Hamburg. Am Hühnerposten können Autofahrer ihren Pkw zwischen Gemälden, Kronleuchtern und Gedichten abstellen – Rosmarinduft inklusive.
Kalter Beton, wenig Licht und ständig zickt der Ticketautomat herum. Der Besuch eines Parkhauses rangierte in der Kategorie „Lieblingsbeschäftigungen eines Menschen“ bislang weit unten irgendwo zwischen Zahnarztbesuch und Ikea am Sonnabend. Doch es könnte sein, dass die Hamburger das künftig anders sehen.
Im Parkhaus Hamburg Hbf Centrum am Hühnerposten hat das Kreativteam der DB Bahn ein „Parkhaus der Sinne“ geschaffen, Montagabend wurde es eingeweiht. Nein, Entschuldigung, die feierliche Eröffnung nannte sich „Vernissage“. Denn hier geht es um Kunst, hier geht es um Dichtung, um Lichtkonzepte und Düfte, eben um alles, was die Sinne eines Menschen anspricht. Klingt fast so, als würde man einen Wellnesstempel besuchen. Sollte man schon mal die Badeschlappen im Auto anziehen, bevor man in das neu gestaltete Parkhaus fährt? „Unbedingt, wir haben zur jeden vollen Stunde einen Aufguss“, sagt Dieter Siebert und lacht. Der Marketingleiter der DB BahnPark präsentiert das, was diesen neuen, ungewöhnlichen Ort ausmacht: Humor.
Parkraum mit Wärme und Leben
„Es ging uns darum, einen garstigen Platz zu verschönern, den Parkraum mit Wärme und Leben zu füllen, indem wir alle Sinne ansprechen“, sagt Siebert und atmet tief ein. Rosmarin. Es riecht wie beim Italiener, am liebsten möchte man gleich eine Karaffe Hauswein bestellen, aber wir befinden uns nur auf Ebene 1 eines Parkhauses. Jede Etage wird von einem eigens entwickelten Duft durchweht, die weißen Diffusoren hängen kaum sichtbar an der Wand, sie sind unaufdringlich wie die Gerüche. „Soll ja hier kein Douglas sein“, sagt ein Vernissage-Besucher, der ein Rinderragout an Rosmarinspitzen in der Hand hält.
Für das Buffet wurden extra alle Kräuter verarbeitet, die in dem Parkhaus als Duft zum Einsatz kommen; neben Rosmarin noch Pfeffer, Zitronengras und Zedernholz. Die Küche für die Feier wurde kurzerhand auf den Frauenparkplätzen im 3. Stock errichtet, einige Dauerparker fragten tagsüber bereits, ob sie denn da nicht immer bleiben könne. Als „Park in“ sozusagen.
Vom Magen zu den Augen: Über der Einfahrt hängt umrahmt von drei Kronleuchtern ein Gemälde, das den Bau des Hamburger Hauptbahnhofes zeigt. Es wird umrahmt von einem Vorhang. Dieses Entrée ermöglicht dem Autofahrer einen Blick durch die Zeit. „Vorbei an zwei Weltkriegen zurück in das Jahr 1905, so sah es damals hier aus“, erklärt Anna Goldmund.
Geschichtsunterricht beim Parken
Die Hamburger Künstlerin wollte mit dem Gemälde und den Zeichnungen, die im Treppenhaus hängen, den historischen Ort erlebbar machen, an dem das Parkhaus heute steht. Wo gerade rund 100 Leute bei Zitronenglas-Kaltschale ein Bandoneon-Konzert verfolgen, befanden sich bereits der Bahnhof Klostertor und das Hauptpostamt. Selten hat man beim Kramen nach dem Autoschlüssel so viel Geschichtsunterricht mit auf den Weg bekommen. „Ein Schöngeist wie ich ist immer froh, wenn es nicht immer nur um Nützlichkeit geht“, sagt Goldmund. „Und schauen Sie sich die Stuckarbeiten an, herrlich!“
Der Bildhauer Christian Schafflhuber hat sie geschaffen. Die Ornamente sind in den Farben der Parkhausetagen eingefärbt und dienen so der Orientierung. „Ich finde es spannend, wenn Materialien wie Beton und Stuck, die sonst so überhaupt nicht zusammen passen, auf einmal harmonieren“, sagt Schafflhuber. Das Treffen von Donald Trump und Kim Jong-un – es hätte auch im Hamburger Parkhaus am Hühnerposten stattfinden können.
Musik zur Entspannung
Musik zur Entspannung gibt es ebenfalls. Aus den Lautsprechern hört man typische Hamburg-Klänge, Möwen, die Schiffsbegrüßungsanlage, Shantys, Turmbläser auf dem Michel und die Musik eines Bandoneons. Eingespielt wurde es von der Musikerin Judith Brandenburg. Das Instrument hört sich an wie ein Schifferklavier, nur irgendwie viel schöner, und während die Ohren diese Wellnessbehandlung genießen, fragt sich die Stimme im Kopf, ob hier wohl tatsächlich ein Ort für Autofahrer geschaffen wurde und nicht wie in anderen Parkhäusern für Autos. „Wir Menschen sind doch sonst meist nur die Chauffeure unserer Wagen“, sagt Siebert. Der 45-Jährige hat übrigens auch selbst etwas zum Parkhaus der Sinne beigetragen: Gedichte.
„Diesel, Hafenkant
schallt der Gänse vielfach Ruf
ob’s der rechte Weg“
Die Germanisten unter uns erkennen natürlich sofort, dass wir es hier mit einem japanischen Haiku zu tun haben. Die japanische Gedichtform besteht meistens aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten. Siebert schreibt seit 20 Jahren Haikus, seine Verse verschönern nun wie Goldbergs Bilder und Schafflhubers Stuckreliefs das Treppenhaus. Ein begehbarer, parfümierter Gedichtband. Das bestriechende Parkhaus der Welt ist auch ein Prototyp für weitere Autoaufbewahrungsorte der Sinne. Sollten die Besucher das neue Parkhaus mögen, dann werden weitere dieser Art in Deutschland entstehen, kündigt Siebert an. Als nächstes ist Frankfurt geplant.
Der deutsche Feinstaub kann also schon mal einpa(r)cken. Wie sagte einst Picasso: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“ Und von den Parkplätzen.