinen eigenen toxischen Glaubenssätzen, was ein angeblich echter Mann zu sein und darzustellen hat. Ich habe meinen Rucksack aufgemacht und reingeschaut, was da alles an Dämonen wimmelt. Das ist bisweilen schmerzhaft, aber auch befreiend.

Puuuh! Jetzt fühl ich mich aber richtig schlecht als Mann. Ich glaube, ich brauche jetzt dringend fünf Tipps: Wie werde ich ein besserer Mann? Haben Sie die parat?

Schumacher: Erstens: Entspanne dich und sei dankbar, dass es dir gut geht. Zweitens: Fahnde nach Glaubenssätzen, die du von Familie, Lehrern, Trainern, Kumpels übernommen und verinnerlicht hast, und überlege, wie unsinnig manche davon sind. Drittens: Nimm dir jeden Tag ein paar Minuten und beobachte deine Gedanken. Ich habe bei mir etwa entdeckt, wie viel Hirnraum von Geldthemen besetzt ist, vor allem von der Panik, meine Familie nicht versorgen zu können. Da sind ganz viele alte Muster meiner Eltern, die sich um Sicherheit, Aufstieg, Anerkennung drehen, ohne je befriedigt zu sein. Das Denken kreist, immer wieder, ohne je ein Ergebnis zu produzieren.

Viertens: Mal ein offenes, liebevolles Gespräch mit Partner oder Freund wagen, welche Erwartungen auf uns lasten, ob bei Sex, Karriere, Kindern oder wo ganz anders. Fünftens, und vielleicht am wichtigsten: Höre auf, irgendwelche Männlichkeitsnormen erfüllen zu wollen, von wegen die unkaputtbare Love Machine, die jede Extrameile geht. Unser Geschlecht ist ein Unterscheidungsmerkmal wie Hautfarbe, Religion, bevorzugter Fußballverein, aber auch nicht mehr. Mann oder Frau das ist nicht die Messlatte, solange jeder von uns versucht, ein halbwegs anständiger Mensch zu sein.

Noch mal nachgehakt: Was läuft falsch in der Erziehung von Jungs? Was sollten Eltern beachten – oder anders machen?

Schumacher: Jungen haben von klein auf nach wie vor überwiegend weibliche Bezugspersonen, die eine komplexe Identifikation und Persönlichkeitsbildung verlangen. Für Mädchen ist die Sache klar: Ob Mutter, Kita-Erzieherin oder Lehrerin – da wird stets ein Geschlechtsvorbild geliefert. Gerade für kleinere Jungs, die Geschlechterrollen noch nicht identifizieren oder abstrahieren können, ist eine Frau zunächst ein Nicht-Mann, von der er sich abgrenzen will, was zu einem Selbstbild als Nicht-Nicht-Mann führt. Klingt etwas konfus, aber der Kern ist klar: Kleinen Männern fehlen die großen Männer zum Orientieren und Abarbeiten. Wir brauchen viele neue Erzieher und Grundschullehrer und die Einsicht, dass ein Elterngeld keine soziale Wohltat ist, sondern eine kluge Zukunftsinvestition bedeutet.

Und schließlich sollten wir einen offeneren Umgang mit diesem Testosteron einüben, das gerade junge Männer aus der Kurve schmeißt: Hooligans, Soldaten, G-20-Aktivisten, IS-Terroristen, S-Bahn-Surfer, Knastinsassen, aber auch Wimbledon-Sieger, Harry Potter und WM-Torschützen – es sind oft junge Männer, die steil gehen, im Schlechten wie im Guten. Indigene Völker hatten komplexe Initiationsriten, um die heikle Adoleszenz zu kanalisieren. Solche gesellschaftlichen Mechanismen fehlen uns.

Danke, das klingt nach guten, umsetzbaren Tipps. Apropos umsetzbar: Auf dem Cover Ihres Buches tragen Sie zum blauen Herrenanzug rote, extrem hochhackige Damenschuhe. Konnten Sie darin überhaupt laufen?

Schumacher: Das war als Jux gedacht und hat uns dann so gut gefallen, dass wir uns für das Motiv als Cover entschieden haben. Wir Männer freuen uns ja, wenn unsere Partnerinnen sich in solchen Schuhen bewegen. Es hat hohen pädagogischen Wert für Männer, nur mal zehn Meter unfallfrei auf solchen Hacken zu laufen. Für mich übrigens auch ein sehr lebenspraktisches Gleichberechtigungsthema: Wie können Männer mit Boller-T-Shirt und Nagelpilz in Badelatschen von ihren Frauen verlangen, sich derart zu stylen. Wir haben nicht nur ein Equal-Pay-, sondern auch ein Equal-Dress-Problem: Schickmachen sollte als Imperativ für alle gelten.

Mann kann das Pumps-Cover natürlich auch missverstehen wollen …

Schumacher : Stimmt. Ein bösartiger Kollege meinte zu mir: Schumacher, jetzt hast du also auch vor den Frauen kapituliert! Unsinn. Es geht mir vielmehr darum, aus diesen Schlacht-Metaphern rauszukommen. Mann gegen Frau – wie armselig ist das denn! Archäologen finden immer mehr Beweise dafür, dass unsere heutigen Rollenbilder für das Leben als Nomaden, Jäger und Sammler überhaupt nicht taugten. In manchem Kriegergrab aus der Steinzeit, das die Wissenschaftler ganz selbstverständlich als männlich etikettiert hatten, sind in Wirklichkeit Frauen bestattet worden.

Frauen und Männer haben früher offenbar sehr pragmatisch gefragt: Wer kann was am besten? In einer kleinen Gruppe wäre es doch Irrsinn, einem talentierten Menschen das Jagen, Kochen, Erziehen, Waffenbauen zu untersagen, nur weil er Mann oder Frau ist. Genau dort müssen wir als Gesellschaft wieder hin: die gemeinsamen Ziele zu definieren und als Menschen erreichen zu wollen. Das Betonen von immer mehr Unterschieden wie die 60 verschiedenen Geschlechterdefinitionen bei Facebook sollte dazu führen, dass wir Unterschiedlichkeit akzeptieren und feiern anstatt in gut oder schlecht einzuteilen.

Also geht es eigentlich um wahre Gleichberechtigung?

Schumacher: Wie lange wollen wir unsere Energie noch mit der Frage vergeuden, wer das edlere Geschlecht sei? Dieses schlichte polarisierte Denken, in dem es nur Freund oder Feind gibt, ist die intellektuelle Seuche unserer Tage, bei Donald Trump ebenso wie im dogmatischen Feminismus. Gute Männer und Frauen sind sich doch in Wirklichkeit sehr ähnlich und einig, wie eine bessere Welt auszusehen hat, eine Welt übrigens, die keinen Feminismus braucht, weil Gleichberechtigung auf allen Ebenen selbstverständlich ist. Ich würde mich freuen, wenn die Guten, ganz gleich, welches Geschlecht sie empfinden, ihre Gemeinsamkeiten entdecken, bündeln und gemeinsam in den Kampf gegen die düsteren Mächte ziehen, die sich überall auf der Welt zusammenrotten. Die großen sozialen Bewegungen der Geschichte wollten stets Gerechtigkeit für alle, nicht für eine Gruppe.

Was wäre der passende Soundtrack für Ihr Buch: „Männer“ von Herbert Grönemeyer, „Neue Männer braucht das Land“ von Ina Deter, „Männer sind Schweine“ von den Ärzten oder „Frauen sind die neuen Männer“ von den Prinzen?

Schumacher: Neue Männer? Wo sollen die herkommen? Wollen wir Barack Obama und Justin Trudeau einbürgern? Die schlechte Nachricht: Wir müssen mit den Kerlen zurechtkommen, die wir haben, also uns. Die gute Nachricht: Es macht unbändig Spaß, neue Denkmuster auszuprobieren und sich vom alten Rollenkram zu befreien. Mir ist besonders wichtig, aus diesem bekloppten Polarisierungsdenken herauszukommen: HSV oder St. Pauli, Washington oder Moskau, Freund oder Feind – das ist so überholt und wird einer multipolaren Welt mit uns Hyperindividualisten nicht mehr gerecht. Mann und Frau, das ist doch kein Gegensatz, sondern nur verschiedene Modelle ein und desselben Fahrzeugs.

Was meinen Sie: Brauchen wir eine neue Männerbewegung?

Schumacher: Es ist wohl eher ein Generationending. Ich glaube, dass meine Söhne sehr viel entspannter mit Geschlechterfragen umgehen. Die verstehen gar nicht, warum Frauen schlechter bezahlt werden als Männer. Männerbewegung klingt mir zu aggressiv, aber es ist schon so, dass die Frauen einen gewissen Vorsprung haben beim Reflektieren unserer alten Muster. Ich war in diesem Sommer eine Woche lang auf einem Männer-Workshop, wo es weder Urschreie noch Fußballgequatsche noch Feministinnenhass gab, sondern ein ganz entspanntes Miteinander.

Klingt vielleicht etwas pathetisch, aber wir haben die Freundschaft unter Männern wiederentdeckt. „Brüderlichkeit“ ist ja einer der Schlachtrufe der Französischen Revolution gewesen. Es wäre schon viel geholfen, wenn wir dieses permanente Gegeneinander unter uns Jungs ein wenig reduzieren zugunsten eines freundschaftlichen, kooperativen Miteinanders. Wenn wir noch ein paar Jahre auskömmlich auf diesem Planeten leben wollen, dann geht das bestimmt nicht mit dem aggressiven Trump-Stil, sondern nur, wenn kluge und empathische Menschen zusammenarbeiten. Die großen Probleme sind nun mal global.

Für die Recherchen haben Sie auch einen Tantra-Workshop besucht – was haben Sie denn da über Männer und Frauen gelernt?

Schumacher: Bei Tantra denken viele ja gleich an akrobatische Erotik. Darum ging es auch, aber eher am Rande, zum Beispiel um die verbreitete Fehlannahme, Sex sei so eine Art Leistungssport mit Start-Ziel-Logik. Viel wichtiger war für mich, den Respekt vor mir selbst und anderen wiederzuentdecken oder herauszufinden, welche alten Glaubenssätze in mir grummeln, wie ein Mann zu sein habe. Im Kern ging es um Ehrlichkeit und Offenheit, kurz: das Ende des Selbstbetrugs. Mit noch so viel Konsum werde ich kein glücklicherer Mensch, mit etwas mehr Anstand, Rücksicht und Gelassenheit schon eher.

Haben es Männer schwerer als Frauen?

Schumacher: Wir machen es uns schwerer, weil wir Männer oft diesem Heldenmythos vom einsamen Kämpfer hinterherjagen. Wenn wir den Mut haben, die Waffen niederzulegen, und uns einfach mal fragen, was wir wirklich wollen, wie eine faire, gesunde, erfüllende Welt aussehen kann und was wir dazu beitragen können, dann haben es Männer wie Frauen sehr viel leichter, weil wir nicht mehr so angestrengt gegen unsere Bedürfnisse leben.