Hamburg. Zahl der Brutpaare hat sich in fünf Jahren verdoppelt. Die Tiere gehören zum Stadtbild, bereiten aber immer öfter Probleme.

Üblicherweise ist an warmen Tagen Hochbetrieb auf der Alsterwiese am Schwanenwik. Doch in den vergangenen Wochen ließen sich immer weniger Menschen zum Picknicken, Grillen oder Spielen auf dem Rasen nieder. Kein Wunder. Die Wiese ist zum Treffpunkt für Wildgänse geworden. Sie hinterlassen hier flächendeckend Kothäufchen und – wenn von Mai bis Juli die Mauser stattfindet – auch Daunen- und Deckfedern. Kein schöner Anblick auf dem ohnehin hitzegeschädigten Rasen, der an ufernahen Stellen vollständig weggefressen und kahl getreten ist.

Auch auf dem Ohlsdorfer Friedhof kennt man diesen Anblick. Hier wandern die Gänse in großen Gruppen von See zu See. „Mal sind sie am Prökelmoorteich, mal am Teeteich und mal am Bramfelder See“, sagt Sprecherin Hedda Scherres. Jede Fläche wird von der Gänseschar, die Scherres auf mittlerweile bis zu 80 Tiere schätzt, völlig verschmutzt hinterlassen. „Beschwerden über die Gänse gibt es nicht, aber ihre Hinterlassenschaften stören sehr.“

Klima trägt zum Gänseüberschuss bei

Tatsächlich ist die Zahl der Grau- und Kanadagans-Brutpaare in Hamburg in den vergangenen fünf Jahren von 270 auf 550 gestiegen und hat sich damit mehr als verdoppelt. Nachdem in den 1960er-Jahren zwölf Paare der im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa ausgestorbenen Tiere angesiedelt wurden, hatten sie sich zunächst nur langsam vermehrt. 1995 wurden 34 Paare gezählt, 2001 dann 122. Als Gründe für die wachsende Population vermutet der Hamburger Graugans-Experte Simon Hinrichs die Fähigkeit der Gänse, sich auf ihr Umfeld einzustellen (etwa auf Mensch und Verkehr), das Fehlen natürlicher Feinde und die milden Winter. „Außerdem werden sie mittlerweile flächendeckend erfasst“, sagt Simon, der selber als ehrenamtlicher „Beringer“ für das Projekt „Gans Hamburg“ arbeitet.

Jetzt aber sei „die Obergrenze erreicht“, so Hinrichs. Zumal zur Mauser auch viele Gänse aus dem Umland nach Hamburg kommen. Durch den Verlust der Federn flugunfähig, bevorzugen sie gewässernahe Wiesen, die sanft zum Ufer hin abfallen. Hier können sie barrierefrei ins Wasser und an Land, außerdem haben sie so das Gelände gut im Blick. „Nähert sich etwa ein Hund, können sie schnell die Flucht ergreifen“, so Hinrichs. Aus den gleichen Gründen tummeln sich an solchen Stellen aber auch Gänsefamilien mit Küken. Es wird also voll – mit fatalen Folgen auch für die Gänse: Das Futter wird knapp, es kommt zu Stress – und dadurch zu weniger Bruterfolg. „Das Problem der Überpopulation reguliert sich also von selbst“, erklärt Hinrichs.

Nicht nur den Gänsen wird es zu viel

Auch das Klima trage dazu bei. Seien die Küken sonst eher von Kälte und Nässe bedroht, wäre etlichen in diesem Jahr der frühe sommerliche Freizeitverkehr auf der Alster zum Verhängnis geworden. „Sie mussten Paddlern, Seglern und Barkassen ausweichen und waren dadurch geschwächt, manche wurden sogar von Rudern erschlagen.“

Doch nicht nur Gänse haben wegen ihres zahlreichen Auftretens Stress. Auch manchen Menschen wird es zu viel. So beklagen Landwirte, dass sich immer mehr Gänse auf Wiesen, Äckern und in Gartenbaubetrieben aufhielten. „Dort verursachen sie durch Fraß, Tritt und Verkotung Ernteverluste und Qualitätsminderungen“, sagt Carola Bühler von der Landwirtschaftskammer.

Das Füttern der Gänse kann zur Überpopulation beitragen

Auch die Übertragung von Zerkarien nimmt mit der wachsenden Gänsepopulation zu. „Die kleinen Würmer gelangen mit dem Kot von Wasservögeln ins Wasser und können beim Menschen zu juckenden Hautreizungen und Entzündungen führen“, sagt Björn Marzahn, Sprecher der Umweltbehörde. Das „mikroregionale Problem“ trete derzeit am Stadtparksee auf.

Badegäste werden dort gebeten, auf einen „unnötig langen Aufenthalt in Flachwasserbereichen mit Ufervegetation“ zu verzichten und nasse Badebekleidung zügig abzustreifen. Vor allem aber werden die Besucher des Stadtparksees ersucht, Wasservögel nicht zu füttern, da das zur unnatürlich hohen Population führe und das Risiko eines Zerkarienbefalls erhöhe. Gänse, die eigentlich Zugvögel sind, würden durch das Füttern zum Bleiben animiert, so Marzahn. Auch das habe das Anwachsen der Population begünstigt.

„Erholungsparks dürfen keine XXL-Gänseklos werden“

Auch andernorts in Hamburg-Nord verursacht die wachsende Gänseschar Ärger. Bootsbesitzer am Osterbekkanal klagten ebenso über deren Hinterlassenschaften wie ein Dulsberger Sportverein, der seine Anlage nicht mehr nutzen konnte. Entsprechend forderte Stefan Baumann von der CDU-Bezirksfraktion: „Erholungsparks dürfen keine XXL-Gänseklos werden.“ Nachdem sich Bezirksversammlung und Umweltausschuss mit dem Thema beschäftigt hatten, wurde der Antrag, der den Bezirk aufforderte, der Problematik der wachsenden Gänsepopulation „naturverträglich zu begegnen“, mehrheitlich abgelehnt. „Parteipolitische Gründe“, glaubt Baumann. Ein im Mai beschlossener Alternativantrag, in dem Rot-Grün ein „Gänsemanagement“ fordert, käme für diese Saison zu spät. „Hamburg ist für die vielen Gänse zu eng.“ Gerade erst seien vor seinen Augen Gänse angefahren worden, die zuvor auf einer Verkehrsinsel gegrast hatten.