Hamburg. Die Einsatzleitung rechtfertigt sich dafür, dass sie zeitweise nicht gegen Randalierer auf dem Schulterblatt vorging.
Warum konnte am Freitagabend des G-20-Gipfels in Hamburg stundenlang ein extrem gewaltbereiter Mob im Schanzenviertel wüten, Geschäfte plündern und verwüsten, Barrikaden errichten, Brände legen? Warum ging die Polizei so lange nicht dagegen vor? Warum kam die Feuerwehr nicht, wenn die Bewohner sie riefen?
Diese Fragen hätten sich auch bei ihm „eingebrannt“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) am Donnerstagabend im Sonderausschuss der Bürgerschaft, der die Ausschreitungen rund um den Gipfel aufklären soll. Sowohl Grote als auch die Hamburger Polizeiführung betonten mehrmals, wie sehr es ihnen bis heute zusetze, ihrem Anspruch, die Bevölkerung zu schützen, nicht gerecht geworden zu sein.
Grote: „Quälend langer Zeitraum“
„Ein kompletter Vertrauensverlust in unsere Richtung“, sei entstanden, räumte der G-20-Einsatzführer der Polizei, Hartmut Dudde, ein, „das darf überhaupt nicht passieren.“
Er wies zurück, dass die Polizei nicht genügend Personal zur Verfügung hatte. An dem Abend hätten 33 Hundertschaften bereitgestanden, um einzugreifen, so Dudde. „An den Kräften lag es nicht, sondern an der Tür: Wir mussten da reinkommen.“ Warum das für einen „furchtbar quälend langen Zeitraum“ (Grote) nicht gelang, dafür wurden überwiegend bekannte Erklärungen präsentiert.
Zum einen sei es am frühen Abend sehr wohl mehrmals versucht worden, ins Viertel, vor allem auf das zentrale Schulterblatt, vorzudringen. Dabei seien die Einsatzkräfte jedoch immer wieder massiv angegriffen worden, so die Polizeiführung. Im Gegensatz zu Aussagen von Anwohnern bei der öffentlichen Anhörung vor zwei Wochen hätten die Beamten auch versucht, über die Altonaer Straße auf das Schulterblatt zu gelangen – mit dem gleichen Ergebnis.
Schwerste Straftaten gegen Polizisten
Jan Hieber, Leiter der Sonderkommission „Schwarzer Block“, verwies auf die Verletztenzahlen rund um die Schanze: Am Neuen Pferdemarkt seien 20 Beamte verletzt worden, am Zugang Lerchenstraße/Lippmanstraße ebenfalls 20, an der Altonaer Straße sogar 34. „Es gab schwerste Straftaten gegen Beamte“, so Hieber, etwa Bewurf mit Steinen von Dächern, Zwillenbeschuss und Blendungen durch starke Laserpointer. Kurz: Die Polizei hatte das Schanzenviertel als Hinterhalt betrachtet, in den sie hineingelockt werden sollte.
Erst als es sogar zu Plünderungen und Verwüstungen von Geschäften kam, sei um 21.30 Uhr die Taktik geändert worden, so Dudde. Das herbeigerufene Sondereinsatzkommando (SEK) sei zu dem Zeitpunkt allerdings noch an einem anderen Ort gebunden und daher erst 80 Minuten später vor Ort gewesen. Daher habe es bis Mitternacht gedauert, bis das Schulterblatt geräumt worden sei.
Auf die Frage von Christiane Schneider (Linkspartei), ob es der Polizei vielleicht ganz recht war, dass sich die Gewaltbereiten in der Schanze und damit nicht in Gipfelnähe sammelten – eine in der linken Szene weit verbreitete These –, reagierte Dudde ungehalten: „Gab es den Plan, das Schanzenviertel zu opfern, damit die Staatsgäste in Ruhe speisen und nach Hause fahren können? Nein!“ Er als Einsatzführer müsse das ja wohl wissen.
Dudde: Wir haben Lehrgeld gezahlt
Auch Grote verwahrte sich gegen diesen Vorwurf. Es sei vielmehr „schier unerträglich gewesen“, nicht dagegen vorgehen zu können, so Dudde. „Da haben wir auch Lehrgeld gezahlt. Noch einmal werden wir nicht eine Stunde warten, bis wir vorgehen.“
Die Eskalation der Gewalt erklärte die Polizeiführung auch mit dem hohen Anteil ausländischer Linksextremisten. Diese hätten eine deutlich höhere Gewaltbereitschaft als das hierzulande der Fall sei. Die Liveberichte vieler Medien aus dem Viertel hätten zudem Krawalltouristen dorthin gelockt. So sei eine Spirale der Gewalt entstanden.
Auf die Frage nach der Rolle der von Autonomen besetzten Roten Flora hieß es, diese hätte zwar vorher massiv für den Protest getrommelt, es gebe aber „keine Anhaltspunkte“ dafür, dass sie sich aktiv an den Ausschreitungen beteiligt habe. Indizien dafür, dass das Flora-Umfeld „mäßigend“ aufgetreten sei, gebe es allerdings auch nicht.