Hamburg. Jenisch, Sieveking, Petersen – diese Namen kennt fast jeder in der Stadt. Dritter Teil der Serie über große hanseatische Traditionen.

Ich geh nach Hagenbeck hin.“ Das ist zwar kein gutes Deutsch, sagt aber alles. Zudem beweist dieser Satz Verbundenheit der Hamburger mit „ihrem“ Tierpark, einer Institution, die von jeher privat betrieben wird. Praktisch jedes Kind kennt sie. Und auch wer in anderen Teilen Deutschlands diesen Nachnamen nennt, weiß Bescheid. Nicht viele Familien können das von sich behaupten.

Die Attraktion mit den Tieren begann anno 1848, vor 170 Jahren also. Das erste Kapitel ist bekannt: Auf dem Spielbudenplatz stellte der seinerzeit 37 Jahre alte Fischgroßhändler und Räucherer Gottfried Clas Carl Hagenbeck sechs Seehunde zur Schau. Finkenwerder Störfischer hatten sie ihm in sein Geschäft an der Große-Petersen-Straße mitgebracht, der heutigen Lincolnstraße. Geht von der Reeperbahn ab. Die Altonaer und Hamburger fanden das spannend. Und so nahm eine einmalige Geschichte ihren Anfang. Daraus wurde mehr, viel mehr.

Eigentliche Wurzeln sind kaum bekannt

Die eigentlichen Wurzeln der Familie in unserer Stadt indes sind kaum bekannt – und älter. Um auch ihnen auf den Grund zu gehen, führt der Weg direkt zum Tierpark im Stadtteil Stellingen. „Moin!“, sagt ein hochgewachsener Mann mit Anzug und Krawatte. „Herzlich willkommen bei uns zu Hause.“ Diese Privatvilla liegt in der Nähe des Eismeers, jedoch nicht auf dem öffentlichen Parkgelände. Herr Dr. Hagenbeck bittet ins Wohnzimmer. Seine Frau Rosita und Tochter Bettina, eine Biologin, kommen hinzu. Das Ehepaar ist seit 52 Jahren verheiratet. Es gibt Kaffee. Und es gibt erstaunliche Ein- wie Ausblicke. Das schon mal vorweg.

Wann und wie kamen die Hagenbecks eigentlich nach Hamburg? Darüber streiten sich die Gelehrten, im wahrsten Sinn des Wortes. „Der Forschungsstand zur Familie Hagenbeck ist angesichts ihrer Bedeutung erstaunlich lückenhaft“, weiß Lars Rebehn, Konservator der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Er lebte lange in Hamburg und recherchierte hier für eine Dissertation zum Thema „Schausteller in Hamburg im 19. Jahrhundert“. Er weiß mehr als viele andere.

Ein Erinnerungsstück von 1929: Die Hagenbecks hatten von jeher
früh Kontakt zu exotischen Tieren
Ein Erinnerungsstück von 1929: Die Hagenbecks hatten von jeher früh Kontakt zu exotischen Tieren © HA | Andreas Laible

Unbestritten ist, dass zwei Brüder namens Haghenbeck, damals noch mit zwei „H“ geschrieben, 1809 in Hamburg eine Tapetenfabrik gründeten. Der eine hieß Charles, der andere Ziese, Frans oder Francois. Das ist nicht präzise belegt. Die Vorfahren könnten im Rhein-Ruhrgebiet oder in Flandern gelebt haben. Auf jeden Fall kam Gottfried Hagenbeck am 13. März 1810 als unehelicher Sohn des katholischen Tapetenfabrikanten Haghenbeck und der Protestantin Louise Richersen zur Welt. „Wir Hagenbecks sind seit mehr als zwei Jahrhunderten in der Hansestadt ansässig“, sagt Claus Hagenbeck. „Meine Vorfahren schrieben hier Geschichte.“

Anhand alter Unterlagen, Aufzeichnungen und der Memoiren des 1844 geborenen Carl Wilhelm Hagenbeck ist die Ära im Anschluss an die erste Seehunde-Ausstellung chronologisch akkurat dokumentiert. Eilen wir im Zeitraffer durch die Jahrzehnte.

Erstaunlicher Werdegang

1852 verkauft Käpt’n Main vom Walfangschiff „Der junge Gustav“ Gottfried Hagenbeck einen Eisbären aus Grönland. Kaufpreis: 350 Taler. Nach und nach treffen in Hamburg immer mehr exotische Tiere aus Übersee ein. Der internationale Handel gedeiht. Mit „Völkerschauen“, Raubtieren, Gauklern und Musikern reisen die Hagenbecks durch deutsche Lande und durch Europa. Oft kommen Zehntausende. Sie füllen die Kassen. Das Geschäft floriert. 1887 wird der Zirkus Hagenbeck gegründet, 1907 im damals preußischen Dorf Stellingen der erste gitterlose Zoo der Welt eröffnet – quasi auf einem Kartoffelacker.

Doch zurück zur Familie. Claus Hagenbeck zeigt einen Stammbaum, der einen erstaunlichen Werdegang beinhaltet. Streit gehört in einer großen Sippe dazu. Der Hader bei den Hagenbecks lieferte nach Auffassung der meisten Mitglieder lange Zeit viel zu viele Schlagzeilen. Nach außen ist er beigelegt: Aktuell führen Claus Hagenbecks Tochter Bettina und ihre Cousine vierten Grades Friederike als weibliche Doppelspitze das Unternehmen in sechster Generation.

Aus verständlichen Gründen spricht der promovierte Tierarzt Claus Hagenbeck gar nicht gerne über Zoff, sondern lieber über die unbestrittenen Erfolge seiner Familie. Der 75-Jährige, Hanseat von Abstammung wie von Habitus, leitete den Tierpark von 1982 bis 2004. Er ist Urenkel des legendären Gründers Carl. Und er ist nach wie vor Geschäftsführer der Carl Hagenbeck GmbH. Diese verpachtet den Tierpark an eine gemeinnützige Gesellschaft.

Erster Tierpark am Neuen Pferdemarkt

Gibt es denn noch Erinnerungsstücke von früher? Bettina Hagenbeck deutet auf einen Siegelring mit dem Familienwappen. Dieses Erbstück ihres Großvaters erhielt sie als Geschenk zur Konfirmation. Beim Verladen eines Raubtieres, so ist familienintern überliefert, fiel ein Gitter auf die Hand des Großvaters. Angeblich rettete der Ring ihm einen Finger. Nach einer weiteren Tasse Kaffee empfiehlt Claus Hagenbeck einen Rundgang durch das Haus. Gemeinsam mit seiner Frau Rosita lebt er seit rund einem halben Jahrhundert dort. In der um 1840 gebauten alten Hagenbeck-Villa ein paar Meter weiter ist ihre Tochter Bettina mit Ehemann und drei Kindern, zwei Mädchen und ein Junge, zu Hause. Die Mitglieder der siebten Hamburger Hagenbeck-Generation sind zwischen 15 und 20 Jahre alt. Gut möglich, dass einer von ihnen später fortführt, was die Vorfahren begannen.

Das Wappen der Familie Claus
Hagenbeck
Das Wappen der Familie Claus Hagenbeck © HA | Andreas Laible

Doch nun ist Hingucken angesagt. Das Haus ist geschmackvoll und gediegen eingerichtet. Es gleicht einem Museum. An den Wänden hängen zwei großformatige, gut 120 Jahre alte Löwenbilder sowie ein ähnlich altes Ölgemälde des Pioniers Carl Hagenbeck. Ein exzellent erhaltenes hölzernes Kassenpodest stammt aus der Ära des ersten Tierparks der Familie. 1866 hatte Carl Wilhelm Heinrich Hagenbeck diesen am Neuen Pferdemarkt 13 gegründet, nahe dem Heiligengeistfeld.

Vererbt wurde außerdem eine noch ältere Kasse aus dem Besitz des Gründers Gottfried Hagenbeck. Ob er darin die Einnahmen der Seehunde-Ausstellung oder seines Fischhandels verwahrte?

Regelmäßige Familientreffen

Sogar Klaus Gille weiß keine Antwort. Und das will etwas heißen: Der Historiker kümmert sich mit Herzblut und Akribie um das Hagenbeck-Archiv. Darin verwahrt sind ein Reisepass Gottfried Hagenbecks von 1872 und Eintrittskarten seines Sohnes Carl Wilhelm. Letzterer war 1893 Gast der Weltausstellung in Chicago. In gutem Zustand befindet sich das Schild der Hagenbeck’schen „Handels-Menagerie“. Vermutlich hing es einst am Pferdemarkt.

Zurück in die Neuzeit. Rosita Hagenbeck berichtet von regelmäßigen Familientreffen. Bis Anfang dieses Jahrtausends wurden sie von der 2007 verstorbenen Mutter von Claus Hagenbeck ausgerichtet. Fast 20 Personen pflegten daran teilzunehmen. Im Mittelpunkt eines Golfturniers stand der „Hagenbeck-Pokal“. Parallel wurde Klönschnack gehalten – über Gott und die Welt und über eine illustre Familiengeschichte.

Zum Ausklang eines faszinierenden Vormittags zeigt Claus Hagenbeck zwei Unikate aus der Schatzkiste. Nummer eins ist ein See-Elefant aus Bronze. Früher eine Kühlerfigur? Nummer zwei ist eine aus Schlangenleder gefertigte Reisetasche, mit der Carl Wilhelm Hagenbeck gegen Ende des 19. Jahrhunderts unterwegs war. In vieler Herren Länder machte er Werbung für die Familie – und damit für die Hansestadt Hamburg. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Nächster Teil: Familie Sieveking