Hamburg. Erster Teil des Autobahndeckels ist fertig. Nach Jahrzehnten des Lärms genießen Anwohner in Schnelsen ein neues Lebensgefühl.
Mit dem lauten Musikhören im Garten ist nun Schluss. Michael Rusch – ein sehr lauter Geselle, wie er sich selbst bezeichnet – muss Rücksicht nehmen auf seine Nachbarn. „Hier ist es jetzt leiser als auf dem Land. Merkwürdig sind die ganzen neuen Geräusche: Mich nerven morgens plötzlich die Vögel, die ich vorher nie gehörte habe“, sagt er und lächelt zufrieden. Mit gutem Grund: Denn Rusch wohnt direkt an der A 7 in Schnelsen, und der Autobahndeckel ist zwar noch nicht fertig, zeigt aber schon volle Wirkung. Es ist das erste von drei Teilstücken, die bis 2026 fertiggestellt sein sollen.
Bis auf die Autos, die sich auf der angrenzenden Frohmestraße stauen, ist im Vogt-Kock-Weg, in dem Michael Rusch seit 20 Jahren lebt, kein Verkehr zu hören. Stattdessen Vogelgezwitscher und Rasenmäher in der Ferne. Eine für diese Gegend durchaus fremde Geräuschkulisse, an die sich die Anwohner erst gewöhnen müssen.
Das Rasenmähen ist vorher nie aufgefallen
Michael Rusch sitzt entspannt in seiner Garage und schraubt an seinem Motorrad. Bis auf den derzeitigen Baulärm, der ab und an zu ihm durchdringt, genießt er die neu gewonnene Ruhe. Auf die Frage, ob sich das Nachbarschaftsverhältnis verbessert habe, reagiert er allerdings mit Sorge. Es könnte eher zu Konflikten kommen, meint er nach kurzem Nachdenken: „Dadurch, dass man die Geräusche der Nachbarn mehr hört, könnte es sein, dass die Nachbarn sich über kurz oder lang ‘n büschen angiften. Das Rasenmähen ist vorher schließlich nie aufgefallen.“
Auf den Deckel verzichten möchte er aber natürlich nicht mehr. „Es ist herrlich. Die Autobahn war ja schlimmer als die Berliner Mauer. Die hat dermaßen die Stadt geteilt“, erzählt er. Seit den 1970er-Jahren zieht die A 7 eine breite Schneise durch die Wohngebiete des Hamburger Nordwestens. Die Deckel sollen nun ein Wiederzusammenwachsen der Stadtteile ermöglichen.
Probleme bei den Bauarbeiten
Ein paar Häuser weiter genießt Familie Chapper ebenfalls die Stille: „Es ist paradiesisch. Man kann im Garten sitzen, draußen auf der Liege schlafen, und die Fenster braucht man nachts auch nicht mehr zu schließen. Und am Sonntag hört man selbst die Niendorfer Kirche. Das war vorher anders.“
Dennoch: Die Bauarbeiten zum Schnelsener Autobahndeckel brachten nicht nur Verbesserungen. Mehrfache Anbohrungen der Hauptleitungen sollen für regelmäßige Überschwemmungen und vollgelaufene Keller gesorgt haben. Das Hochziehen der Spundwände hatte ein kleines Erdbeben zur Folge, das zu einigen Rissen an Michael Ruschs Haus geführt habe. Darüber hinaus dient der Vogt-Kock-Weg den Baufahrzeugen als Baustellenzufahrt, wodurch es zu vermehrten Schäden der Straße gekommen sei. „Durch eine Teilsperrung der Straße waren die Laster gezwungen, über die Fußwege zu fahren. Die Gehwege waren in einem wunderbaren Zustand, und nun sind die Platten wegen der schweren Baumaschinen ziemlich schief“, berichtet Michael Rusch verärgert. Von solchen Schäden ist im auf der anderen Seite der A 7 liegenden Jungborn nichts zu sehen. Hermann Loop lebt in seinem damaligen Elternhaus. Er ist hier aufgewachsen und kann sich noch gut an den Neubau der Autobahn in den 1960er-Jahren erinnern. Er freut sich, nach mehr als 50 Jahren endlich wieder bei offenem Fenster schlafen zu können. „Es kam auch häufig vor, dass ich nicht einmal die Türklingel gehört habe“, berichtet der 81-Jährige.
Neue Grünflächen für Kita-Kinder
Direkt hinter dem großen Haus von Hermann Loop befindet sich die Kita Jungborn. Sie liegt etwas zurück in zweiter Reihe. Doch obwohl es sich um eine sogenannte Hinterbebauung handelt, sei vor allem im vorderen Bereich des Kindergartens ein deutlicher Unterschied zu spüren, sagt Bernd Friedrichs. Der Kitaleiter ist begeistert von der neuen Situation: „Für uns war es ein großer Gewinn. Die Kinder haben die Baustelle auch besucht. Das war ganz toll. Wenn man so etwas vor der Tür hat, kann man es gleich als Bildungsprojekt nutzen. So erleben die Kinder Veränderungen ihres Umfeldes mit.“
Die auf dem Deckel entstehenden Grünflächen sollen dann auch von den Kita-Kindern genutzt werden, so der Plan. Ein Gewinn an Lebensqualität für alle Anwohner. Das Bauprojekt ist Teil der rund zwei Milliarden teuren Erweiterung der Autobahn A 7 vom Elbtunnel bis nach Bordesholm, südwestlich von Kiel.
Aktuell fließt der gesamte Verkehr durch die im Juni eröffnete Weströhre des Lärmschutzdeckels. Die Fertigstellung der Oströhre ist für 2019 geplant. Bis dahin könnte Michael Rusch die kurzen Momente lauten Hämmerns und Bohrens nutzen, um die Anlage in seiner Garage voll aufzudrehen. Danach muss er wohl auf Kopfhörer umsteigen. Er wird es gerne tun.