Hamburg. Laut Gutachten ist der Wert des Netzes weit unter den mit Vattenfall vereinbarten Mindestpreis gesunken. Das sind jetzt die Probleme.
Der im Volksentscheid 2013 beschlossene Rückkauf des Fernwärmenetzes droht zu scheitern. Grund ist ein drastischer Werteinbruch. Nach einem Gutachten der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sind das Netz und das dazugehörige Kraftwerk Wedel derzeit nur noch 645,1 Millionen Euro wert, wie die Finanzbehörde am Donnerstag bekannt gab. Der SPD-Senat hatte Vattenfall 2014 in einem Vorvertrag aber einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro für die Übernahme zum Jahreswechsel 2018/19 garantiert.
Damit hat der rot-grüne Senat nun ein gravierendes Problem. Die Stadt darf nämlich nicht einfach einen überhöhten Preis zahlen, den das Netz gar nicht mehr wert ist. Denn das wäre womöglich ein Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung, so die Einschätzung im Senat. Die Verantwortlichen könnten sogar wegen Verdachts der Untreue angeklagt werden.
Vattenfall war zuletzt nicht bereit gewesen, Angebote unter Mindestpreis zu akzeptieren. Am Donnerstag wollte sich Unternehmenssprecherin Barbara Meyer-Bukow zu dieser Frage nicht weiter äußern. „Wir nehmen das Gutachten jetzt erst einmal zur Kenntnis“, sagt sie. Das Abendblatt hatte bereits Anfang April exklusiv über das Gutachten und die damit verbundenen Probleme berichtet. Damals hieß es, der Wert liege zwischen 550 und 725 Millionen Euro – eine Einschätzung, die sich nun bestätigt hat.
Darf Vattenfall Moorburg an Fernwärmenetz anschließen?
„Wir werden das Gutachten sorgfältig auswerten und dazu weiteren externen Sachverstand hinzuziehen“, sagte SPD-Finanzsenator Andreas Dressel, jetzt auch Aufsichtsratschef der Hamburger Beteiligungsgesellschaft HGV. „Einmal mehr geht dabei Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, so Dressel. „Die Ergebnisse werden in die Gespräche zwischen Stadt und Vattenfall einfließen. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns.“
Eine zentrale Streitfrage bei alldem ist, ob Vattenfall sein Kohlekraftwerk Moorburg an das Fernwärmenetz anschließen darf – was der Energiekonzern sich wünscht, die Grünen wegen des Klimaschutzes aber strikt ablehnen.
In Moorburg falle bei der Stromproduktion ohnedies Wärme an, so das Vattenfall-Argument. Man könne sich bei der Energiewende nicht auf Jahrzehnte von Kohle abhängig machen, kontern die Grünen. Zudem würde ein Anschluss dazu führen, dass das Kohlekraftwerk womöglich länger laufe als ohne.
FDP und CDU fordern Anschluss von Moorburg
Bisher gehören der Stadt 25,1 Prozent der Wärmegesellschaft. Der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte diesen Anteil Anfang des Jahrzehnts für die Stadt erworben, um Einfluss auf die Fernwärme nehmen zu können. Der Volksentscheid forderte 2013 dann aber den vollständigen Rückkauf auch der Fernwärme, der aus unterschiedlichen Gründen vom SPD-Senat aber auf Ende 2018 verschoben wurde. Das Strom- und das Gasnetz hat Hamburg bereits vollständig zurückgekauft.
„Die Stadt darf das Fernwärmenetz zum vereinbarten Mindestkaufpreis nicht erwerben, denn der tatsächliche Wert liegt darunter“, sagte FDP-Fraktionschef Michael Kruse am Donnerstag. „Umweltsenator Kerstan hat die Stadt bei der Fernwärme in eine beinahe aussichtslose Lage manövriert. Bürgermeister Tschentscher muss seinen grünen Umweltsenator nun zur Vernunft bringen und für eine zukunftsfähige Lösung bei der Fernwärme sorgen.“
Damit der Rückkauf noch gelinge, müsse der Senat den Weg für den Anschluss des Kraftwerks Moorburg freimachen „und im Gegenzug eine Senkung des Kaufpreises verlangen“, so Kruse. „Das ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll und zudem sozial gerecht.“ CDU-Energiepolitiker Stephan Gamm warf Umweltsenator Jens Kerstan „kurzsichtige und ideologisch geprägte Energiepolitik“ vor. „Nach dem Fahrverbote-Flop ist die Bekanntgabe des Unternehmenswertes eine weitere schallende Ohrfeige für Senator Kerstan“, so Gamm.
Behörde: Netzrückkauf bleibt das Ziel
Umweltbehördensprecher Jan Dube sagte, das Ergebnis des Gutachtens treffe den Senat nicht unvorbereitet. „Der Rückkauf der Fernwärme ist und bleibt das Ziel, dazu verpflichtet uns der Volksentscheid“, so Dube. „Gemeinsam mit der Finanzbehörde und der Beteiligungsgesellschaft HGV sind wir in Gesprächen mit Vattenfall und gehen davon aus, dass Vattenfall an einer gemeinsamen Lösung interessiert ist.“
Was BUND und Zukunftsrat Hamburg sagen
BUND und Zukunftsrat Hamburg schrieben am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Erklärung, dass das Gutachten "den Verdacht nahelegt, dass die Unternehmensbewertung im Jahr 2011 fehlerhaft gewesen ist". Das entscheidende Gutachten sei damals "trotz erheblicher Zweifel und entsprechender Transparenzanträge nicht öffentlich gemacht" worden.
"Hier ist gewaltig etwas faul. Vattenfalls Hamburg-Chef Pieter Wasmuth und die Verantwortlichen in Schweden müssen jetzt der Hamburger Öffentlichkeit erklären, was für ein Spiel sie hier eigentlich treiben“, sagte BUND-Chef Manfred Braasch. Der neue Unternehmenswert lasse möglicherweise sogar die Geschäftsgrundlage der Preisvereinbarung von 2011 wegfallen, so Braasch. "Jedenfalls wäre ein Festhalten am überhöhten Mindestpreis ein Verstoß gegen Treu und Glauben."
Der Zukunftsrat Hamburg und der BUND Hamburg sähen eine Übernahme der Hamburger Fernwärme in die öffentliche Hand weiterhin als zwingend erforderlich an. "Zum einem verpflichtet der erfolgreiche Volksentscheid UNSER HAMBURG – UNSER NETZ die Bürgerschaft und den Senat dazu", heißt es in der Erklärung. "Sollte das Unternehmen Vattenfall der Stadt angesichts der Vorgeschichte beim Kaufpreis nicht erheblich entgegenkommen, müssen alle rechtlichen Möglichkeiten wie z. B. ein Kauf unter Vorbehalt geprüft werden, um Vattenfall in die Schranken zu verweisen."