Hamburg. Er wurde als Erster wegen der Anschläge vom 11. September 2001 verurteilt und wird im Oktober abgeschoben.
Er war für seine Unterstützung der Attentäter vom 11. September 2001 im Umfeld der „Harburger Zelle“ zu 15 Jahren Haft verurteilt worden – nun steht die Entlassung des Terrorhelfers Mounir al-Motassadeq bevor. Doch wenn sich Mitte Oktober die Tore der JVA Fuhlsbüttel öffnen, wird er seine neu gewonnene Freiheit nicht genießen können – jedenfalls nicht in Deutschland. Denn al-Motassadeq wird nur deshalb vorzeitig entlassen, weil er umgehend in sein Heimatland Marokko ausgewiesen werden soll. „Vom Gefängnis geht es direkt in den Flieger“, heißt es bei der Justiz.
Ursprünglich war eine Entlassung des heute 44-Jährigen für Januar 2019 vorgesehen. Weil sich al-Motassadeq jedoch ein paar Wochen durch nicht genommenen Hafturlaub aufgespart hatte, wäre er ohnehin im November 2018 auf freien Fuß gekommen. „Die Bundesanwaltschaft sieht von der Vollstreckung der letzten Wochen Haft ab unter der Bedingung, dass al-Motassadeq tatsächlich ausreist.
Besondere Brisanz
Das Vorgehen gibt uns die Möglichkeit, ihn umgehend zu verhaften, sollte er wieder in die Bundesrepublik einreisen“, sagt Frauke Köhler, Sprecherin der zuständigen Bundesanwaltschaft. Weder die Hamburger Justizbehörde noch die Innenbehörde wollten sich aus Sicherheitsgründen zur bevorstehenden Entlassung äußern: „Kein Kommentar.“
Formal handelt es sich um eine gewöhnliche Abschiebung eines ausländischen Straftäters aus der Strafhaft, wie sie jährlich dutzendfach in Hamburg angeordnet wird. Tatsächlich hat die Entlassung, über die die „Bild“-Zeitung zuerst berichtete, besondere Brisanz – al-Motassadeq war der Erste, der wegen der Anschläge vom 11. September verurteilt wurde. Das Hanseatische Oberlandesgericht sprach ihn 2007 unter anderem wegen Beihilfe zum Mord an den 246 Passagieren der beteiligten Flugzeuge schuldig.
Seit fast 15 Jahren hinter Gittern
So habe er gewusst, dass die Gruppe um Mohammed Atta Anschläge mit Passagierjets geplant habe. Durchgängig in Haft sitzt al-Motassadeq seit November 2006. Er gilt als Musterhäftling, wird aber weiter als islamistischer Eiferer eingestuft. Dass er gegen die Ausweisung vorgeht, gilt als unwahrscheinlich: Seine Familie – seine Ehefrau und die zwei fast volljährigen Kinder – lebt in Marokko.
Darüber hinaus hat al-Motassadeq nahezu seine gesamte Strafe verbüßt. Seit fast 15 Jahren sitzt Mounir al-Motassadeq hinter Gittern. Nun soll er vorzeitig entlassen werden – unter der Bedingung, dass er umgehend in sein Heimatland Marokko zurückkehrt. Mitte Oktober, rund vier Wochen vor Ende der regulären Haft, soll der 44-Jährige die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel verlassen und sofort ausgeflogen werden. Ein Terrorist, der ein freies Leben auf deutschem Boden führt, womöglich unterstützt von deutschen Steuergeldern? Das wollen die Behörden um jeden Preis verhindern.
Familie lebt in Marokko
Sollte er trotzdem wieder deutsches Staatsgebiet betreten, würde er verhaftet und müsste den (spärlichen) Rest seiner Haftzeit im Gefängnis absitzen. Dass das passiert, halten die staatlichen Stellen jedoch für unwahrscheinlich. Weil seine Familie in Marokko lebt, habe Motassadeq selbst großes Interesse, in seine Heimat zurückzukehren, heißt es. Sein Anwalt Jan Jacob wollte sich auf Abendblatt-Anfrage zu dem Fall nicht äußern.
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Glücklich ist man in den an der Rückführung des Mannes beteiligten Behörden nicht, dass die Pläne für den Terrorhelfer nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung am Donnerstag in die Öffentlichkeit durchgesickert sind. Eine geräuschlose Abwicklung der Causa wäre ihnen allemal lieber gewesen – möglicherweise auch, weil man auf die Kooperation der marokkanischen Behörden baut? Denn noch fehlen aus Marokko die Passersatz-Papiere des Terrorhelfers, so berichtet es jedenfalls die „Bild“-Zeitung. Den Bericht wollten die Hamburger Justiz- und Innenbehörde weder bestätigen noch dementieren, es gebe Sicherheitsbedenken. „Kein Kommentar“, hieß es.
Beispielloses Mammutverfahren
So oder so: Die vorzeitige Entlassung markiert das Ende eines in Hamburg beispiellosen Mammutverfahrens, es war das weltweit erste gegen einen Beteiligten der Anschläge vom 11. September 2001. Und es avancierte zu einem sechs Jahre dauernden Justizmarathon in drei Akten. Im Februar 2003 verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht den Studenten, der stets seine Unschuld beteuert hatte, zum ersten Mal zu 15 Jahren Haft, unter anderem wegen Mitgliedschafts in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und der tausendfachen Beihilfe zum Mord.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Motassadeq als „Statthalter“ der Hamburger Terror-Zelle die finanziellen Geschäfte der Attentäter erledigt, von ihren Anschlagsplänen gewusst und ihre Abwesenheit verschleiert hatte. Weil eine möglicherweise entlastende Aussage eines der Harburger Terrorzelle um Mohammed Atta nahestehenden Mannes – Ramzi Binalshibh – nicht verwertet werden konnte, hob der Bundesgerichtshof ein Jahr darauf das Urteil auf. 2005 dann berücksichtigte ein anderer OLG-Strafsenat Binalshibhs Aussagen zwar, schenkte ihnen jedoch keinen Glauben.
Erfolgreiche Beschwerde
Im zweiten Prozess verurteilten die Richter Motassadeq nur noch zu sieben Jahren Haft, den Vorwurf Beihilfe zum Mord hielten sie jedoch für nicht erwiesen. Erneut wurde darauf der Bundesgerichtshof angerufen, der entschied: Wenn der Angeklagte schon verurteilt wird, dann müsse auch der Beihilfe-Vorwurf in die Strafzumessung einbezogen werden. Im dritten OLG-Prozess (Januar 2007) korrigierten die Richter das Strafmaß dann wieder auf 15 Jahre, sie verurteilten Motassadeq auch wegen Beihilfe zum Mord an den 246 Passagieren der am Tag der Attentate abgestürzten Flugzeuge.
Zweimal wird Motassadeq in der Zeit aus der U-Haft entlassen, das erste Mal im April 2004. Nach der Urteilsverkündung im zweiten Prozess (August 2005) wird der Haftbefehl noch im Gerichtssaal vollstreckt. Am 7. Februar 2006 kommt er nach einer erfolgreichen Beschwerde unter Auflagen erneut auf freien Fuß, bevor er im November 2006 wieder inhaftiert wird.
Organisatorische Aufgaben für die Todesflieger
Nach Deutschland ist der strenggläubige Arztsohn aus Marrakesch 1993 gereist. Zunächst lernt er in Münster Deutsch, spielt für den FC Gievenbeck in der Kreisliga Fußball. Zwei Jahre später studiert er an der TU Harburg Elektrotechnik, lernt den Ägypter Mohammed Atta kennen. Bereits 1996 unterschreibt er das Testament Attas, vier Jahre später reist er in ein Ausbildungslager nach Afghanistan.
Zurück in Hamburg übernimmt er für die Todesflieger organisatorische Aufgaben, verwaltet das Konto eines der Terroristen. Mit seiner Ehefrau, einer zum Islam konvertierten Studentin aus St. Petersburg, hat er zwei Kinder, die heute fast volljährig sind. Im Gefängnis gilt Motassadeq, der für die hauseigene Fußballmannschaft „Eintracht Fuhlsbüttel“ spielt, als eine Art Vorzeigehäftling: ruhig, höflich, respektvoll im Umgang mit seinen Mitgefangenen und dem Personal.
Gleichwohl stufen ihn die Behörden weiterhin als Gefährder ein. So hatte der Bundesgerichtshof im August 2014 eine vorzeitige Entlassung Motassadeqs abgelehnt. Begründung: Er sei noch immer sehr beeinflussbar und nicht von seiner „islamistisch-dschihadistischen Einstellung“ abgerückt. In einem entsprechenden Umfeld bestehe Gefahr, dass er sich „islamistisch motivierten Gewalttaten nicht verschließen wird“.