Hamburg. Feuerwehrleute haben ein stark erhöhtes Risiko, aber Entschädigungen und bessere Ausrüstung fehlen. Ein Betroffener erzählt
Als der Rauch zu dicht wird, kommt es zu einer Druckwelle. Eine Stichflamme rast durch die Lagerhalle in Harburg. Die Feuerwehrleute stemmen sich gegen die Hitze und das Gas. Der Boden ist ein See aus faserigem, geschmolzenem Kautschuk.
Sven Burghause kann die Rauchsäule von der Autobahn aus sehen. Er hat an diesem Tag keinen Dienst bei der Feuerwehr. Aber er ruft seine Kollegen an. Um Mitternacht wird er zehn Stunden im Einsatz gewesen sein, die Handschuhe durchnässt von pechschwarzem Gemisch. „Feuerwehrkribbeln“, sagt er nur, wenn man ihn fragt, warum er fuhr.
Etwa zwei Jahre später hat Sven Burghause eine Untersuchung beim Arzt. Der Krebs ist wieder da. Er hat bereits gestreut, aus dem Hoden bis in die Brust. „Es ist manchmal merkwürdig“, sagt Sven Burghause. „Dass manche Dinge fast auf der Hand liegen, aber man den Zusammenhang nicht sieht.“
Der Feuerwehrmann sitzt in seinem Pausenraum in Wilhelmsburg, auf die Rückenlehne seines Stuhls ist das Wappen der Wache gestickt. Seit 20 Jahren ist Sven Burghause bei der Feuerwehr. Erst als Freiwilliger, dann als Profi. Hat sich in die Flammen geworfen, ist durch Plastikreste, Ruß, Asbest und Löschwasser gewatet. Er ist keiner dieser Feuerwehrleute, die sich dafür laut auf die Brust trommeln. Muss halt.
Schadstoffe durchdringen selbst die Schutzkleidung
Zweimal erkrankte Sven Burghause an Hodenkrebs, die letzte Chemotherapie ist gerade drei Jahre her. Er wusste nichts von der Gefahr. Internationale Studien haben längst belegt, dass Feuerwehrleute wegen ihres Kontaktes zu giftigen Stoffen ein bis zu 30 Prozent erhöhtes Risiko für bestimmte Krebserkrankungen haben – darunter Haut-, Hoden- und Prostatakrebs.
„Wir stehen vor einer doppelten Aufgabe“, sagt Marcus Bätge, Personalrat der Hamburger Feuerwehr und Geschäftsführer der Gesellschaft FeuerKrebs, der sich dem Thema verschrieben hat. Bei Malern, Elektrikern, Lackierern oder Schornsteinfegern gelten Krebserkrankungen als Berufskrankheit. Ausgerechnet bei den Lebensrettern der Feuerwehr nicht. Es geht um viel Geld, das den Betroffenen dann als Entschädigung zustünde und in Prävention fließen würde. Feuerwehrchef Klaus Maurer unterstützt das Anliegen: „Wir müssen die Gesundheit unserer Mitarbeiter erhalten.“
Aber der Weg dorthin ist lang und kann nicht von der Hamburger Feuerwehr allein beschritten werden. „Und wir müssen auch in die Köpfe mancher Kollegen hinein“, sagt Bätge. Der Kampf gegen die vergessene Gefahr ist auch einer gegen Mythen und den riskanten Stolz der Lebensretter.
Sven Burghause weiß noch genau, wie er bei der Freiwilligen Feuerwehr anfing, die Aufregung, das sofortige Gefühl von Kameradschaft. Die Ausrüstung gleicht der in der Berufsfeuerwehr. Schwerer Anzug, Atemmaske, Stiefel, gestärkte Handschuhe. „Klingt so, als könnte da nichts anbrennen“, sagt Burghause. „Ist nur eben so nicht ganz.“
Sein erstes Inferno ist der Brand in einer Halle für Werbeartikel. Das Plastik darin schmilzt wie Eis, es werden sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe frei, aggressive Krebserreger. Sie gelangen offenbar nicht über den Atem in den Körper, aber über die Haut. Durch die mit Löschwasser und Brandresten vollgesaugten Handschuhe. Durch die Hosenbeine, die unten nicht luftdicht abschließen, zwischen die Schichten der Einsatzkleidung. Die Hautporen der Feuerwehrleute sind in der Gluthitze weit geöffnet, das Risiko für eindringende Schadstoffe so vierhundertfach erhöht.
Es gebe Feuerwehrleute, sagt Marcus Bätge, die mehrere Tage nach einem Großbrand daheim ein Bad nehmen – und plötzlich färbe sich das Wasser schwarz. Kollegen, die mit ihren verrußten Helmen in den nächsten Unwettereinsatz gehen, bis ihnen die Schadstoffe als Rinnsal in den Nacken laufen. Der jugendliche Nachwuchs, der mit der schmutzigen Ausstattung der Älteren arglos seine Übungen absolviert.
„Ich hatte in den ersten paar Jahren immer dasselbe paar Handschuhe an“, sagt Burghause. Bald sind es nur noch aschgraue Lappen. Der Krebs wird erstmals festgestellt, als sein Glück gerade frisch glänzt, Burghause ist noch recht neu bei der Berufsfeuerwehr. „Ich hatte vor allem Angst, dass ich die Verbeamtung auf Lebenszeit nicht bekomme“, sagt der 36-Jährige.
Es wird nicht statistisch erfasst, wie viele Feuerwehrleute jährlich an den besonders risikobehafteten Krebsarten erkranken; Marcus Bätge spricht von etwa 50 Fällen in Hamburg in den vergangenen Jahren. „Es braucht keinen Großbrand, damit die Kollegen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.“ Bei fast jedem Feuer brennen heutzutage auch krebserregende Plastikbestandteile ab.
Nur stehen für die Feuerwehrleute eben andere Dinge im Vordergrund: den Brand zu löschen und im Notfall Leben zu retten. „Natürlich fragt man sich schon, wer einem dann selbst hilft, wenn man in Not ist“, sagt Sven Burghause. Andere Beamte, die gesund geblieben sind, kommen solche Gedanken nicht. „Da wird den Jüngeren schon mal gesagt: ,Mach deinen Helm bloß nicht sauber‘“, sagt Burghause. „Sonst siehst du noch aus wie ein Anfänger.“
Studie soll endlich die nötigen Beweise bringen
Es habe ein Umdenken eingesetzt, sagt Burghause. Auf der Wache kennen alle seine Geschichte, haben ihn unterstützt. Die Berufsfeuerwehr hat eigene Räume, in denen die Ausrüstung nach dem Einsatz gelüftet werden kann. Bei der Freiwilligen Feuerwehr freilich nicht. Und vom Ideal einer strikten Trennung von Ausrüstung und Wechselkleidung ist man weit entfernt. „Damit der Kontakt mit Schadstoffen soweit es geht reduziert wird, werden wir uns ganz neu aufstellen müssen“, sagt Feuerwehrchef Klaus Maurer.
Es geht auch um Investitionen. Auf Drängen der Gesellschaft FeuerKrebs hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) eine Studie in Auftrag gegeben, die das erhöhte Krebsrisiko auch für deutsche Feuerwehrleute wissenschaftlich belegen könnte und unter anderem an Hamburger Wachen durchgeführt werden soll – ein Ergebnis wird frühestens in anderthalb Jahren vorliegen, dann könnte die Anerkennung von Krebsleiden als Berufskrankheiten in Reichweite sein.
Sven Burghause sagt, es komme auch immer wieder Unverständnis auf. „In Kanada werden 17 Krebsleiden anerkannt. Und dort brennen dieselben Materialien wie hier.“ Noch immer ist da die Angst, dass der Krebs wiederkommen könne, er arbeitsunfähig wird oder Schlimmeres; „und meine Familie dann ohne Hilfe dasteht“.
Über die Lautsprecher in der Wache plärren Signaltöne, die Tore öffnen sich. Es wird nicht länger als eine Stunde dauern, bis auch Sven Burghause wieder im Einsatz ist. Das Kribbeln ist wie früher, sagt er. „Es ist der beste Beruf, den es geben kann.“