Hamburg. Bei den Privattheatertagen gastierten „Das Lächeln am Fuße der Leiter“ aus Dresden und „Die Tanzstunde“ aus Berlin.

Jede Inszenierung, die bei den Privattheatertagen in Hamburg zu Gast ist, bewirbt sich automatisch um den Monica Bleibtreu Preis. Und jeder Zuschauer gibt am Ende jeder Vorstellung mit seiner Eintrittskarte eine Stimme für den Publikumspreis ab. Ein Vorgang, der wie eine Verstärkung oder Bestätigung des Applauses wirkt, jener abschließenden Liebes­bekundung, um die ein Darsteller ja ­ohnehin allabendlich spielen darf und manchmal ringen muss – sei er nun ein Schauspieler auf dem Theater oder ein Clown in der Manege.

Ein Stück wie Henry Millers „Das Lächeln am Fuße der Leiter“, in dem sich nur ein einziger Schauspieler im Lichtkegel des Scheinwerfers behauptet, passt da geradezu unheimlich ­genau. Die Vorstellung des Dresdner Societaetstheater, die an den Kammerspielen gastierte, entblättert die ­Bedürftigkeit der Künstlerseele anhand des talentierten Clowns August. Er will den Menschen nicht nur ein Lachen entlocken, er will wahrhaftige Freude schenken, „das Geschenk einer unablässigen, stetig sich neu ­erweckenden, neu sich speisenden Freude“. Und er scheitert, obwohl berühmt und gefeiert, an diesem Anspruch.

Tom Quaas spielt dieses Solo als existenziell Zweifelnder, als Suchender, der um sein Leben spielt und ­erkennen muss, dass „Erfolg“ und „Glück“ nicht immer dasselbe sind. Er springt mit bemerkenswerter Genauigkeit zwischen verschiedenen Figuren und Zuständen, schafft Melancholie ohne zu viel Pathos, Leichtigkeit durch charmante Taschenspielertricks und Poesie durch Zartheit und Klarheit.

Eine Geschichte von zwei Außenseitern

Der Abend ist anrührend und er ist vor allem eine ganz große schauspielerische Leistung – und wer dem Text auch nur ein wenig zuhört, der ahnt, wie gut es auch dem Schauspieler Tom Quaas tun muss, dass er eben doch nicht ganz allein auf der Bühne steht, sondern im Verborgenen durch Paula Henke-Quaas (als eine Art Puppenspielerin und Requisitenfee) unterstützt wird.

Wie berührend und ähnlich spielerisch begeisternd eine Boulevardkomödie sein kann, beweisen Oliver Mommsen und Tanja Wedhorn im Altonaer Theater in „Die Tanzstunde“ von Mark St. Germain. Martin Woelffer führt Regie bei diesem erstaunlichen Kleinod, das an der Komödie am Kurfürstendamm in Berlin herauskam. Sie belegt, dass die Traditionsbühne längst über den klassischen Boulevard mit seinen Ehebetrugs- und Verwechslungsgeschichten, mit realistischen Bühnenbildern und klappernden Türen hinausgewachsen ist. „Die Tanzstunde“ erzählt eine etwas andere Liebesgeschichte, eine Geschichte von zwei Außenseitern. In ihrem Apartment, das durch eine projizierte Stadtsilhouette im New York der Gegenwart angesiedelt ist, spült die Tänzerin Senga Quinn Schlaftabletten mit Wein ­herunter. Nach einer unfallbedingten Beinverletzung ist sie ausgebremst, die Rückkehr auf die Bühne mehr als ungewiss. Ein niederschmetternder Tiefpunkt.

Da steht ihr Nachbar Ever Mont­gomery vor der Tür. „Habe ich Sie beim Selbstmord gestört? Ich kann morgen wiederkommen“, leitet er seinen ­Besuch ein. Auf dieser Klaviatur herrlich bittersüßer Ironie spielt der Abend munter weiter. Der geniale, aber offenbar lebensuntüchtige Geowissenschafts-Professor fragt am Anfang nur ungelenk eine Tanzstunde für eine ­Gala an, die die Tänzerin erst einmal ausschlägt. Irgendwann ­ergibt sie sich seinen penetranten ­Anfragen und es kommt zur allerdings deutlich ­erschwerten Unterrichtsstunde. Ever offenbart, dass er das Asperger-Syndrom hat, eine Form des Autismus.

Der Abend folgt der behinderten Tänzerin mit Soziophobie und dem ­Autisten mit Berührungsangst, wie sie sich in aller Zartheit annähern. Das geht natürlich nicht ohne Hindernisse und Wortgefechte ab, die mit ihrer schonungslosen Offenheit entwaffnen.

Uneingestandene Ängste und ein Familiengeheimnis

Ever kann weder Mimik anderer lesen noch selbst aussenden, also übt er vor dem Spiegel. Und schließlich ist ausgerechnet er es, der bei der gehandicapten Tänzerin auch uneingestandene Ängste und ein Familiengeheimnis aufdeckt. Man sieht zwei Menschen, die sich unverhofft gegenseitig weiterbringen auf dem Pfad des Lebens. Mommsen, als „Tatort“-Kommissar weithin bekannt, spielt diese Rolle glaubwürdig und ohne die Figur je zu verraten. Und auch Wedhorn verleiht der innerlich verhärteten Tänzerin erstaunliche ­Facetten. Zusammen geben sie ein hinreißend verhindertes Liebespaar ab.

Hinter seinen etlichen Pointen verbirgt das Stück einiges an Tiefe. Und da ist es nur konsequent und erfrischend anders, wenn das Stück nach einem grandiosen traumartigen Paartanz der beiden eben nicht einfach so in ein Happy End mündet, sondern ­offen bleibt, dabei aber eine Botschaft in sich trägt: Veränderung braucht Mut. Ein furios gespielter Abend, der sich zumal in diesem Genre einiges traut. Und dafür verdient Standing Ovations kassiert.

Privattheatertage bis 1.7., Infos und Karten unter www.privattheatertage.de