Hamburg . Seit Beginn sind Konzerte in der Elbphilharmonie meist ausverkauft. Aber wie findet der Generalintendant eigentlich sein Publikum?

Die besten Orchester der Welt und viele große Popkünstler sind bereits im neuen Konzerthaus aufgetreten. Jener Elbphilharmonie, die immer ausverkauft ist und auch Menschen ins Konzert lockt, die vorher entweder nie in ein Konzert gingen oder nur dann, wenn sie den Künstler kannten. Manche von ihnen räuspern sich an der falschen Stelle oder gehen vor Konzertende. Was nicht selten andere Besucher nervt und vielleicht auch die Künstler. Kann die Elbphilharmonie künftig ihre Besucher zu einem angemessenen Verhalten erziehen? Will sie das überhaupt? Was ist ein angemessenes Verhalten? Das Abendblatt traf Generalintendant Christoph Lieben-Seutter zum Interview.

Ist das manchmal auch eine quälende Erfahrung für Sie, wenn Sie als Klassikkenner oder Pop­enthusiast im Großen Saal sind?

Christoph Lieben-Seutter: Sie spielen auf das Husten der Besucher an sensiblen Stellen an? Sicherlich quält einen das auch mal. So wie Handy-Fotos im Konzert mit Blitz oder Auslöser-Ton!

Bei Pop- kommt es weitaus mehr als bei Klassikkonzerten vor, dass Besucher vorher gehen. Sie sind dann durchaus ein störendes Element – auch für die Menschen auf der Bühne.

Dank der Saalarchitektur fallen Publikumsbewegungen in der Elbphilharmonie besonders auf. Aber bei Pop­konzerten gelten andere Regeln als im klassischen Konzert. Im Docks oder in der Sporthalle gehst du einfach mal auf die Toilette, zwischendurch ein Bier holen oder auch schon mal vor Konzertende nach Hause. Am Ende liegt es allerdings immer auch an den Künstlern, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Bei wirklich tollen Konzerten geht niemand.

Es gibt auch etliche, die mit den Künstlern auf der Bühne schlicht nichts anfangen können und hauptsächlich wegen des Saales da sind. Denen ist es im Zweifel egal, ob sie irgendjemanden stören oder ob sie ­respektlos gegenüber der Kunst sind.

In Hamburg gehen jetzt dreimal so viele Menschen ins Konzert als noch vor zwei Jahren. Logischerweise sind da viele Erstbesucher dabei, das ist ja auch eine fantastische Chance für die Musik und die Künstler. Auch wenn nicht alle ihren Konzertbesuch am konkreten Programm des Abends ausrichten, ein tolles Konzert wollen sie trotzdem erleben. Manche sind vielleicht auch mal überfordert, aber dass Konzerte durch unerfahrene Besucher beeinträchtigt werden, kommt viel seltener vor, als zurzeit gerne behauptet wird. Und die Leute meinen es ja im Grunde nie ­respektlos. Wenn jemand im Großen Saal mit seinem Handy hantiert, dann denkt er einfach nicht daran, dass er nicht nur 2000 Leute vor sich sieht, sondern dass dieselben 2000 Leute auch ihn sehen.

Kürzlich haben Sie dem Publikum vor einem Konzert erklärt, wann es am besten angezeigt wäre, sich im Falle des Falles zu räuspern.

Ja, das mache ich gerne, weil man mit ein paar Hinweisen große Aha-Effekte erzielen kann. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass Stille zur Musik gehört. Zu schnelles Applaudieren oder Geräusche an leisen Stellen zerstören dieses wunderbare Erlebnis für alle im Saal. Und wenn man sich schon räuspern muss, dann am besten an lauten Stellen in der Musik. So bekommen es nur die Sitznachbarn mit und nicht der ganze Saal.

Wollen Sie das künftig bei jedem Konzert machen?

Nein, das wäre auf die Dauer kontraproduktiv, weil ja die meisten Besucher im Saal Bescheid wissen. Wir werden es so halten, dass von Zeit zu Zeit eine Ansage gemacht wird, wenn wir bei einem heiklen Programm ein besonders unerfahrenes Publikum erwarten. In unseren Pre-Visit-Mails, die alle Besucher unserer Eigenveranstaltungen erhalten, deren E-Mail-Adresse uns bekannt ist, verweisen wir auf eine Art Konzert-Knigge auf unserer Homepage.

Eher weniger vorstellbar ist, dass Sie vor einem Popkonzert dem Publikum, von dem man eben weiß, dass es keineswegs in Gänze den oder die Künstler kennt, im Zweifel eine Portion Langmut empfehlen.

Nein, es sei denn, die Künstler bitten darum. Und dass Gäste blind buchen und dann überrascht sind, dass sie in einem Popkonzert sitzen, kommt jetzt schon viel seltener vor als in den ersten Monaten nach der Eröffnung.

Mal bewusst einfach gefragt: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Publikum?

Ja, absolut. Und zwar, weil das Publikum in der Elbphilharmonie meistens viel offener für Neues und Unbekanntes ist als das traditionelle Klassikpublikum. Beispielsweise kommen Werke des 20. und 21. Jahrhunderts, die anderswo als Kassengift gelten, in der Elbphilharmonie oft besonders gut an. Wohl auch, weil der Saal akustisch und ästhetisch für diese Musik besonders geeignet ist.

Überhaupt ist die weiterhin erstklassige Auslastung etwas, was das Programm­machen leichter macht.

Stimmt, ich schaue dennoch dem Abflauen des Elbphilharmonie-Hypes mit Gelassenheit entgegen. Wenn der Run auf die Tickets mal etwas nachlässt, kommen die Musikkenner wieder mehr auf ihre Kosten. Die sind zu Recht derzeit oft frustriert, weil sie zwar genau wissen, was sie hören wollen, der Kartenkauf aber eine reine Lotterie ist.

Um noch einmal auf die Popmusik zurückzukommen – müssen Sie Veranstaltern, die den Großen Saal buchen wollen, eigentlich oft einen Korb geben?

Ja, durchaus. Es muss stilistisch passen. Die Elbphilharmonie ist in erster Linie für klassische Konzerte gebaut worden, und elektrische Verstärkung in einem auf akustische Musik ausgerichteten Saal ist immer eine Herausforderung. Dank moderner Technik kriegen wir den Sound gut hin, aber nur mit mehr Aufwand als andernorts.

Daher tun wir uns mit akustischen Sets leichter. Eine Hardrockband braucht einen anderen Ort, und die Veranstalter, mit denen wir oft zusammenarbeiten, wissen das auch. Und weil der Saal steil und bestuhlt ist, muss es auch nicht unbedingt Musik zum Tanzen sein.

Auf was müssen sich Popkünstler noch einstellen?

Darauf, dass sie im Großen Saal vom Publikum umzingelt sind. Das ist für die meisten erst einmal ungewohnt, weil Sound- und Lichtsysteme üblicherweise frontal ausgerichtet sind. Für einen Auftritt in der Elbphilharmonie bereiten sich manche Künstler besonders vor und lassen sich mit einem speziell auf den Saal zugeschnittenen Programm auf diesen Ort ein.

Anohni, Rufus Wainwright, Kings of Convenience, Element of Crime, Tindersticks: Das Programm ist dann vorzüglich, wenn es eher um getragene Sounds geht. Rock wie der von The National fremdelt aber eher. Welches Konzert würden Sie im Nachhinein nicht mehr machen?

The National war auf einer Tour durch große Hallen und hat für die Elbphilharmonie das halbe Equipment im Truck gelassen. Das Konzert war trotzdem ein großes Erlebnis. Bereut habe ich eigentlich bisher kein Konzert. Bei Lambchop, einer meiner Lieblingsbands, muss ich allerdings sagen, dass ich enttäuscht war. Das letzte Album, mit dem die Band auf Tour war, war sicher nicht ihr stärkstes, ihr ohnehin zurückhaltender Sound noch reduzierter. Damit hatte die Band es schwer, das Publikum zu überzeugen.