Hamburg. Die Staatsopern-Produktion „Frankenstein“ hatte auf Kampnagel Premiere.
Zum Showdown kommt es in den französischen Alpen. Die Streicher glitzern in Dreiklangsgirlanden, das Horn bildet die Weite der Landschaft in einer filmmusikreifen Melodie ab. Dieses Breitwandpanorama ist Schauplatz der Begegnung zwischen einem von Schuldgefühlen gejagten Wissenschaftler und seinem Geschöpf, das ihm längst entwachsen ist. Und was will das Monster, vor dem sich doch alle fürchten? „Du musst mir ein Weib schaffen“, raunt es. Liebe will es, nicht anders als jeder Mensch.
Man muss Mary Shelleys weltberühmten Roman „Frankenstein“ nicht gelesen haben, um die Szene zu kennen. Sie ist der Kulminationspunkt der tragischen Geschichte von einem, der sich zum Schöpfer aufschwingt und schnell mit Entsetzen erkennen muss, dass er die Kontrolle längst verloren hat.
Für die Opernfassung von „Frankenstein“, die am Sonntag auf Kampnagel uraufgeführt wurde, haben die Bühnenbildner Heike Vollmer und Philipp Stölzl den Gipfel des Montanvert samt Kreuz und Nebelschwaden in einen Maschendrahtverhau gezwängt. Der umgibt die Bühne, um ihn herum sind Ränge angeordnet, das Frankenstein-Orchester und Dirigent Johannes Harneit sitzen auf der Stirnseite.
Zum ersten Mal zeigt die Staatsoper eine Produktion auf Kampnagel. Neue Zielgruppen erschließen, das soll wohl auch die neue „Gothic Opera“, die der Librettist und Komponist Jan Dvorák im Auftrag des Hauses geschrieben hat. Oder besser fortentwickelt, denn das Theater Basel hat vor einigen Jahren bereits eine Sprechfassung gezeigt.
Reinrassige Avantgarde ist eher nicht gefragt an diesem zwiespältigen Abend. Dabei entspräche die durchaus Dvoráks musikalischer Sozialisation, ist er doch als Mitgründer des Hamburger Neue-Musik-Festivals klub katarakt in der örtlichen Szene verankert. Hin und wieder blitzen genuin zeitgenössische Töne und interessante Klangeffekte auf, überwiegend aber beschränkt sich Dvorák auf gemäßigt moderne Töne. Wenn’s emotional wird, schmachtet die Musik zuverlässig in Moll.
Und es wird ziemlich oft emotional. Auch die Regisseure Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn rücken das Leiden des einsamen Monsters ins Zentrum. Schauspielerin Catrin Striebeck spricht die Rolle aus dem Off, ach was, sie faucht, stöhnt, schmeichelt, während drei Puppenspieler eine überlebensgroße Puppe (entworfen von Marius Kob) führen. Dank der Lichtregie verschwinden sie förmlich in ihr; oft wirkt das Wesen durchscheinend wie ein Schmetterling. Das Publikum identifiziert sich mit der psychologisch fein gezeichneten Kunstfigur. Das Ensemble um Bariton Viktor Rud in der Titelrolle überzeugt mit hohem stimmlichen Niveau, lebendiger Darstellung und exzellenter Textverständlichkeit.
Das hilft zumindest streckenweise über dramaturgische Schwächen hinweg. Das Libretto hangelt sich allzu treulich an Shelleys Roman entlang, die Dialoge und Reflexionen ermüden deshalb. Peinlich lang und klischeehaft gerät die Begegnung mit dem Polarforscher Walton und seinen in Ivan-Rebroff-Pelzmützen gehüllten, den russischen Akzent forcierenden Matrosen. Ein entschlossenes Lektorat hätte Betrachtungen wie „Nichts ist unbeständiger als die menschlichen Gefühle“ erspart. Weniger wäre mehr gewesen.
„Frankenstein“ 23. + 25.5., je 19.00, 27.5., 16.00, Kampnagel K6; www.kampnagel.de