Veddel. Hamburg zweitgrößtes Stadtentwicklungsprojekt nimmt Formen an
„Mit diesem Projekt wollen wir die Latte ganz weit nach oben legen. Das wird ein Quantensprung, etwas grundlegend Neues, Kreatives, kein Quartier nach Baukastensystem“, sagt Oberbaudirektor Franz-Josef Höing. Oberbillwerder, Hamburgs 105. Stadtteil, westlich von Bergedorf gelegen, mit der Station Allermöhe 15 S-Bahn-Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, könnte Maßstäbe setzen. Auf 124 Hektar Wiesen und Feldern sollen in den nächsten 15 Jahren 6960 Wohnungen entstehen, 707.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche und 5000 wohnverträgliche Arbeitsplätze geschaffen werden. 3000 davon bringt allein die neue Infrastruktur (Schulen, Kitas, Sozialeinrichtungen, Sportvereine) mit sich. Zielgruppe sind junge Familien.
Die Vision nimmt jetzt erste Formen an. „The Connected City“, die verbundene Stadt, der Siegerentwurf des dänisch-niederländisch-deutschen Planungsteams (Adept Aps, Karres+Brands und Transsolar Energietechnik), fand mit 18:2 Stimmen in der Jury eine breite Mehrheit. „Die Erfordernisse der besonderen Marschlandschaft wurden genauso berücksichtigt wie die Verbindung zu den benachbarten Quartieren“, lobte Bergedorfs Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. Es entstünde neue Vielfalt, ohne etwas zu zerstören. Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt sprach von der Chance, „einen lebendigen, urbanen, in die Zukunft gerichteten Stadtteil in einer schönen Natur- und Kulturlandschaft zu entwerfen. Das wird keine Schlafstadt.“
Familienfreundlich, bezahlbar, CO2-neutral, ökologisch, autoreduziert sind die Attribute für Hamburgs zweitgrößtes Stadtentwicklungsprojekt nach der fast fertigen HafenCity. Parkplätze sind bewusst Mangelware. In elf Parkhäusern stehen nur 3500 Plätze zur Verfügung, im Ort selbst sollen Autos halten, aber nicht abgestellt werden können. Um den Verkehr zu minimieren, sind Mobilitätsstationen und „City Hubs“ zur Anlieferung von Waren und Paketen vorgesehen. Ein grüner Ring umschließt die angedachten vier Wohngebiete, die eigenen Profile entwickeln sollen. Zwei Gräben/Kanäle durchziehen das Gebiet. Sie dienen neben größeren Überflutungsflächen der Entwässerung des tendenziell feuchten Areals. Um bei Starkregen Wasserschäden auszuschließen, wird das gesamte Wohngelände anderthalb Meter aufgeschüttet.
Die Grundstücke gehören seit etwa 100 Jahren der Stadt, die Pachtverträge mit den ansässigen Landwirten laufen für den geplanten Baugrund in vier Jahren aus. Ihnen werden jetzt Ersatzflächen angeboten. Nur für einen Pächter scheint es bislang keine einvernehmliche Lösung zu gegeben. Für ihn sucht die Stadt außerhalb Hamburgs einen neuen Bauernhof.
Vier Schulen, 14 Kitas und14 Sozialstationen sind geplant
Gesundheit, Ernährung und Sport sind die Leitplanken Oberbillwerders, einem Modellstadtteil des Senatsprogramms „Active City“. Das frühzeitige und umfassende Mitdenken von Bewegung, Mobilität und Freizeit zeichne das neue Viertel aus, heißt es im „Sechsten Hamburger Sportbericht“ der Zukunftskommission Sport, der am Montag öffentlich vorgestellt wird. „Eckpunkte dafür sind eine gezielte autoreduzierte Erschließung mit Fokus auf Fußgänger, Radfahrer und öffentlichen Personennahverkehr, vielfältigen, verlässlichen Mobilitätsangeboten auf Quartiersebene.“ Dazu komme die weitreichende Mehrfachnutzung der Flächen, zum Beispiel von Schul- und öffentlichen Sportanlagen. Eine Stadtteilschule, ein Gymnasium, zwei Grundschulen, bis zu 14 Kindertagesstätten und 14 Sozialeinrichtungen sehen die Entwürfe vor.
„Hier stehen nicht die Gebäude im Mittelpunkt, sondern die Menschen und das Lebensgefühl“, sagt Karen Pein, Geschäftsführerin der IBA Hamburg GmbH. Bis Ende des Jahres will die IBA aus dem Siegerentwurf den Masterplan Oberbillwerder entwickeln. Für die weitere Realisierung hat der Senat im Januar eine zusätzliche Gesellschaft gegründet: die IBA Projektentwicklungsgesellschaft GmbH und Co. KG. Läuft alles nach Plan, könnte 2023 mit dem Bau der ersten Wohnungen begonnen werden. 84,5 Prozent sollen fünf- bis sechsgeschossig werden, 12,4 Prozent Reihen-, 3,1 Prozent Einfamilienhäuser. Interessenten gibt es bereits, Baugemeinschaften sind willkommen.