Hamburg. Salat, Radieschen und Gurken selbst anbauen – wer keinen eigenen Garten hat, pachtet dafür ein Stück Land. Das Geschäft boomt.
Daniela Wegner lockert mit der Harke den Boden, ihr Mann Guido gießt die braun-schwarze Erde mit den versprengten, zarten Pflänzchen darauf. Zucchini und Kürbis sollen hier eines Tages wachsen. Seit etwa einer Stunde wuseln die beiden Eidelstedter auf einem Feld des Guts Wulksfelde in Tangstedt, direkt an der Grenze zu Hamburg, herum. Die Sonne scheint kräftig, der Wind weht über den Acker – und die Wegners machen sich selbst an ihrem fünften Hochzeitstag die Hände schmutzig. „Die Gartenarbeit macht Spaß, wir sind an der frischen Luft, bewegen uns und haben unser eigenes Gemüse“, sagt Daniela Wegner. Das Ehepaar verfügt in ihrer Wohnung nur über einen Balkon, ist aber Ackerlandbesitzer auf Zeit. Über das Essener Start-up Ackerhelden haben sich die Wegners in dieser Saison gleich zwei Parzellen gemietet.
2015 brachten die Ackerland-Gründer Tobias Paulert und Birger Brock den Mietacker durch eine Kooperation mit dem Gut Wulksfelde in den Norden der Hansestadt. Die Nachfrage sei sehr groß und steige stetig, sagt Paulert. „Wir haben die Zahl der Parzellen innerhalb von drei Jahren fast verdoppelt.“ 220 abgesteckte Beete gibt es dort. Sie messen jeweils zwei mal 20 Meter und sind mit blauen Plastikstäben begrenzt. Ein Zaun schützt die rund 1,2 Hektar große Fläche vor Fressschäden zum Beispiel durch Kaninchen. Bunte, sich drehende Windblumen sollen Vögel vertreiben.
45 Quadratmeter kosten 229 Euro pro Saison
An 15 Standorten in Deutschland ist Ackerhelden präsent. Seit dem vergangenen Jahr ist mit Wien erstmals eine Stadt im Ausland dabei. Das Angebot soll ausgeweitet werden. Man sei mit verschiedenen Höfen in Schleswig-Holstein im Gespräch, sagt Paulert. Und: „Eine Stadt wie Hamburg verträgt zwei bis drei Standorte. Wir würden gerne im Süden der Stadt noch eine zweite Anlage eröffnen.“ Dass die Nachfrage vorhanden ist, davon ist der studierte Sport- und Wirtschaftswissenschaftler überzeugt. Heute schon habe man Kunden aus Harburg, die nach Wulksfelde kämen. Und die Warteliste für 2019 umfasse bereits mehr als 20 Namen. Sehr wahrscheinlich werde man 2019 die Fläche dort erneut vergrößern.
Auch andere Anbieter von Mietäckern wollen in der Metropolregion expandieren. Seit sechs Jahren ist das Unternehmen Meine Ernte aus Bonn nahe Hamburg aktiv. Im Umland wird gleich mit zwei Betrieben kooperiert, die allerdings konventionell anbauen und nicht in Bioqualität. Auf dem Hof der Familie Delfs in Stapelfeld gibt es 90 Parzellen – alle sind ausgebucht. Auf dem Hof Rehders in Norderstedt sind es 130 Mietgärten – einer blieb frei. „Ich denke, dass wir 2019 an beiden Standorten etwas mehr Fläche anbieten werden“, sagt Natalie Kirchbaumer, die Meine Ernte 2009 mit Wanda Ganders gründete. Gestartet sind sie in Norderstedt und Stapelfeld mit jeweils 40 bis 50 Stück.
Grundstücke gibt es in zwei Größen
Die Grundstücke gibt es in zwei Größen. 45 Quadratmeter kosten 229 Euro pro Saison, 90 Quadratmeter schlagen mit 439 Euro zu Buche. Dafür werden von den Landwirten 20 Sorten wie Radieschen, Salat, Spinat, Erbsen und Bohnen eingesetzt. Im Gegenzug erhalten die Bauern Gebühren und Pacht. „Wir haben immer eine Reihe Kräuter und Blumen dabei, weil das optisch nett aussieht“, sagt Kirchbaumer. Außer ein paar Gartenhandschuhen und festem Schuhwerk müssten die Kunden nichts mitbringen. In Deutschland gibt es das Angebot von Meine Ernte 26-mal. Man sei offen für weitere Standorte, mittlerweile kommen schon Städte wie Bonn und Düsseldorf auf das Unternehmen zu und bieten städtische Flächen an.
In Sannmanns Biogärten in den Vier- und Marschlanden können seit vier Jahren Parzellen gemietet werden – und zwar direkt vom Eigentümer. 45 Quadratmeter kosten hier 275 Euro für eine Saison. 60 Kunden griffen in diesem Jahr zu. „Das ist leicht zurückgegangen, allerdings haben wir einen Standortwechsel gemacht“, sagt Inhaber Thomas Sannmann, der nach Demeter-Richtlinien arbeitet. Die Beete seien von Kirchwerder nach Ochsenwerder verlegt worden. Mit so einem Umzug verliere man einige Kunden. Auch wenn 20 Parzellen in diesem Jahr frei geblieben sind, ist er für das nächste Jahr optimistisch. „Im nächsten Jahr wollen wir um die 100 Parzellen anbieten“, sagt Sannmann. Eine steigende Nachfrage erhofft er sich von einem Neubaugebiet in der Nähe.
Aber was treibt die Städter aufs Feld? Mehrere Gründe führt der Hamburger Professor Ulrich Reinhardt an. „Die Menschen besinnen sich wieder zurück zur Natur“, sagt der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen. So gewännen auch Schrebergärten wieder an Attraktivität. Die Mietgärten hätten allerdings einen Vorteil. Man binde sich nur für kurze Zeit und müsse nicht Tausende Euro in die Hand nehmen. Auch der Gesundheitsaspekt spiele eine Rolle. Die Menschen wissen, was in den Produkten steckt. Die Arbeit auf den Feldern mit Gleichgesinnten stärke das wieder vermehrt ins Bewusstsein rückende Gemeinschaftsgefühl, man helfe sich gegenseitig zum Beispiel beim Gießen. Und nicht zuletzt müsse man konstatieren, dass in einer Stadt wie Hamburg aufgrund der hohen Land- und Immobilienpreise sich nicht jeder den Traum vom eigenen Garten erfüllen könne.
Neues Geschäftsfeld
Weil der Platz in den Ballungsräumen eng ist, hat sich Ackerhelden ein neues Geschäftsfeld erschlossen. Als Maßnahme des betrieblichen Gesundheitsmanagements gibt es seit einiger Zeit Hochbeete auf Firmengeländen. Mitarbeiter sollen dort mehr über Ernährung lernen, die Chefs sich zusammen mit den Lehrlingen über Ernteerfolge freuen. „Es könnte sein, dass diese Hochbeete bald bei einigen Firmen in Hamburg auf dem Dach oder Parkplatz stehen“, sagt Paulert. Auch mit Kitas und Schulen kooperiere man, um Kindern zu zeigen, wie das Gemüse wächst und wo das Essen herkommt. „Alle Kinder haben Angst vor Spinat“, sagt Ackerhelden-Mitarbeiterin Fleur Brockhaus: „Aber wenn sie den Spinat selbst anbauen, essen sie ihn.“
Die 1,20 Meter mal 80 Zentimeter großen Hochbeete sind neuerdings auch für Privatkunden erhältlich, sind mit 499 Euro aber eine nicht gerade günstige Alternative. Dafür sei man der einzige biozertifizierte Anbieter von Hochbeeten und verwende einen viel Wasser speichernden Blähton und extrem nährstoffreiche Schwarzerde, die mehrere Jahre lang genutzt werden könne, so das Unternehmen.
Alternative zum Mietacker
Für manche Großstädter, die in diesem Sommer noch ihren grünen Daumen testen wollen, könnte das eine Alternative zum Mietacker sein. Denn wer jetzt noch sein Feld bestellen will, hat bei den Ackerhelden Pech gehabt. Alle Landstücke sind für dieses Jahr vergeben. „Wir können keine Parzellen über Wochen frei halten, weil sonst die Beikräuter zu stark wachsen“, sagt Paulert. Andere Menschen würden die Bei- als Unkräuter bezeichnen.
Am Muttertag wurde die diesjährige Saison im Norden Hamburgs eröffnet. Zuvor setzten die Mitarbeiter der Wulksfelder Gärtnerei 150 Bio-Jungpflanzen in jedes Beet ein. Ackerhelden kooperiert mit dem Gut, das nach den strengen Regeln von Bioland arbeitet, zahlt dem Hof eine Pacht für die Fläche, nimmt aber selbst die Parzellierung vor und stellt Saatgut, Wasser, Dünger und Gartengeräte. In einem Container am Feldrand stapeln sich Gießkannen und Eimer, Grabegabeln und Harken hängen an der Wand, davor stehen mehrere Schubkarren. Immerhin: An diesem Werktag trotzen zehn Kunden der Mittagshitze und ackern auf dem Feld.
Wegners schmeckt das eigene Gemüse besser
199 Euro zahlen sie für die 40 Quadratmeter. Beratung ist inklusive. Es gibt regelmäßig einen Newsletter, eine Gebrauchsanweisung für den Biogarten und eine Rundumberatung vor Ort, per Telefon und E-Mail. Und von Juni bis Jahresende soll immer wieder Gemüse aus eigenem Anbau sprießen.
Die Wegners können das bestätigen. Sie sind bereits zum dritten Mal dabei, noch im vergangenen Dezember aßen sie Grünkohl vom eigenen Acker. Den Preis für das Feld auf Zeit findet Daniela Wegner in Ordnung. Im ersten Jahr habe sie Buch über die Ernte geführt. Ihr Fazit: „Im Bioladen hätte ich dafür 650 Euro bezahlt.“ Allerdings investiert das Ehepaar auch viel Zeit. Im Schnitt seien sie 2,5 bis drei Stunden vor Ort, derzeit mehrmals in der Woche. Vor allem, weil der Mai zwar schön, aber auch trocken ist. Da muss ordentlich gegossen werden, damit die Pflanzen wachsen.
Später kommen sie nur noch einmal wöchentlich – und ernten: Als Erstes werden sie wohl Radieschen mitnehmen, später sollen Porree, Gurken, Rosmarin und Kohl folgen. „Das Gemüse aus dem eigenen Feld schmeckt besser und hält sich auch länger frisch“, sagt sie. Und ihr Mann Guido, der sich darüber freut, dass das Gemüse nicht so uniform aussieht wie im Supermarkt, sagt: „Das riecht richtig nach Erde, wenn wir Möhren rausholen.“