Hamburg. Mancher Sozialdemokrat fragt sich mit Blick auf den kleineren Koalitionspartner: Ist denn schon Wahlkampf?

    Es stand schon einmal besser um die rot-grüne Rathauskoalition. Das liegt an den strittigen Themen, also den Problemen im Bündnis, aber auch an der Stimmung, dem Klima zwischen den Partnern. Man sagt sich von Rot zu Grün und umgekehrt deutlicher die Meinung – auch öffentlich. Das gilt für die SPD, etwa wenn Parteichefin und Sozialsenatorin Melanie Leonhard gegen die Fahrrad-Partei Grüne auf dem Parteitag stichelt: „Wir verlieren nicht aus dem Blick, dass manche Menschen das Auto benötigen.“

    Das gilt für die Grünen, wenn Umweltsenator Jens Kerstan und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ mit ihrer Unterschrift unterstützen, die das Abschalten des Kohlemeilers Moorburg bis 2030 fordert, und den Koalitionspartner damit unter Druck setzen. Die SPD will zwar auch raus aus der Kohle, umstritten ist aber wann, wie und vor allem um welchen Preis.

    Nach dem Scholz-Weggang wird die Macht neu austariert

    Für heftige Gereiztheit bei den Sozialdemokraten sorgte auch Justizsenator Till Steffen (Grüne), der eine Bundesratsinitiative des Berliner rot-rot-grünen Senats zur Verschärfung des Mietrechts im Abendblatt-Gespräch offen unterstützte, während die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt sie ablehnt.

    Zwei Gründe für den Klimawechsel fallen besonders ins Auge: Zum einen ist der große Zampano und Koalitionsdompteur Olaf Scholz (SPD) nicht mehr da. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist so klug, gegenüber den Grünen mehr auf Augenhöhe zu setzen. Ein „Weiter so“ hätte ihm der Juniorpartner auch kaum durchgehen lassen. Zum anderen rückt die nächste Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2020 immer näher, was ohnehin die Neigung verstärkt, politisch mehr auf das eigene Konto einzahlen zu wollen.

    Noch geht es nur um Nuancen, um leichte Frustrationen und vor allem intern wahrnehmbare Erschütterungen im Koalitionsgebälk. Verglichen mit den Kesselflickern von CDU und CSU, die in Berlin vor dem erstaunten Publikum agieren, arbeitet im Rathaus noch immer ein rot-grüner Harmonieverein. Und doch: Die Zahl der Dissonanzen nimmt fraglos zu.

    Die Lage im Bündnis wird zusätzlich erschwert, weil die Sozialdemokraten selbst nach einem neuen Rollenverständnis suchen. Der Weggang von Scholz bedeutet für die Partei eine Zäsur. Jetzt stellt sich den Genossen die Frage, was von dem autoritären, aber erfolgreichen Regierungsmodell Scholz bleibt oder, anders ausgedrückt, wie viel sich sinnvollerweise erhalten lässt. Dabei geht es gleichzeitig darum, die innerparteilichen Machtstrukturen neu auszutarieren, nachdem mit Scholz gleichzeitig der Bürgermeister und der Parteichef verschwunden ist. Dass die Grünen diese neu gewonnene Freiheit auch genießen, macht die Sozialdemokraten nur zusätzlich nervös.

    Ein Sozialdemokrat, der gegenwärtig sein politisches Gewicht auslotet und seine Rolle definiert, ist der neue Bürgerschaftsfraktionschef Dirk Kienscherf. Der langjährige Vorsitzende des SPD-Distrikts Hamm-Borgfelde, einem klassischen Arbeiterstadtteil, prescht gelegentlich mit Vorschlägen vor und fällt mit klarer Sprache auf. „Ich war etwas mutiger, aber ich bin auch nicht in der Senatsverantwortung“, sagte Kienscherf unbekümmert, nachdem seine Zusage, der Senat werde am Dienstag eine Neufassung der vom Landgericht kassierten Verordnung über die Mietpreisbremse auf den Weg bringen, nicht eingehalten wurde.

    Kienscherf zeigt bisweilen auch klare Kante gegen den Senat. Bei einer Sitzung der SPD-Fraktion in Bergedorf ging er Innensenator Andy Grote (SPD) an, weil die Innenbehörde den Abgeordneten eine Stellungnahme zum Abbiege-Assistenten für Lkw nicht rechtzeitig geliefert hatte. Grote sagte etwas kleinlaut Besserung zu. Bei seinen SPD-Abgeordnetenkollegen kommt Kienscherfs forsch-selbstbewusstes Auftreten durchaus an.

    Dass der Fraktionschef im Abendblatt-Interview erklärte, Hamburg könne auch 2,2 Millionen Einwohner verkraften, führte zu einer Debatte über die Entwicklung der Stadt, die Zunahme der Verkehre und den Verlust von Grün infolge des dann erforderlichen Wohnungsbaus. Auch SPD-seitig war man darüber im Senat nicht sehr amüsiert. Der „Flächenfraß“ infolge des Wachstums der Stadt gilt zwischen SPD und Grünen als heikles Thema. Nicht zuletzt deswegen, weil die Bürger auch in den vielen nach wie vor ziemlich grünen Stadtteilen leicht gereizt reagieren, wenn wieder eine Wiese zugebaut werden soll.

    Bis vor Kurzem war das „A-Team“ ein Stabilitätsanker

    In den ersten Jahren des rot-grünen Bündnisses war die Achse der beiden Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) ein Stabilitätsanker. Das berühmt-berüchtigte „A-Team“ ist Geschichte, seit Dressel Finanzsenator wurde. Viel wird nun davon abhängen, ob Kienscherf und Tjarks zu einer ähnlich engen Zusammenarbeit finden. Kienscherf trägt das rot-grüne Koalitionsprogramm selbstverständlich mit. Doch intern macht der SPD-Fraktionsvorsitzende gelegentlich deutlich, dass man es mit der Nähe zum Koalitionspartner auch nicht übertreiben sollte.

    Als sich die Altonaer SPD-Abgeordneten in einer Fraktionssitzung über die zahlreichen Proteste vor Ort gegen die von den Grünen durchgesetzten Diesel-Fahrverbote beklagten, verteidigte SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal die umstrittenen Maßnahmen. „Wir müssen den Altonaer Genossen helfen“, befand Kienscherf und beendete die Debatte damit.

    Dressel und Tjarks unternahmen irgendwann gemeinsame Famlienurlaube. Zwischen Kienscherf und Tjarks herrscht nach Ansicht von Beobachtern eher ein Arbeitsverhältnis. Die Grünen attestieren dem Roten aus der SPD Hamburg-Mitte aber „ein rot-grünes Grundverständnis“.

    In der aktuellen Situation können kleine Schritten schon viel bedeuten. In dieser Woche wurde bekannt, dass der Senat gegenüber den Investoren des geplanten Elbtowers an den Elbbrücken auf eine öffentliche Aussichtsplattform drängt. Kienscherf und Tjarks sehen das durchaus als gemeinsamen Erfolg an und als Rückenwind für die Akzeptanz des 233 Meter hohen Turms unter den rot-grünen Abgeordneten, von den manche die Planungen bislang durchaus skeptisch sehen.