Altona. Im zentralen Lager in Altona lagern Tausende Stücke, darunter reichlich Kuriositäten

    Ein Ehemann, der nach knapp einem Jahr auf die Idee kommt, nach seinem verlorenen Ehering zu suchen – das soll es nur in Telenovelas geben? Nicht ganz, denn das wahre Leben schreibt immer die spannendsten Geschichten. Und Karen Hilgendorf erlebt sie täglich, denn sie ist die Leiterin des zentralen Fundbüros in Hamburg und verantwortlich für 14 Mitarbeiter. „Hier gibt es wirklich nichts, was es nicht gibt“, sagt Hilgendorf. „Dass jemand aber erst nach so langer Zeit nach seinem Ehering fragt, das ist schon skurri.:“

    An ihrem Arbeitsplatz ist vollkommenes Glück über wiedergefundene Schätze nah dran an purer Verzweiflung darüber, dass Wertgegenstände nicht auffindbar sind. Letztere dürfte wohl bei besagtem Ehemann vorhanden gewesen sein, denn falls sein verlorener Ehering überhaupt im Fundbüro abgegeben wurde, war er nach fast einem Jahr entweder eingeschmolzen oder versteigert (sofern keine persönlichen Daten eingraviert waren).

    Für die abgegebenen Fundsachen gibt es unterschiedliche Fristen, wie lange sie im Lager des Fundbüros aufbewahrt werden. Bei Dingen, die in Bussen oder Zügen der Hochbahn gefunden werden, liegt diese Frist bei zwei Monaten, Fundsachen aller anderen Orte werden ein halbes Jahr lang aufbewahrt. „Die Hochbahn müsste bei längeren Lagerfristen weitere Lagerräume anmieten, deswegen ist der Zeitraum kürzer“, sagt deren Sprecherin Christa Dietzel. Der Ehemann ohne Ehering kam also einige Monate zu spät. Aber er ist kein Einzelfall. „Im vergangenen Jahr lag die Rücklaufquote der rund 40.000 Fundstücke bei 23 Prozent“, sagt Karen Hilgendorf.

    Nach sechs Monaten kommt es zur Versteigerung

    Im Umkehrschluss bedeutet das, dass 77 Prozent der Fundsachen nicht abgeholt werden. Und das, obwohl von großen bürokratischen Hürden nicht die Rede sein kann. Sobald ein Fundstück von der Hochbahn, der Polizei oder anderen Institutionen abgeliefert wird, werden die Merkmale im System eingegeben, sodass man schon per Onlinesuche fündig werden kann. Für alle, die lieber zum Telefon greifen oder über die Onlinesuche im Lagerhaltungsprogramm nicht fündig werden, gibt es die Telefon-Hotline. Wer dort anruft, hat den telefonischen Hamburg-Service am Apparat, der ebenfalls Zugriff zum Lagerhalterungsprogramm hat. Im Normalfall können verlorene Gegenstände also innerhalb weniger Tage ausfindig gemacht und abgeholt werden.

    Sofern sich Ausweisdokumente oder andere Hinweise, anhand derer man den Eigentümer identifizieren kann, in dem Fundstück befinden, wird er vom Fundbüro über den Verbleib seines verlorenen Gegenstands informiert. In den Regalen der Lagerräume häufen sich Taschen mit Ausweisdokumenten, vereinzelt haben es Exemplare spanischer oder amerikanischer Besitzer hierher geschafft. „In solchen Fällen geben wir die Fundsache an die Auslandsabteilung weiter, die es dann an die jeweilige Botschaft gibt, damit sie von dort aus zurückgeschickt werden kann“, sagt Karen Hilgendorf.

    Die Lagerhallen belegen, dass es hier tatsächlich jedes denkbare und undenkbare Fundstück gibt. Ein ein Meter hoher Gartenzwerg lächelt der Büste von Johann Wolfgang von Goethe zu, während eine Jesus-Statue zu ihnen hinabblickt. Diese Szenerie wird eingerahmt von einem Schuh für einen gebrochenen Fuß und einem Rollstuhl. Und oben drüber thront ein Laubbläser. Auch ein Kinderwagen und ein Fernsehbildschirm sind nicht weit weg. Wenn es einen Ort unzähliger Geschichten gibt, dann ist es wohl dieser.

    „Das hier ist eine Institution, die Leute glücklich macht. Das ist wirklich etwas Schönes“, sagt Hilgendorf. Und all die unglücklichen Gegenstände, die nicht mit ihren Besitzern vereint werden, werden zu Geld gemacht. Viermal im Jahr gibt es die sogenannte Saalversteigerung, wo alle Fundstücke, die keine Fahrräder sind, versteigert werden. Da keine Einzelstücke, sondern nur Sammlungen verschiedener Dinge versteigert werden, sind vor allem Händler daran interessiert. In den vorbereiteten Kisten werden bereits Kinderschuhe, Regenschirme und Krücken gelagert. Und eine ganze Kiste mit Drohnen gibt es auch. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Versteigerungen nicht nur Händlern vorbehalten sind, sondern auch Privatpersonen inklusive Film- und Fotoliebhabern. Der nächste Termin ist am 1. August.

    Fundbüro muss jährlich 250.000 Euro erwirtschaften

    Für Fahrräder gibt es die Versteigerungen alle zwei Wochen – wenn nicht gerade Sommerferien sind oder im Dezember und Januar tiefster Winter herrscht. Die nächste Fahrradversteigerung findet am 18. August anlässlich der Cyclassics statt, wo auf dem Rathausmarkt 90 besonders gute Exemplare unter den Mann oder die Frau gebracht werden sollen. „Von der Stadt aus sind wir verpflichtet, jährlich einen Versteigerungserlös von 250.000 Euro zu erzielen“, sagt Hilgendorf. Bisher wurde die Summe immer erreicht. Von Ende dieses Jahres an oder zu Beginn des kommenden Jahres ist zusätzlich eine Kofferversteigerung geplant. Warum Koffer? Laut Hilgendorf ist die Nachfrage nach Koffern sehr hoch. Nur der genaue Zeitpunkt und der Versteigerungsort stehen noch nicht fest.

    Ob der eheringlose Ehemann mittlerweile ein Ex-Ehemann ist, ist nicht bekannt. Vielleicht ist die geplante Kofferversteigerung aber auch für ihn relevant, im besten Fall für eine gemeinsame Reise, im schlechtesten für einen Auszug. So oder so wäre es eine weitere der vielen Tausend Geschichten des Hamburger Fundbüros.