Hamburg. 13 Prozent weniger abgelehnte Asylbewerber wurden in ihre Heimat zurückgebracht. SPD-Senator kritisiert Bundesregierung.
Hamburg steht bei der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern vor großen Problemen: Im ersten Halbjahr 2018 wurden lediglich 202 Ausländer aus der Hansestadt unter Zwang zurück in ihre Herkunftsländer gebracht – 30 Menschen (13 Prozent) weniger als vor einem Jahr. Das bestätigte die Hamburger Ausländerbehörde auf Anfrage. Innensenator Andy Grote (SPD) kritisiert die Rahmenbedingungen: „Das Bundesinnenministerium hat die bekannten Defizite im Abschiebebereich bislang nicht beseitigt.“
Von Januar bis Ende Juni konnten zwar neben den Abschiebungen 63 Menschen im Rahmen des Dublin-Abkommens an andere EU-Länder überstellt werden, in denen die Ausländer schon einen Asylantrag gestellt hatten. Zudem gab es 264 sogenannte überwachte freiwillige Ausreisen.
Ein Bundestrend: Weniger Abschiebungen
Insgesamt scheiterte aber mehr als jede dritte geplante Rückführung in Hamburg. Allerdings gehen nicht nur in der Hansestadt, sondern im gesamten Bundesgebiet die Zahlen zu Abschiebungen und „freiwilligen Rückkehr“ leicht zurück. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ fahndet die Polizei bundesweit nach knapp 127.000 Ausländern, um sie ausweisen oder abschieben zu können.
In mehr als 190 Hamburger Fällen waren die betroffenen Menschen bei der Abschiebung nicht anzutreffen. Auch gesundheitliche Gründe und heftiger Widerstand verhinderte oft die Rückführung. Innensenator Grote verweist darauf, dass das Bundesinnenministerium zwar den „größten Einfluss“ auf den Erfolg von Abschiebungen habe, aber viele Hindernisse bestehen blieben. Dazu gehörten etwa die Beschaffung von Passersatzpapieren und die Identifizierung von Asylbewerbern – sowie den nötigen Druck auf die Herkunftsländer, damit diese ihre Landsleute zurücknähmen. Hamburg verfolge jedoch eine stringente Strategie. „Höchste Priorität hat die Rückführung von straffällig gewordenen Personen ohne Bleiberecht“, sagte Grote.
Keine funktionierenden Abläufe
Die Zahl der Ausländer, die eigentlich ausreisepflichtig sind und in Hamburg nur geduldet werden, liegt konstant bei mehr als 5000 Menschen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert, dass auch in Hamburg „klare Strukturen und funktionierende Abläufe“ bei den Abschiebungen fehlten.
Die Abschiebungen sind auch für die Polizei eine Belastung.
Der Einsatz beginnt nach Mitternacht, 1 Uhr. Kaffee und Besprechung, Lage abschätzen, Gefahren abwägen. Und doch keine Sicherheit haben. Die Zielperson ist als Gewalttäter bekannt. Er könnte gewarnt sein. Und nur auf die Polizei warten, die ihn abschieben will.
Im Morgengrauen stürmen die Beamten an diesem Tag im Mai in eine Hamburger Unterkunft. Sie drücken den Mann zu Boden. Er trägt eine Rasierklinge im Schuh. Vielleicht als Waffe gegen die Beamten, vielleicht auch gegen sich selbst. Er schlägt um sich, scheint jeden Moment explodieren zu können. Mit etwas Mühe können die Männer ihn unter Kontrolle bringen. „So weit ist das ja noch ertragbar“, sagen Polizisten. Wären da nicht diese Fragen und eine böse Vorahnung.
Wie, um Himmels willen, sollen sie die nächsten fünf Stunden Autofahrt mit dem Mann bis zum Flughafen Frankfurt am Main überstehen? Und wird der Mann nicht doch wieder davonkommen, wie so oft, als freier Mann zurückkommen nach Hamburg, statt in seine Heimat abgeschoben zu werden?
Beamten werden bespuckt, bepöbelt, angegriffen
Willkommen im Alltag von Hamburger Polizisten, so, wie sie ihn selbst schildern. Es sind meist stinknormale Beamte, die aus den Plänen der Politik reale Abschiebungen machen sollen. Und es steht nicht besonders gut um dieses Vorhaben. In Hamburg scheitert jede dritte Abschiebung.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) spricht von einem chaotischen System. „Und unsere Kollegen, die eben auch nur Menschen sind, müssen das ausbaden.“ Der Job bringt sie nicht nur an körperliche Grenzen; er lässt sie auch manchmal daran zweifeln, ob sie eigentlich das Richtige tun.
Irgendwann landet nahezu jeder Abschiebefall auf dem Tisch einer kleinen Dienststelle im Präsidium, LKA 26, „Operative Maßnahmen und Rückführungen“. Die Ausländerbehörde bittet die Polizei routinemäßig um Begleitschutz. Aber genug eigene Kräfte für jede Aktion hat die Truppe von etwa einem Dutzend Beamten nicht.
Vorgehen nach Gerechtigkeitsliste
Stattdessen gehen sie laut BDK nach einer sogenannten Gerechtigkeitsliste vor, die in einem Verwaltungsstab erstellt wird. Auf ihr stehen die Namen der Beamten, die für Abschiebungen angefordert werden können. Sachbearbeiter im Betrugsdezernat, Experten für Wirtschaftskriminalität oder Bereitschaftspolizisten. „Eigentlich braucht man das dicke Fell von vielen Dienstjahren, um dann mit der Realität auch umgehen zu können“, sagt BDK-Chef Jan Reinecke. In der Realität sind es oft sehr junge Beamte, die Ausländer im schlimmsten Fall quer durch die Republik fahren müssen, bis direkt am jeweiligen Flughafen die Bundespolizei endlich übernimmt.
Die Beamten nehmen dünne Netzhauben mit, die sie renitenten Betroffenen aufsetzen – um sich selbst vor Spuckattacken und Infektionen zu schützen. In Flüchtlingsunterkünften kann schon eine kaputte Waschmaschine große Aufregung auslösen, ein Polizeieinsatz ist ein mittleres Erdbeben. „Die anderen Bewohner werden geweckt und versammeln sich häufig im Hof, viele schauen nur erschrocken zu, einige solidarisieren sich, schreien auf uns ein“, sagt ein Polizist.
Manchmal werfen sie sich zwischen die Beamten und ihr Ziel. Regelmäßig müssen die Polizisten Verstärkung anfordern; oder sehen, wie ein Ausländer in seiner Verzweiflung versucht, sich das Leben zu nehmen.
Brief der Ausländerbehörde als Warnung
Dass die Beamten kommen würden, ist ihnen oft schon bewusst. Sie haben einen Brief von der Ausländerbehörde erhalten, dass sie das Land bis zu einem bestimmten Datum zu verlassen haben. Danach könne Zwang angewendet werden. „In einigen Fällen stecken die Wachleute den Bewohnern noch durch, wann genau wir anrücken werden.“
Am Ende sei es eine Typfrage: Viele betroffene Ausländer tauchen unter, bevor die Beamten anrücken – von den Abschiebungen, die in Hamburg scheitern, liegt es zu 70 Prozent daran, dass die Betroffenen nicht anzutreffen waren oder ein Familienmitglied fehlte. Dann waren manchmal tagelange Vorbereitungen umsonst. Einzelne legen sich Messer zurecht, wollen ihre Wut an den Beamten auslassen. „Wir haben praktisch in jedem Monat Kollegen, die verletzt werden und dienstunfähig sind“, sagt der Gewerkschafter Reinecke. Jede Minute dieser Einsätze ist eine Ausnahmesituation. Im Auto schreien viele der Ausländer, andere weinen oder versuchen, sich zu befreien. Wenn die Beamten ihre Klienten am Flughafen übergeben, sind sie nicht selten zwölf Stunden im Einsatz. Im Auto geht es die ganze Strecke zurück in das alltägliche Leben.
Einfache Fälle schon abgearbeitet
„Manchmal ahnen die Kollegen bereits, dass die Mühe vergebens war“, sagt Jan Reinecke. Mithilfe von Anwälten wird die Abschiebung noch im letzten Moment verhindert, etwa aus gesundheitlichen Gründen. Mitarbeiter der Ausländerbehörde erklären den Rückgang bei der Zahl der Abschiebungen auch damit, dass viele „einfache Fälle“ in diesem Bereich in den vergangenen Jahren bereits abgearbeitet worden seien. „Es ist bei den verbliebenen Fällen oft viel mehr Anstrengung nötig, um eine Rückführung möglich zu machen“, heißt es.
Es hat sich außerdem herumgesprochen, dass man im Flugzeug nur genügend um sich schlagen und schreien müsse, bis der Pilot sich aus Sicherheitsgründen weigert, den Abzuschiebenden mitzunehmen. Mehr als 200 Abschiebungen scheiterten im vergangenen Jahr daran – und aus demselben Grund hätten etwa Algerien und Marokko in den Verhandlungen zu Rücknahmeabkommen darauf bestanden, dass Deutschland keine eigenen Flüge für die Abschiebungen ihrer Landsleute chartern darf. „In der Realität fährt man müde zurück über die Autobahn und weiß schon, dass der betroffene Ausländer wahrscheinlich bald auch schon wieder im Zug zurück nach Hamburg sitzt“, sagen Beamte.
Werden die Richtigen abgeschoben?
Da seien Momente der Zufriedenheit, wenn etwa ein Straftäter wirklich abgeschoben werde, heißt es von den Polizisten. Aber eben auch solche Momente von Zweifel daran, ob wirklich die „Richtigen“ abgeschoben würden. Oft sind es Familien, die schon mit gepackten Koffern an der Unterkunft warten. Jugendliche, die gut in der Schule sind und vor ihrem Abitur stehen. Kinder, mit denen die Beamten manchmal stundenlang spielen und sie beruhigen, weil die Eltern zu aufgelöst sind. „Viele meiner Kollegen haben selbst Familie“, sagt der Gewerkschafter Reinecke. Er fordert, dass die zuständige Dienststelle eine deutlichere Struktur mit festen Beamten für die Aufgaben erhält.
Der Einsatz im Mai endet vergleichsweise problemlos, sie müssen den Mann aus der Unterkunft im Auto fesseln, „er hat permanent geschrien, das war noch das geringste Problem“, sagt einer der beteiligten Beamten später. Am Flughafen sieht der Polizist noch eine Demonstration, bemalte Spruchbänder, offenbar für eine Familie mit Kindern, die auf den Flieger wartet. Die Bilder bleiben dem Polizisten im Kopf, als er nachts in sein Bett in einem Airporthotel fällt.
Behörde: Uns ist bewusst, wie belastend die Einsätze sind
Aus der Ausländerbehörde heißt es, die Abschiebungen könnten auch für die eigenen Mitarbeiter schwer zu verarbeiten sein. Sie bietet Supervision an; auch auf den sozialtherapeutischen Dienst der Innenbehörde können die Mitarbeiter zurückgreifen. „Wir sind uns darüber bewusst, wie belastend diese Einsätze sein können.“ Innensenator Grote betont, dass die wesentlichen praktischen Hürden jedoch vor allem auf Bundesebene beseitigt werden müssen.