Bayreuth. Die Produktion des “Fliegenden Holländer“ ist aktuell die älteste der Festspiele. Regisseur Gloger im Gespräch mit dem Abendblatt.

Als Jan Philipp Gloger von Katharina Wagner gebeten wurde, den „Fliegenden Holländer“ in Bayreuth zu inszenieren, war der Hagener gerade mal 28 Jahre alt und neben der Festspielchefin der jüngste Regisseur in der Geschichte des Grünen Hügels. Nun läuft der „Holländer“ als dienstälteste Produktion der Richard-Wagner-Festspiele am Montag zum letzten Mal vom Stapel, und Gloger ist längst ein international angesehener Theaterkünstler. Zeit für eine Bilanz.

Hamburger Abendblatt: 2012 hat ihr „Holländer“ die Festspiele in Bayreuth eröffnet. Können Sie die Produktion überhaupt noch sehen?

Jan Philipp Gloger: Unsere „ Holländer“-Interpretation ist aktuell, solange wir zulassen, dass ökonomische Strukturen bis in unsere tiefsten Lebensbereiche eingreifen und in einer Welt, in der der mächtigste Mann vor allem ein reicher Mann ist, umso mehr. Deshalb habe ich keine Skrupel wegen der langen Laufzeit. Es wird auch konzeptionell keine großen Änderungen mehr geben, die Erneuerung erfolgt durch die Arbeit mit den Sängern und mit dem Dirigenten Axel Kober, und die läuft wirklich intensiv und toll. Ich habe mit John Lundgren und Greer Grimsley gleich zwei Holländer in diesem Jahr, und es sind beides sehr spielfreudige, intensive Sängerdarsteller. Ricarda Merbeth bildet als Senta eine wunderbare Kontinuität, sie hat sich von Jahr zu Jahr mehr mit der Rolle identifiziert. Und Tomislav Muzek kommt wieder als Erik, darüber freue ich mich, denn er kennt von Kindesbeinen an, was er in der Sozialverortung der Figur verkörpert.

Sie haben seither große Erfolge an Europas Bühnen gefeiert. War Bayreuth der Beschleuniger?

Gloger: Bayreuth als Sprungbrett oder Fallgrube? Das ist die große Frage, die ich nur mit Ja und Nein beantworten kann. Auch vor Bayreuth gab es schon Verabredungen, und der Augsburger „Figaro“ hat mindestens genausoviel zum Erfolg beigetragen wie der „Holländer“. Aber die Inszenierung eines Werks in Bayreuth wird ja international breitestens diskutiert, und das ist es doch, was man sich als Regisseur wünscht. Wann kriegt man schon mal so ein breites Feedback auf seine Arbeit?

Es passiert praktisch nie, dass Regisseure außerhalb der Wagner-Familie zweimal nach Bayreuth eingeladen werden. Kommt Wehmut beim Gedanken auf, dass Sie den Grünen Hügel künftig nur noch als Teil des Publikums betreten und nicht mehr als Teil der Mannschaft?

Gloger: Bayreuth hat eine ganz bestimmte, unverwechselbare Aura, die vor allem etwas mit der Arbeitsatmosphäre zu tun hat, und von der habe ich mich gerne wieder einfangen lassen. Ich schaue auf Bayreuth nicht abgeklärt, weil das überhaupt nicht das Gefühl ist, was man zu Bayreuth haben kann, es ist ja so ein Tanz aus Ablehnung und Anziehung. Etwas sentimentaler Abschiedsschmerz spielt natürlich mit. Nach der endgültig letzten Holländer-Vorstellung am 26. August werde ich fragen, ob ich die Holländerfigur als Andenken mitnehmen darf, die Senta auf der Bühne bastelt.

Werden Sie weiter Wagner-Opern inszenieren?

Gloger: Tatsächlich habe ich gerade ein Angebot für eine Wagner-Oper auf dem Tisch. Aber neben meiner Schauspiel-Arbeit kann ich nur eine Opernregie im Jahr entwickeln und überlege mir sehr gut, was ich an welchem Haus mache. Als ich den Holländer konzipiert habe, war ich noch am Anfang, seither habe ich zehn Opern inszeniert und bin 36. Es hat sich viel verändert in diesen sieben Jahren. Meine beiden Standbeine Schauspiel und Oper werde ich in jedem Fall beibehalten. Und ich werde mich nach der „Cosi“ in London weiter mit Mozart beschäftigen, denn bei ihm geht es um die Ergründung des menschlichen Lebens. Richard Strauss ist seit dem „Rosenkavalier“ in Amsterdam meine große neue Liebe. Außerdem wage ich mich jetzt erstmals an eine Operette, da bin ich sehr gespannt.

Sie sind neuer Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg. Warum haben Sie sich wieder für eine Leitungsposition an einer Bühne entschieden?

Gloger: Der Mensch ist zwiegespalten zwischen Abenteuerlust und der Sehnsucht, anzukommen. Als freischaffender Regisseur ist man jeweils sechs Wochen lang an einem Haus mit tollen Leuten zusammen, kommt in sehr nahen Austausch mit den Kollegen und ist dann wieder weg. Man erntet sehr wenig. Mir ist es aber wichtig, dass man in einer Stadt wohnt und den Kontakt mit dem Publikum findet. Das Wichtigste am Theater sind Kontinuität und Vertrauen. Meine Position in Nürnberg bedeutet die Gründung einer Theaterfamilie, da kommen jetzt Künstler hin, mit denen ich seit zehn Jahren arbeite. Wir sind mitten in den Vorbereitungen für die neue Spielzeit. Zur Eröffnung gibt es ein Ionesco-Projekt, bei dem ich dessen absurde Texte für unsere absurde Zeit neu entdecken will. Ob man aber als Westfale je Franke werden kann, wird die Zeit zeigen.

Die „Mee Too“-Debatte um Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt hat jetzt die Theater erreicht. Wie geht die junge Regisseurs-Generation mit dem Thema um?

Gloger: In meinen Lehrjahren am Theater habe ich so viel Unschönes erlebt, dass ich fast gar nicht in diesen Beruf gegangen wäre und mir immer geschworen habe, die Sache anders anzugehen. Die Probe ist ein geschützter Raum, in dem auch Reibungshitze entstehen kann. Aber das ist eine Verabredung nur für diesen geschützten Raum. Außerhalb der Probe, in einem Besetzungsgespräch oder im allgemeinen Umgang, da sollten die allgemeinen Regeln und Werte beachtet werden, die in jedem Unternehmen gültig sind, da braucht das Theater keine Extrawurst.