St. PauLi. Auf dem Kiez häufen sich die Gewaltdelikte. Immer wieder sind es Messerangriffe. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert mehr Rechte, präventiv gegenTäter vorzugehen
Sechsmal in den vergangenen zweieinhalb Jahren rückte die Mordkommission hierhin aus, weil Menschen angegriffen und lebensgefährlich verletzt wurden. Nirgendwo sonst häufen sich die Tatorte für Mordermittler so auf kleinem Raum. Der Hamburger Berg/Ecke Reeperbahn ist der gefährlichste Ort der Stadt.
In fünf der sechs Fälle setzten die Täter verbotene Waffen ein, viermal waren es Messer. Alle Opfer wurden dabei schwer oder lebensgefährlich verletzt.
Immer wieder Messerangriffe auf dem Kiez oder an anderen Orten der Stadt: Wie groß das Problem ist, soll jetzt per Statistik erfasst werden. Bereits vom Juli an soll in Hamburg – ein halbes Jahr früher als bundesweit – ausgewertet werden, wie viele Menschen durch Messerangriffe zu Schaden kommen.
Selbst Taschenmesser und Baseballschläger sind verboten
Vor gut zehn Jahren, Ende 2007, hatte der Senat eine Waffenverbotszone auf dem Kiez eingeführt. Hintergrund war die hohe Zahl der Gewaltdelikte von rund 800 Taten jährlich auf St. Pauli. Verboten sind seitdem Schuss-, Hieb- und Stichwaffen, selbst Taschenmesser, aber auch Baseballschläger. Wer erwischt wird, riskiert hohe Geldstrafen, theoretisch bis zu 10.000 Euro.
Nach Einrichtung der Waffenverbotszone, die auf der Reeperbahn und den Nebenstraßen gilt, wurden mehrere große Kontrollen durchgeführt. Von Polizisten, die mit Metalldetektoren unterwegs seien und gezielte Kontrollen durchführen, war die Rede. Der heutige Finanzsenator und damalige Innenexperte der damaligen Oppositionspartei SPD, Andreas Dressel, forderte sogar eine „Entwaffnungsstrategie“. Davon ist man heute allerdings genauso weit entfernt wie damals.
Messer waren und sind ein großes Problem – und werden es vermutlich auch bleiben. Das zeigen aktuelle Zahlen. Bei 17 vollendeten oder versuchten Tötungsdelikten in diesem Jahr wurden in 13 Fällen Messer eingesetzt. Auch bei gefährlichen Körperverletzungen kommen Messer regelmäßig zum Einsatz.
St. Pauli ist dabei der Brennpunkt der Gewalt in Hamburg. 940 gefährliche Körperverletzungen wurden hier im vergangenen Jahr registriert. Das sind rund 140 Fälle mehr als 2007 bei der Einführung des Messerverbots. Zur Einordnung: Im Stadtteil St. Pauli (Bezirk Mitte) wurden 2017 mehr gefährliche Körperverletzungen registriert als in jedem einzelnen der restlichen sechs Hamburger Bezirke. Bei wie vielen der gefährlichen Körperverletzungen bislang ein Messer im Spiel war, wird erst mit der kommenden Statistik erfasst.
Dass St. Pauli, speziell der Kiez, schwer mit anderen Orten in Hamburg zu vergleichen ist, liegt auf der Hand. Bis zu 100.000 Menschen in Feierlaune kommen an guten Tagen auf die Reeperbahn und in die Nebenstraßen. Dass die Mischung aus Party und Sünde auch Kriminelle anzieht, ist nicht neu. Allerdings hat sich in der letzten Zeit etwas verändert. Noch vor vier Jahren hatte der damalige Chef der Davidwache davon gesprochen, dass die „Dramatik“ in Sachen Gewalt auf dem Kiez zurückgehe. Jetzt sind die sündigste Meile der Welt und ihre Nebenstraßen wieder vermehrt in den Schlagzeilen.
Der Hamburger Berg spielte dabei schon immer eine hervorgehobene Rolle. Hier finden sich berühmt-berüchtigte Gaststätten wie der Elbschlosskeller oder der Goldene Handschuh, in dem sich schon vor rund einem halben Jahrhundert Serienmörder Fritz Honka seine Opfer suchte. Zudem gibt es in der Seitenstraße seit Jahren eine Dealerszene, mit der viele Gewalttaten in Zusammenhang gebracht werden.
Die Polizei steht hinter dem Waffenverbot. „Es ist davon auszugehen, dass weitere Straftaten, die mit dem Einsatz von Waffen oder gefährlichen Gegenständen verbunden gewesen wären, dadurch verhindert werden konnten“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. „Die Polizei begrüßt, dass mit dem Instrument die Kompetenz gegeben wurde, Waffen und gefährliche Gegenstände aus dem Verkehr zu ziehen. Jeder einzelne dieser Gegenstände ist einer zu viel.“
Dabei könnte die Polizei mehr tun. Sie darf es aber nicht. Zwar können Personen „kurzfristig angehalten“, befragt und ihre Sachen durchsucht werden. Dafür muss es aber auch in der Waffenverbotszone „konkrete Lageerkenntnisse“ geben, dass jemand verbotene Waffen oder andere gefährliche Gegenstände dabeihat. Eine verdachtsunabhängige Durchsuchung ist nicht mehr möglich, nachdem im Jahr 2015 das Oberverwaltungsgericht Vorgaben aufgestellt hat, die die Polizei als „nicht praktikabel“ eingestuft hat.
Auch in den Bahnen kommt es vermehrt zu Messerattacken
Außerhalb dieser Verbotszonen sind präventive Durchsuchungen überhaupt nicht möglich.
Durch eine Auswertung hat die Bundespolizei festgestellt, dass im ersten Quartal 2018 zwar in ihrem Zuständigkeitsbereich, also in Bahnhöfen und Zügen der Fern- und S-Bahn, die Straftaten zurückgehen, die Gewaltdelikte aber ein Problem bleiben und steigen. Auch dort spielen Messer eine Hauptrolle. Aktuell wird ein Konzept erarbeitet, wie man mit dem Problem umgeht.
„Ein Messer, übrigens jedes Küchenmesser, ist eine einfach zu beschaffene, gut verdeckt zu tragende Waffe. Das wird man nicht ändern können“, sagt Joachim Lenders, Hamburger Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Daran habe schon das im Jahr 2008 erlassene Verbot für Butterfly- oder Einhandmesser nichts geändert. „Wir sollten aber der Polizei die Möglichkeit geben, präventiv vorzugehen. Dazu bedarf es der rechtlichen Rahmenbedingungen, aber auch der personellen Ressourcen.“