Hamburg. Der 62-Jährige ist keiner, der mit seinen Gefühlen hinter dem Berg hält, das wird vor dem Amtsgericht schnell deutlich.

Geduld? Fehlanzeige. Gelassenheit? Keine Spur. Diese wegwerfende Handbewegung, das empörte Aufschnauben und die bedenkliche Röte im Gesicht, ausgelöst durch mühsam unterdrückte Wut: Karsten I. (Name geändert) wirkt wie die personifizierte Missbilligung. Der 62-Jährige ist keiner, der mit seinen Gefühlen hinter dem Berg hält, das wird schon nach wenigen Minuten im Prozess vor dem Amtsgericht deutlich. Vor allem ist der 62-Jährige mit seiner Rolle als Angeklagter unzufrieden. Eigentlich sieht sich der Hamburger eher als Opfer – und vor allem im Recht.

Vor Gericht gebracht hat den kräftigen Mann mit der schulterlangen Wallemähne eine Auseinandersetzung um Hunde. Als sein Vierbeiner und das Tier einer Hamburgerin im August aneinander gerieten, soll Karsten I. die Halterin des anderen Hundes mit den Worten „Scheiß Türken“ und „Scheiß Gesindel“ beleidigt und zudem gemeint haben, man müsse „Erdogan Bescheid geben“, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.

„Gefährdung des Straßenverkehrs“

Das will Karsten I. nicht auf sich sitzen lassen. Der gelernte Zimmermann erzählt von einer Radtour mit Freundin und Haustier. Hinter einem Gebüsch sei plötzlich ein großer Hirtenhund auf ihn und seinen Husky losgestürmt. „Das war direkt eine Gefährdung des Straßenverkehrs“, echauffiert sich der Angeklagte. „Da bin ich sensibel und werde dann auch lauter.“ Außerdem habe die Frau ihren Hund nicht an der Leine geführt und damit gegen die in Hamburg geltenden Bestimmungen verstoßen. Schon acht Monate zuvor habe es einen ähnlichen Vorfall gegeben, bei dem ihr Hund seinen attackiert habe.

Jetzt habe er die Halterin des anderen Tiers aufgefordert, ihm Namen und Anschrift zu nennen. „Die Daten wollte sie aber nicht herausgeben. Sie sagte: ,Wenn meinem Hund etwas passiert, bringe ich mich um.’“ Die Reaktion der Frau habe ihn an „orientalisches Wehklagen“ erinnert, sagt er, die Fäuste geballt. Später habe die Hamburgerin auch noch behauptet, er habe sie als Fotze und Schlampe bezeichnet. „Da habe ich gesagt, dass sie das genauso macht wie Erdogan: nämlich Anschuldigungen und Lügen zu verbreiten.“

„Er rief Scheißtürken und Ähnliches“

Die von ihm so beschuldigte 36-Jährige erzählt, sie sei beim Spaziergang mit ihrem Hund auf weiter Flur allein gewesen und habe ihn von der Leine gelassen, „damit er sein Geschäft macht“. Plötzlich sei der Angeklagte mit seinem Tier aufgetaucht. „Mein Hund ist auf den anderen zugelaufen, sie haben sich angekläfft und gekabbelt. Das war meine Schuld, weil ich mein Tier nicht angeleint hatte“, räumt die Zeugin ein. Allerdings sei Karsten I. dann beleidigend geworden.

„Er rief Scheißtürken und Ähnliches“, erzählt die Hamburgerin mit nordafrikanischen Wurzeln. Karsten I. habe weiter getobt und gesagt, „er hoffe, dass Erdogan mich findet und in den Knast bringt. Er schrie so laut, dass die Leute schon aus den Fenstern guckten.“ Als der Mann sie nach Namen und Adresse gefragt hat, habe sie die nicht herausgeben wollen. „Er war so aggressiv. Ich hatte Angst vor ihm.“

Angeklagter hat ein Vorstrafenregister

Eine Zeugin, die zufällig zu den Streitenden stieß, schildert, dass sie eine lautstarke Auseinandersetzung gehört habe. Es seien schon ausländerfeindliche Bemerkungen gefallen. Es habe etwa geheißen, dass es „typisch für Türken sei, dass keine Versicherung da ist. Der Name Erdogan fiel. Und ich hörte die Worte: Scheiß Ausländer.“ Insgesamt sei die Stimmung „sehr aufgeheizt“ gewesen.

Dass Karsten I. zu aufbrausendem Verhalten neigt, zeigt sein Vorstrafenregister. Mehrfach ist er wegen Nötigung und Beleidigung verurteilt worden, zuletzt, weil er Polizisten beleidigt hatte. Damals hätten Zivilbeamte beim Parken teilweise in seiner Einfahrt gestanden, „auch noch entgegen der Fahrtrichtung“, erläutert der Angeklagte. „Sie sagten, es sei ein dringender Einsatz, der aber gar nicht so dringend war.“ Da sei er lauter geworden.

Auch jetzt ist die Richterin überzeugt, dass der Hamburger Beleidigungen ausgesprochen und unter anderem „Gesindel“ gesagt hat und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu 30 Euro. Dass die Frau mit dem großen Hund Angst vor Karsten I. gehabt hat, „kann ich mir vorstellen“. Auch in der Verhandlung sei er impulsiv und teilweise aggressiv gewesen. „Natürlich muss die Frau ihren Hund anleinen“, betont die Vorsitzende. Das habe die 36-Jährige auch eingeräumt. Ihr Fehlverhalten rechtfertige aber „auf keinen Fall Beleidigungen, vor allem keine rassistischen“.