Hamburg . Festival eröffnet mit „Ghetto“. Axel Schneider bangt um Budget, Senator Brosda plädiert für Geld vom Bund.

Lange Reden machen vor Theateraufführungen normalerweise keinen Sinn. Vor dem Auftakt der bundesweiten Privattheatertage (PTT) mit dem Stück „Ghetto“ gab es gleich zwei – und bei beiden lohnte sich das Hinhören: Erst sprach im Altonaer Theater wie gewohnt Hausherr Axel Schneider, danach erstmals Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda.

In beider Reden ging es um die Bedeutung von aus privater Initiative gestaltetem Theater, für die der Staat die Rahmenbedingungen schaffen solle, mithin also auch ums Geld und Politik. „Wir gehen ins siebte Jahr, es könnte das verflixte letzte Jahr werden“, wählte Festival-Initiator Schneider einen dramatischen Einstieg. Über die Fördermittel – seit Beginn 2012 konstant 500.000 Euro pro Jahr – aus dem Etat der Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), werde erst im November neu entschieden.

Keine Zusage der Stadt über weitere Förderung

„Ob die PTT dabei sein werden, steht für mich in den Sternen“, sagte Schneider. Ein Grund: Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse, der als Mitglied des Haushaltsauschusses überhaupt erst die Anregung zur PTT-Finanzierung gegeben hatte, sei dort anstatt für Kultur nun für Verkehr und Digitales zuständig.

Axel Schneider ist Intendant des Altonaer Theaters, des Harburger Theaters und der Hamburger Kammerspiele
Axel Schneider ist Intendant des Altonaer Theaters, des Harburger Theaters und der Hamburger Kammerspiele © Roland Magunia | Roland Magunia

Nur weil die Stadt Hamburg zum ersten Mal mit der vom Bund geforderten Zehn-Prozent-Beteiligung „kurzentschlossen und unbürokratisch“ (Schneider) eingestiegen sei, könne das Festival überhaupt stattfinden, dankte der Intendant Kultursenator Carsten Brosda. Der redegewandte SPD-Mann gab zwar keine Zusage der Stadt über eine weitere Förderung von 50.000 Euro oder sogar mehr für 2019, sagte aber unter großem Beifall: „Der Bund kann es sich gar nicht leisten, dieses tolle Festival nicht zu fördern.“ Theater sei für die Gesellschaft wichtig, „um Erfahrungen miteinander zu teilen und die Vielfalt der Stimmen hör- und sichtbar zu machen und in unseren Demokratien unverzichtbar“, so Brosda.

Carsten Brosda (SPD), zuvor Staatsrat, ist seit 2017 Senator
der Hamburger Behörde für Kultur und ­Medien
Carsten Brosda (SPD), zuvor Staatsrat, ist seit 2017 Senator der Hamburger Behörde für Kultur und ­Medien © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Maja Hitij

Um Stimmenvielfalt und insbesondere ein Stück Erinnerungskultur geht es auch in „Ghetto“, mit dem das Wolfgang Borchert Theater aus Münster erstmals die Privattheatertage eröffnen durfte. Das Schauspiel mit Musik lief seit Peter Zadeks Zeiten nicht mehr in Hamburg. Mit „Ghetto“ hatte der legendäre Theatermacher Mitte der 80er-Jahre im Schauspielhaus einen seiner größten Erfolge gefeiert und Ulrich Tukur groß herausgebracht.

Tukur gab damals den Offizier Kittel, als tyrannischer SS-Führer zentrale Figur im Stück des Israelis Joshua Sobol. Es beruht auf einer wahren Geschichte und zeigt, wie Juden im Getto des litauischen Wilna 1942 und 1943 verzweifelt ums Überleben kämpfen.

Regisseur Meinhard Zanger, auch Intendant des Borchert-Theaters, hat gut daran getan, sich an Sobols Neufassung von 1992 zu orientieren. Denn der musicalhafte Glamour, der „Ghetto“ bei der Uraufführung einst nachgesagt wurde, ist dieser Inszenierung trotz feiner Klezmer- und Jazz-Klänge fremd. Anfangs erwischen sich einzelne Zuschauer noch dabei, wie sie für den anrührenden Gesang der überzeugenden Jannike Schubert applaudieren. Dass diese in ihrer Rolle als Chaja von Kittel zum Singen gezwungen wird, ist Teil des zynischem Spiels. Bernd Reheuser, bis 2014 noch in der ARD-Soap „Verbotene Liebe“ zu sehen, verkörpert Kittel als menschenverachtenden Kulturliebhaber, der über Leichen geht.

Minutenlanger Beifall für alle Mitwirkenden

In der Figur von Jakob Gens (Jürgen Lorenzen) zeigt sich exemplarisch der Zwiespalt, in dem jeder Einzelner in einem totalitären System steckt: arrangieren oder krepieren? Als Leiter der jüdischen Getto-Polizei und Gründer einer Theatergruppe versucht Gens, weitere Juden vor dem Tod im Lager zu bewahren – und opfert dafür andere, ältere Juden. Darüber wird im Getto Protest laut. „Auf dem Friedhof spielt man kein Theater!“, rufen Bewohner – die Schauspieler beziehen dabei das Publikum mit ein, indem sie Zettel mit jener Forderung in den Saal werfen. Ihr Spiel berührt insbesondere im dramatischen zweiten Teil.

Mit 17 Darstellern vom Borchert Theater war das Personalaufgebot so groß wie noch nie bei einer Produktion der Privattheatertage. Dazu kam noch ein 30-köpfiger Kinderchor des Gymnasiums aus Münster. Der sang vor der Pause „Stille, Stille, lasst uns schweigen“. Auch da lohnte sich das Hinhören. Ganz am Schluss, nach dem traurigen Ende auch für die Theatergruppe in „Ghetto“ und einigen, sehr nötigen Sekunden der Ruhe, minutenlanger Beifall für alle Mitwirkenden.

7. Privattheatertage bis 1.7., 20.00, außer „Hamlet“ Do 21.6., 19.30, EDT, u. Gala So 1.7., 19.30, Kammerspiele. Am Fr 22.6. ist der Eintritt für die Podiumsdiskusion „Alles kein Drama“ (ca. 21.15 Uhr) frei, Karten zu sonst 9,- bis 29,-: Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, T. 30 30 98 98; Programm: www.privatthteatertage.de