Hamburg. Anbieter sichern sich jede vierte Neuvermietung. WeWork schafft über 1300 Plätze. Investoren sind begeistert.
Achim Zwick ist seit halb neun am Arbeitsplatz. Mit seiner Mitarbeiterin Lena Vogel sitzt er auf einem roten Sofa in einer Nische vor dem Laptop. Davor hat es sich Hund Emma auf einer Decke bequem gemacht. „Ich komme jeden Tag“, sagt der 53-Jährige, der sich vor Kurzem mit einer Personalberatungsagentur selbstständig gemacht hat. Er schätze das Arbeitsklima in dem offenen Raum, sagt er. Ein paar Meter weiter arbeiten zwei Frauen in der Lounge-Ecke an einer Präsentation. Immer wieder surrt die Kaffeemaschine. Akvile Ignotaite ist ein bisschen später dran an diesem Vormittag. Die gebürtige Litauerin baut ein Kosmetik-Start-up auf. Auch ihr Schreibtisch steht nicht zu Hause oder im eigenen Büro, sondern auf einem sogenannten Coworking Space.
850 Männer und Frauen teilen sich im Stadthaus auf sechs Etagen die Bürofläche des Anbieters WeWork. „Do what you love“ steht auf einem Transparent an der Fassade in der Hamburger Neustadt. WeWork gehört zu den großen Anbietern im Geschäft mit den Arbeitsplätzen auf Zeit. In Deutschland hat das amerikanische Unternehmen sechs Standorte, in Berlin, Frankfurt und Hamburg. Sieben weitere sind angekündigt, darunter zwei in der Hamburger City. Im August soll in der Europa Passage ein Coworking Space mit 1300 Arbeitsplätzen eröffnen. Laut Planung folgt im November das nächste am Gänsemarkt. Die Größe hängt noch von der Baugenehmigung ab. Aber auch hier sollen einige Hundert neue Plätze entstehen.
„Hamburg hat nicht nur eine beeindruckende Geschichte als Handelsmetropole und Standort vieler Traditionsindustrien, sondern weist mittlerweile auch die höchste Gründungsaktivität in Deutschland auf“, erklärt Wybo Wijnbergen, General Manager Germany & the Netherlands, den Expansionsdrang in der Hansestadt. Weltweit unterhält das 2010 gegründete und heute milliardenschwere Unternehmen mehr als 240 Standorte. Dabei versteht sich WeWork als Netzwerk, das Menschen zusammenbringen und innovative Arbeitsmodelle fördern will. Die Mieter sind Mitglieder, die monatliche Beiträge zahlen. Insgesamt sind es inzwischen 210.000 Männer und Frauen in 21 Ländern.
Zahl der Coworking-Angebote wächst
Auf dem Hamburger Büromarkt wächst die Zahl der Coworking-Angebote rasant. „Allein im vergangenen Jahr haben sich die Flächen im Vergleich zu 2016 vervierfacht“, sagt Tobias Scharf, Chef des Bürovermietungsbereichs bei Jones Lang LaSalle SE (JLL). Nach einer aktuellen Studie des Immobilienmanagementunternehmens gibt es inzwischen mehr als 6000 flexibel anmietbare Büroplätze in der Hansestadt. Nach Fertigstellung aller geplanten Vorhaben steigt die Zahl in diesem Jahr auf fast 10.000 auf einer Fläche von 120.000 Quadratmetern. Das Angebot verteilt sich auf 78 Standorte, die von 56 verschiedenen Anbietern betrieben werden. Wobei die Spannweite von klassischen Business Centern mit Einzelbüros bis zu offenen Arbeitsbereichen wie etwa den Coworking-Pionieren Beta-Haus oder Places Hamburg reicht – und allem dazwischen.
So hat im März Benjamin Otto, Aufsichtsrat der Otto Group und Unternehmer, auf einer Büro- und Arbeitsfläche von 450 Quadratmetern am Zippelhaus das Projekt CoWork gestartet, mit dem er Firmengründer beim Start unterstützen will. Im September eröffnet die Regus-Gruppe in der ehemaligen Oberpostdirektion am Gorch-Fock-Wall erstmals ein Coworking-Center der Marke Spaces mit 350 Arbeitsplätzen in Hamburg. Der Anbieter von gemeinschaftlich genutzten Arbeitsflächen hatte das niederländische Start-up 2015 gekauft. Ab November steht im Kallmorgen-Tower, dem ehemaligen IBM-Haus an der Willy-Brandt-Straße in Hamburg-Altstadt, ein weiteres Spaces mit 750 Büroplätzen bereit. Es umfasst mit 7000 Quadratmetern nahezu die komplette Fläche. „Nur eine Etage ist an einen anderen Nutzer vermietet“, sagt Regus-Projektentwickler Daniel Christoph Grimm. Und auch noch in diesem Jahr soll in der HafenCity die speziell für den Finanzbereich ausgelegte Workspace Finhaven an den Start gehen.
„Das Wachstumspotenzial ist enorm“, sagt JLL-Immobilienexperte Tobias Scharf. 2017 ist nach seinen Angaben ein Viertel aller Büroflächen im Innenstadtbereich von Coworking-Betreibern angemietet worden. Das werde in den nächsten Jahren so weitergehen. Auch große Unternehmen lagerten immer häufiger Büroplätze aus. Teilweise für konkrete Projektgruppen auf Zeit, aber auch weil sie sich nicht mit langfristigen Mietverträgen binden wollen.
Auch bei WeWork, die seit 2017 in Hamburg sind, haben sich einige große Firmen mit 15 und mehr Arbeitsplätzen eingemietet, darunter sind Banken, Unternehmensberatungen oder auch die VW-Tochter Moia. Diese Gruppe macht inzwischen ein Drittel der WeWork-Mitglieder aus. Auch bei Gründern und Selbstständigen aus allen Branchen, vom Übersetzungsservice über Entsorgungsmakler bis zum App-Entwickler, ist die Nachfrage groß. „Grundsätzlich haben unsere Gebäude nach der Eröffnung innerhalb von wenigen Monaten eine Belegungsrate um 90 Prozent“, heißt es bei dem Anbieter.
Eigener Schreibtisch kostet monatlich 350 Euro
Die Preise liegen im Stadthaus zwischen 300 Euro im Monat für einen sogenannten Hot Desk, was so viel bedeutet wie freie Platzwahl. Ein eigener Schreibtisch kostet monatlich 350 Euro, ein privates Büro ab 470 Euro. Es gibt Empfangsservice, schalldichte Telefonzellen, Konferenzräume, Drucker und – ganz wichtig – Tag und Nacht frischen Kaffee und ab 14 Uhr sogar auch Bier. Mehrfach in der Woche werden Veranstaltungen angeboten, das kann Yoga sein, ein Friseur-Pop-up oder ein gemeinsames Bio-Frühstück.
Gründerin Akvile Ignotaite ist seit Herbst Mieterin im Coworking Space. „Ich habe vorher lange zu Hause mein Büro gehabt“, sagt die 32-Jährige, die mit System Akvile ein ganzheitliches Pflegesystem für Akne-Haut entwickelt. Sie schätzt die Unterstützung und den interdisziplinären Austausch, auch international. Wenn Ignotaite mit Investoren zu tun hat, lädt sie die gern zu WeWork ein. „Die sind immer total begeistert“, sagt sie. „Besonders wenn sie aus klassischen Firmen kommen.“ Ähnlich ist es bei Personalberater Zwick, der schon in vielen Unternehmen gearbeitet hat und den die Start-up-Stimmung auf der gemeinsamen Fläche inspiriert. „Für mich ist das hier mein Büro.“