HafenCity. Neue Erlebnisausstellung „Dialog mit der Zeit“ in der Speicherstadt. Hier können Besucher selbst simulieren, wie es sich anfühlt, alt zu sein

    Alt – das sind immer die anderen. Grauer Star? Gicht? Wie bitte, ich verstehe Sie nicht? Man hört nicht nur schlechter im Herbst des Lebens, man hört auch wenig über das Senium, wie Mediziner sagen würden. Über das Altern redet man nicht. Mit dem Altern beschäftigt man sich nicht. Jedenfalls nicht, wenn man nicht muss, weil ein Familienmitglied zufällig gerade alt und/oder pflegebedürftig ist.

    Triff dein Morgen! Mit diesem Slogan will eine neue Ausstellung im Hamburger Dialoghaus – bekannt durch den Dialog im Dunkeln und den Dialog im Stillen – das Altern für jeden erfahrbar machen. Das Konzept nennt sich Dialog mit der Zeit. In Manier der bekannten Erlebnisformate zeigt es, wie es sich anfühlt, ins Greisenalter (oder zumindest bis kurz davor) zu gleiten. An Falten, simulierten Beschwerden, Demenzerfahrungen oder anderen Einschränkungen mangelt der Selbsttest nicht.

    Doch auch die Vorzüge und das Glück des Alters werden thematisiert, etwa die Freiheit, losgelöst von familiären Zwängen tun und lassen zu können, was man will. In drei Worten erwartet die Besucher: Altern für Anfänger.

    Am Anfang steht dabei Danielle. Ein Mädchen, dem man in einem Zeitraffervideo beim Altern zusehen kann. Vom Kind bis in die hohen 70er in drei Minuten. Eindrücklich blickt man in ein ebenmäßiges Babygesicht, das nach und nach reift wie ein Apfel in der prallen Sonne. Erst kommen die Falten an den Augen, dann hängen die Mundwinkel, der Hals verschrumpelt, die Haare werden grau. Währenddessen wandelt sich der Zustand der Haut vom glatten Kinderpopo zum gegerbten Lederlappen. Und dauernd fragt man sich: Wann hat sie mein Alter erreicht? Wie alt ist sie jetzt? Und ab wann ist man das eigentlich, dieses Alt?

    Da ruft Margit Schröder, dass die Besuchergruppe jetzt in den nächsten Raum wechseln möge. Die Frau duzt alle, ist 75 Jahre alt, Hobbyschauspielerin, Gospelchorsängerin, Soziologin, Weltreisende, verrentete Buchhalterin und neuerdings Ausstellungsführerin im Dialog mit der Zeit. Für sie scheint der Begriff lebenslustig erfunden worden zu sein. Als eine von 39 extra angeworbenen Guides begleitet sie künftig die Besucher durch die Ausstellung. Zugangsvoraussetzung war ein Lebensalter jenseits der 70, rekrutiert wurden die mit dem Thema vertrauten Fremdenführer in sozialen Netzwerken und unter anderem auch direkt im Seniorenheim. Der älteste Guide ist 83.

    Das Ausstellungskonzept aus spielerischer Erfahrung, eigenem Erleben, aus Fragen und Antworten richtet sich an die ganze Familie. Wie schon beim Dialog im Dunkeln und dem Dialog der Stille wurden mit dem sozialen Ansatz auch Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Nach Blinden und Gehörlosen jetzt für Rentner. Die neue Attraktion ist als Wanderausstellung zuvor bereits durch Länder wie Israel und Taiwan gereist. Nun erhält der Dialog mit der Zeit eine ständige Residenz im Dialoghaus am Alten Wandrahm in der Speicherstadt, um alle Aspekte des Alterns aufzugreifen.

    Im sogenannten Dialograum, der zweiten Station der Ausstellung, geht es gleich ans Eingemachte. „Sucht bitte ein Foto aus dem Stapel vor euch, das Glück im Alter für euch am besten beschreibt“, fordert Margit Schröder. Und die Ergebnisse könnten kaum verblüffender, weil unterschiedlicher, sein. Für einige ist individuelles Glück am wichtigsten, etwa ein einsamer Lesender auf einer Blumenwiese, für andere ist ein aktiver Wanderer im Hochgebirge das Ideal, manche wählen den Alten im Kreis seiner Kinder und Enkel. „Seht ihr!“, sagt Margit, die sich mehrmals im Leben neu, manchmal auch spät neu erfunden hat. „Glück im Alter ist für jeden etwas anderes. Und das ist doch toll, oder?“

    Bis zum Jahr 2040 soll mehr als ein Drittel aller Deutschen 65 Jahre und älter sein. „Das wird die Gesellschaft enorm verändern“, sagt Margit Schröder. Und in der Speicherstadt bekommt der sperrige Begriff des demografischen Wandels künftig ein konkretes Anschauungsbeispiel. Oder, wie es Projektleiterin Katharina Petersen formuliert: „Alles, was das Altern betrifft, wird bis zuletzt ausgeklammert, niemand will über das Alter reden. Hier sieht man, dass es nicht immer ein Problem sein muss.“

    Den problematisierenden Teil gibt es aber auch. Im interaktiven Bereich der Ausstellung – er dürfte mit seinen Touchscreens und Computeranwendungen vor allem den jüngeren Besuchern gefallen – erfährt man, wie sich eine Sehschwäche anfühlt, wie schwierig Computerspiele mit Rheuma bedient werden können oder wie verwirrend es sein kann, am Flughafen mit viel zu vielen Informationen überflutet zu werden. Mit Gewichten an den Beinen wird Treppensteigen zur Qual, mit einer verzerrenden Brille die Wahrnehmung eines Demenzkranken simuliert. Erhellende Erfahrungen, finden auch die ersten Testbesucher Songrid Tonner und Gisela Jahn. „Die Perspektive zu wechseln hilft.“

    Wie viele 100-Jährige leben in Deutschland? Was würde passieren, wenn alle Menschen schlagartig 50 Jahre älter wären? Wie viele Geburtstage feiert ein heute geborenes Baby durchschnittlich in seinem Leben? Im letzten Raum kommen Besucher über Quizfragen ins Gespräch. Alltagsprobleme für Senioren, wie zu kurze Grünphasen an Ampeln, sind da schnell gefunden. Viele werden wohl überrascht sein, dass Altern nicht nur Schlimmes bedeutet.

    Die Ausstellung „Dialog mit der Zeit“
    er­öffnet am 24. Mai im Dialoghaus am
    Wandrahm 4, Mo–So geöffnet. Tickets für Erwachsene (17,50 Euro), Kinder (11,50) und Familien (54 Euro) unter Tel. 040/3096340 oder www.dialog-in-hamburg.de