Ilse Heile, Jahrgang 1931, lebte in Eimsbüttel:
    Wir wohnten 1943 am Pinneberger Weg. Da mein Vater eingezogen worden war, musste sich meine Mutter als Alleinerziehende durchschlagen – mit fünf kleinen Kindern, von denen das jüngste erst 1942 geboren worden war. Als der Bunker an der Eimsbüttler Straße fertiggestellt war, mussten wir dorthin laufen, sobald Voralarm gegeben wurde: Meine Mutter trug eine Tasche mit Papieren und meinen jüngeren Bruder, mein Schwester schleppte Trinkbares, mein großer Bruder einen Koffer mit Kleidung, und ich war für das Baby zuständig. Uns war eine junge Russin zugeteilt – eine Zwangsarbeiterin aus Kursk, mit der wir uns gut verstanden. Sie durfte nie mit in den Bunker, sondern musste bei der Brandbekämpfung helfen.

    Unsere Familie kam nach Ostpreußen, wo Verwandten lebten. Wir blieben in Hinterpommern, bis wir 1945 erneut fliehen mussten – diesmal vor den Russen. Unterwegs ist mein Großvater umgekehrt – er wollte wieder zurück zu seinem Hof. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Auch die Russin, die wir mitnahmen, kam mit ziemlicher Sicherheit ums Leben. Menschen wie sie wurden der Kollaboration verdächtigt und sehr oft umgebracht. Alle meine Nachforschungen, sie wiederzufinden, blieben völlig ohne Ergebnis.

    Heute stelle ich mit Schrecken fest, dass viele Menschen gegenüber Flüchtlingen wieder hartherzig sind, ohne dass sich ein Gefühl der Verantwortung einstellt. Die Menschen verstehen immer noch nicht, dass Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist und jederzeit wieder infrage gestellt werden kann.