Hamburg. Mann und Frau beim Ausdauersport – selten hat das jemand mit so viel Witz und Weisheit erklärt wie Bestsellerautor Achim Achilles.

Achim Achilles hat unzählige Texte, Bücher, Videos und Hörspiele zum Thema Laufen geschrieben oder produziert. Der „Wunderläufer“ (Achim über Achim) ist nicht nur fit, sondern vor allem lustig. Im Gespräch anlässlich des Haspa-Marathons an diesem Sonntag in Hamburg sagt er, warum Läufer gern Kompressionssocken tragen, wie man sich besser bewegt, was das alles mit Sex zu tun hat. Und Achilles verrät, dass er in Wahrheit jemand ist, den nicht nur Abendblatt-Leser sehr, sehr gut kennen.

Auf die Plätze, fertig, los.

Lieber Achim Achilles, ein kluger Mann hat mir einmal gesagt, dass man auf zwei Arten lange fit bleiben kann: Entweder man läuft viel, oder man ruht sich viel aus.

Achim Achilles: So klug kann der Mann nicht gewesen sein. War es dieser Iken? Manche Läufer, gerade Männer in der Midlife-Crisis, laufen zu viel und ruinieren ihre Gelenke. Andere ruhen sich zu viel aus und werden fett. Die Kunst besteht in der Kombination von klugem Bewegen und wirklichem Ausruhen. Statt zwei Stunden stumpf durch den Wald zu zockeln, lässt sich in der halben Zeit viel mehr erreichen, mit ein paar Sprints, einem garstigen Hügel oder einem Dutzend Liegestützen. Es gilt: Nur wer sich aus der Komfortzone wagt, verbessert Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit. Die anderen bewegen sich nur. Dasselbe gilt fürs Erholen. Entspannen zwei Stunden Facebook oder Netflix Körper, Geist und Seele? Geht so. Aber jeden Morgen 20 Minuten Meditation – das schafft wirklich innere Ruhe.

Der kluge Mann waren Sie selbst, und ich hatte schon die Hoffnung, auf der Couch sitzen bleiben zu können. Zumal in einem großen, auch Ihnen bekannten Unternehmen die Regel Nummer eins für Top-Manager nicht ist, dass Sie sich viel bewegen sollen (das ist Regel Nummer zwei). Regel Nummer eins lautet: Schlafen Sie mindestens neun bis zehn Stunden. Bevor ich zu einer wichtigen Frage für einen Freund komme, deshalb meine Frage an Achim Achilles: Wie viel schlafen Sie? Und ist Schlafen noch wichtiger als Laufen?

Achilles: Der Weg zur Weisheit ist kurvig, sagt Konfuzius. Ich würde drei Arten Schlaf unterscheiden: erstens den Grübel- oder Angstschlaf, wenn die Gespenster des Alltags die ganze Nacht hindurch auftreten; zweitens den Komaschlaf, der eng mit Rotweinkonsum zusammenhängt; und drittens den Schönschlaf. Es ist wie mit dem Laufen und anderen lebenswichtigen Dingen: Länge ist sekundär. Ich kann nach zehn Stunden unruhigem Angstschlaf gerädert aufwachen und nach fünf Stunden Schönschlaf topfit. Für mich gilt grundsätzlich: Jede Schlafstunde vor Mitternacht zählt doppelt. Am liebsten gehe ich gegen 22 Uhr ins Bett, lese einen Haider-Kommentar und stehe um fünf Uhr auf, okay, manchmal wird es auch halb sechs. Dann brauche ich über den Tag allerdings einen Stützschlaf, der nicht länger dauern darf als 20 Minuten, sonst ist der Kreislauf zu weit unten. Geheimtipp: Wer am Abend noch Sport treibt, wird schwer in den Schlaf finden. Der Kreislauf rumort dann noch ziemlich lange.

Diese Straßen werden gesperrt

In dieser Antwort sind eine gute und eine schlechte Nachricht versteckt. Die schlechte: Sollte man wirklich möglichst früh am Morgen laufen? Die gute: Wenn es nicht auf die Länge eines Laufes ankommt – reichen dann auch dreimal zehn Minuten in der Woche?

Achilles: Zehn Minuten am Tag sind etwas wenig, um die Komfortzone hinter sich zu lassen. Aber 30 Minuten am Tag sind prima. Wenn noch Alltagsbewegung dazukommt wie Rad statt Auto und Treppe statt Fahrstuhl, dann wird ein Fitnessprogramm daraus. Kleiner Hinweis noch: Trainingsreize sollten innerhalb von 48 Stunden wiederholt werden, sonst hält der Körper bestenfalls seinen Zustand. Trainingsfortschritt braucht dauernde Impulse. Vorschlag: Sonnabend und Sonntag jeweils eine Stunde und dreimal die Woche 30 Minuten. Dazu jeden Morgen eine Viertelstunde Meditation sowie ein kleines Kraftprogramm für Bauch, Schultern, Rücken. Früher hieß das mal Gymnastik. Die Lauferei allein trainiert überwiegend die Beine, deswegen sind viele Läufer so spillerig obenrum.

Wenn man, wie mein guter Freund, lange, lange nicht gelaufen ist, wie kommt man dann am besten wieder rein? Er hat erzählt, dass er in der ersten Woche immer abwechselnd eine Minute gelaufen und zwei Minuten gegangen ist ...

Achilles: Ach ja, das leidige Thema Wiedereinstieg. Da gibt es den harten Weg, wenn man sich allein zurückkämpfen will zur Marathonform. Typische Männernummer, so allein gegen den Rest der Welt. Psychologen sprechen auch vom Rocky-Fimmel. Der Wechsel von Laufen und Gehen ist für den Anfang okay, aber nicht eine Minute laufen und zwei gehen, sondern bitte umgekehrt, aber dafür so langsam laufen, dass sich nicht sofort Nahtod-Erfahrungen einstellen. Und am Anfang idealerweise an Orten ohne viel Publikum. Ältere Herren, die in sündteuren Sportklamotten lila anlaufen, ziehen den Spott magisch an. Diese Methode erfordert viel Disziplin, weil jegliche soziale Kontrolle fehlt. Daher rate ich zum weicheren Weg: einen Leidensgefährten suchen, der idealerweise einen Tick fitter ist. Das motiviert. Gemeinsam läuft es sich ohnehin leichter, weil man vor lauter Quatschen das Laufen vergisst. Aber Achtung beim eigenen Partner: Sätze wie „Streng dich doch mal ein bisschen an, Schatz“ führen stracks in die Krise. Gerade Laufen zerrt schwelende Beziehungsprobleme unweigerlich ans Licht.

Sie laufen bestens, der Autor Achim Achilles und seine Sportbücher wie
„Keine Gnade für die Wade“ oder „Sehnen lügen nicht
Sie laufen bestens, der Autor Achim Achilles und seine Sportbücher wie „Keine Gnade für die Wade“ oder „Sehnen lügen nicht" © Frank Johannes

Mein armer, armer Freund. Der hat sich für sein Lauf-Comeback Schuhe für 200 Euro, einen Pulsmesser und Multifunktionskleidung gekauft. Und dabei habe ich ihn davor gewarnt, dass er die Sachen in wenigen Wochen im Internet verhökern muss. Mal ganz ehrlich, Herr Achilles: Pulsmesser sind doch was für Angeber, oder?

Achilles: Sind nicht etwa 80 Prozent aller Konsumartikel für Angeber? Autos wie Panzer, Grills wie Lokomotiven, Polohemden mit Krokodilen, aber auch Rotwein, Smartphone, Kinderwagen – in allen Lebensbereichen geht es oft nicht nur um Funktionalität, sondern auch darum, Nachbarn und Kollegen zu zeigen, was man sich leisten kann. Wir können jetzt gesellschaftskritisch werden, wofür es viele gute Gründe gibt. Oder aber pragmatisch bleiben. Natürlich ist Sport, vor allem wenn er draußen vor Zeugen aufgeführt wird, eine Spielart unserer fortwährenden Angeberei. Die Wissenschaft spricht von „darstellendem Bewegen“; jeder soll an meiner Pulsuhr sofort erkennen, dass ich es echt ernst meine mit dem Sport.

Mein Freund weiß nicht mal, wie das Ding funktioniert.

Achilles: Die allermeisten Besitzer teurer Puls­uhren haben die Bedienungsanleitung nie gelesen und beherrschen maximal drei von 1000 Funktionen – wie beim edlen Smartphone. Als bekennender Zweckrationalist sehe ich allerdings mehrere Vorteile: Erstens hilft Geldausgeben dem Bruttoinlandsprodukt, also dem Standort Deutschland und damit uns allen. Zweitens beflügelt edle Ausrüstung die Motivation. Wenn ich mich schicker fühle in teuren Klamotten, dann raffe ich mich eher zum Waldlauf auf. Wenn ich mit meiner Pulsuhr in Echtzeit meine absolvierten Kilometer auf Facebook poste, verschaffe ich mir Likes, damit Bewunderung und den Antrieb, morgen wieder zu rennen. Am schönsten aber ist es, der Gattin die vernichteten Kalorien auf dem Display zu präsentieren. Sie sagt endlich mal wieder „Toll!“ zu mir, und alle sind glücklich. So kann scheinbar unsinniger Konsum überraschenden Kollateralnutzen bewirken. Geheimtipp: Auf Ebay finden sich günstig fast neuwertige Lauf-Accessoires von Sportkameraden, bei denen diese Methode nicht funktioniert hat.

Läufervergleich 2017 im Zeitraffer

Findet man dort auch Kompressionssocken? Die Frage stelle ich, weil ich vor Kurzem Ihre Top Ten der Dinge gelesen habe, die nur Läufer verstehen. Und unter Punkt sieben stand dort: „Du trägst gern Kompressionssocken.“

Achilles: Nun, gebrauchte Kompressionsstrümpfe sind doch eher was für den Fetischhandel, vor allem ungewaschen. Womit wir bei einem von vielen Tabu-Themen des Freizeitathleten wären: Laufen und Erotik. Manche Menschen glauben ja, dass „Ausdauersport“ ein Hinweis auf besonders wilde Nächte sei. Unsinn: Der Läufer taugt nicht zum Sex, denn er hat entweder Krämpfe, muss sich für den Wettbewerb schonen oder ist schlicht müde. Optisch geben die mageren Knochenmenschen auch nicht viel her. Dazu kommt ein elendes Paradox: Frauen laufen erwiesenermaßen schneller, wenn sie am Abend vor dem Wettkampf richtig Spaß im Bett haben, Männer dagegen kostet wilder Sex fünf bis zehn Minuten.

Wie lösen laufende Paare diesen Konflikt?

Achilles: Da muss man dann Prioritäten setzen, die nicht immer beziehungsverlängernd sind. Aber zurück zur Kompression: Laufen, Radfahren und Schwimmen, in Fachkreisen als Triathlon bekannt, ist ein Fest für Krypto-Fetischisten, die sich nicht trauen, ihre Leidenschaft anderswo auszuleben. Wo sonst kann man sich stundenlang in eine Gummihülle zwängen und im eigenen Schweiß das Niedrigtemperaturgaren nachspielen? Nur im Neoprenanzug. Wann darf der Mann ungestraft Leggings in verbotenen Farben tragen? Wo wälzen sich Menschen im Schlamm, defäkieren im Wald, rennen fast nackt durch die Gegend? Ist doch toll, wenn man seinen kleinen Alltagsperversionen sozialverträglich nachgehen kann. Kompressionsstrümpfe bieten einen niedrigschwelligen Einstieg in die Welt verruchter Sportdessous, vor allem rosafarbene.

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© Getty Images

Wo wir schon bei den Extremen sind: Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, Autor des Bestsellers „Panikherz“, ist von echten Drogen unter anderem mithilfe des Laufens weggekommen. Süchtig scheint er allerdings auch danach zu sein. Kann man vom Laufen abhängig werden, immer in der Hoffnung auf den nächsten Kick, dieses Glücksgefühl, von dem so Typen wie Sie ja auch erzählen?

Achilles: Laufsucht ist eine Unterabteilung der Sportsucht, die oft mit Ernährungsstörungen einhergeht. Die Universität Halle forscht dazu seit einigen Jahren und hat Fälle von Menschen dokumentiert, die im schlechtesten Sinne sportverrückt sind. Magersucht etwa ist bei Profisportlern nicht ungewöhnlich, und weil wir Normalos den Irrsinn von Tour de France, Ironman und Berlin-Marathon so gerne nachspielen, bekommen wir die ganzen Macken auch. Noch mal etwas Theorie: Viele Studien haben ergeben, dass es zwei Sorten Menschen gibt – die Suchtpersönlichkeiten und die anderen.

Wer zur Sucht neigt, betreibt alles exzessiv. Immerhin ist es gesünder, morgens um fünf zu laufen, als sich noch einen Klumpen Crystal Meth zu genehmigen. Anders gelagert ist die Neigung, durch Sport andere Lebensbereiche zu kompensieren. Wie gehe ich einem überfälligen Beziehungsgespräch aus dem Weg? Mit Lauftraining. Wie kompensiere ich meine gescheiterten Karrierepläne? Mit einer Marathonbestzeit. Der Läufer läuft ja nicht zwingend irgendwohin, sondern ganz oft auch einfach weg. Dazu kommt der gesellschaftliche Fitness-Imperativ. Yoga, Triathlon, Jakobsweg – wir beruflichen Hochleister sind natürlich auch privat immer vorn mit dabei.

Wie war das denn bei Ihnen?

Achilles: Ich gestehe: Eine Weile hatte ich auch Suchtphänomene, die ich an zweierlei Verhaltensauffälligkeiten erkannt habe: Erstens hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen sehr ambitionierten Trainingsplan nicht sklavisch übererfüllt habe. Und zweitens bat mich meine Frau eines Nachts, den Brustgurt vom Pulsmesser abzulegen. Ein Sportsüchtiger zeichnet halt alle Arten von Bewegung und beschleunigtem Atem auf. Glück entsteht so jedenfalls nicht, sondern noch viel mehr von dem elenden Leistungsstress, den man ja eigentlich loswerden will, Kopf frei und so. Mein Befreiungsmoment: Ich habe die Pulsuhr abgelegt. Ich messe weder Kilometer noch Tempo noch Blutdruck.

Das ist am Anfang wie kalter Entzug. Was mache ich plötzlich die ganze Zeit im Wald, ohne dauernd auf die Uhr zu gucken? Auf einmal hört man die Vögel, den Wind, den eigenen Atem – herrlich. Willst du das Glück finden, musst du in dir selbst suchen, sagt Konfuzius, und nicht in der Pulsuhr. Noch ein Wort zu den angeblichen Glückshormonen: Ich habe so was nicht. Ich vermute, diese Endorphin-Geschichte hat sich ein Sportschuhhersteller ausgedacht, um den allgemeinen Sohlenabrieb zu steigern. Das größte Glück verspüre ich immer noch beim Bier danach.

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Flug über die Marathon-Strecke

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    Ich hatte zu meinen besten Zeiten mal diesen einen Moment, den man wohl Runner’s High nennt, und hätte damals wochenlang weiterlaufen können. Ein irres Gefühl, das sich aber leider nie wieder eingestellt hat. Deshalb bleibt die Frage: Macht Laufen glücklich – oder, wie es oben anklingt, unglücklich?

    Achilles: Ihre persönlichen Trips hängen womöglich mit dem Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen am Vorabend zusammen. Nur mal so aus Neugierde gefragt: Warum sind Sie denn nicht wochenlang weitergelaufen? War wohl doch irgendwann Flasche leer, oder? Generell dürften Läufer dennoch glücklicher als Nichtsportler sein, weil sie keine Diäten machen müssen, weil sie ihren Körper spüren, weil sie sich viel an der frischen Luft bewegen, weil sie widerstandsfähiger sind, wenn sie auch im Winter laufen, weil sie mal eine Weile offline sind, weil sie klüger sind, denn körperliche Betätigung ist gut fürs Hirn, weil sie Freundschaften pflegen, wenn sie Teamläufer sind, oder ihre schlechte Laune im Wald lassen, wenn sie allein laufen, weil sie ihre Grenzen kennen und die Leistung anderer eher respektieren, weil sie Zeitmanagement beherrschen, denn Laufen dauert. Dagegen stehen die künstlichen Gelenke in Knie und Hüfte, denn Laufen bedeutet immer auch Verschleiß.

    Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Läufer und einem Jogger?

    Achilles: Der Freizeitsport bringt geheimnisvolle Rangordnungen mit sich. Läufer betrachten sich als Sportler und den Jogger als Gelegenheitsbeweger, wohingegen Jogger eine ähnliche Hochnäsigkeit gegenüber Walkern an den Tag legen. Zur edlen Rasse der Läufer gehört nach der Definition des eisenharten Lauftrainers Peter Greif, dessen Seminare auch als „Abu Greif“ bekannt sind, wer zehn Kilometer in weniger als 40 Minuten bewältigt, ich also nicht. Ich landete zu meiner besten Zeit mal mit Rückenwind und auf einer falsch vermessenen Strecke bei knapp unter 45 Minuten. Umso ablehnender stehe ich dem Nordic Walking gegenüber. Nach unten treten, das gilt nicht nur für das Überleben in Redaktionen.

    Irgendwann werden auch Sie diese langen Stöcke brauchen ... Hauptsache, man bewegt sich, dachte ich?

    Achilles: Sie stochern in einer Wunde, die sich mit zunehmendem Lebensalter immer weiter öffnet. Mit noch so viel Training, Doping und Motivationskassetten lässt sich das Langsamerwerden nicht aufhalten. Jedes Jahr kostet etwa drei Prozent Leistungsfähigkeit, weshalb schon das Erreichen der Form von 2017 ein objektiver Leistungszuwachs ist. So sehr wir Läufer die Senioren bejubeln, die mit 80 Jahren in acht Stunden über die Marathonstrecke stuckern, so sehr fürchten wir, eines Tages selbst dazuzugehören. Die Kernfrage lautet: Wie kann man auch im Alter noch würdevoll aktiv sein? Golf ist leider kein Sport, auch wenn Golfer mit ihren Tageskilometern prahlen. Schwimmen ist gut, weil der größte Teil des welken Leibs unter Wasser verborgen bleibt.

    Ich persönlich tendiere zum Kitesurfen, weil ich dort meiner Latex-Vorliebe frönen kann, der Körper ebenfalls verhüllt bleibt und eine Chance auf Heldentod besteht. Etwas höhere Überlebenschancen bietet das Altern auf dem Rennrad. In Italien lässt sich besichtigen, wie stilvoll Herren geschmackvolle Trikots aus der Ära von Francesco Moser auftragen, immer mal wieder ein Stückchen radeln, aber an jeder Espressobar aus dem Sattel springen und ein Päuschen einlegen. Mit Bewegung und Entschleunigung kriegt man das Rentnerdasein elegant rum, sofern das Wetter mitmacht. Die Herren sind dennoch nicht zu unterschätzen: Am Berg ziehen sie locker vorbei und grüßen auch noch nett.

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    © dpa

    Bevor ich es vergesse: Sie sind ja früher bestimmt regelmäßig den Hamburg-Marathon gelaufen. Was gibt es dazu zu sagen, und warum ist Hamburg so viel schöner und besser als Berlin?

    Achilles: Hamburg bietet natürlich den tollsten Marathon der Welt. Als Mietmaul habe ich diesen Satz allerdings auch schon für Salzkotten, Münster, Frankfurt, Dresden und sogar in Berlin gesagt. Das Publikum in der Fast-Olympiastadt Hamburg ist tatsächlich toll, wahrscheinlich freuen sich die Menschen, dass mal was los ist. Nur: Wann fiel der letzte Weltrekord, weil in Hamburg ein Sponsor, Weltklasseläufer und passendes Wetter zusammentrafen? Ich persönlich bevorzuge den Triathlon, weil das Schwimmen in der Alster so einen Hauch von Survivaltraining hat. Außerdem legt man sich auf den letzten Metern im Wasser noch mal richtig ins Zeug. Als ich unter der Brücke am Jungfernstieg durchgekrault bin, habe ich gebetet, dass sich keine der Ratten fallen lässt, die da über mir auf dem Sims rumstrolchten.

    Zum Triathlon machen wir demnächst mal ein Interview. Zurück zum Marathon: Was sind die fünf wichtigsten Tipps für jemanden, der einen Marathon laufen will?

    Achilles: Erstens: Motivation ergründen. Es gibt überhaupt keinen Grund, 42 Kilometer am Stück zu laufen. Der erste Marathonläufer der Geschichte ist tot umgefallen. Ergründen Sie, warum Sie dennoch einen Marathon laufen möchten, eventuell mit psychologischer Hilfe. Wollen Sie Ihre Kollegen beeindrucken? Läuft zu Hause alles normal? Sorgen im Job? Nerven die Kinder? Haben Sie eine Wette verloren? Rennen Sie einem Mythos hinterher? Wollen Sie irgendwem irgendwas beweisen? Paradoxerweise ist es oft so, dass Menschen, die ohnehin viel um die Ohren haben, unbedingt an den Start vom Marathon gehen wollen.

    Da sind Überlastungen körperlicher, sozialer und seelischer Art nicht auszuschließen. Es gibt so viele schöne andere Strecken, ob fünf Kilometer, zehn Kilometer oder den Halbmarathon mit 21 Kilometern, die deutlich gesünder sind. Wer allerdings Spaß hat, sich mit dem Hammer immer wieder auf den Daumen zu hauen, der soll halt Marathon rennen, aber sich zugleich auch auf das schwarze Loch danach einstellen. Die wahre Kunst besteht darin, auch nach dem ersten Marathon weiterzulaufen.

    Deutschlands bekanntester Freizeitsportler

    Manchmal können Sie wirklich lustig sein, Herr Achilles. Zweitens?

    Achilles: Vorbereitungszeit verdoppeln. Es ist ­unmöglich, sich in zwei Wochen einen Waschbrettbauch anzutrainieren, es sei denn, man ist von Geburt an ein Top­athlet wie Lars Haider. Ähnlich aussichtslos sind Versprechen der Sorte: In zehn Wochen zum Marathon. Wer nicht zufällig über einen kenianischen Körperbau inklusive der höhenluftverwöhnten Lunge verfügt, sollte sich auf mindestens zwei Jahre kontinuierliches Training einstellen, also viermal die Woche, insgesamt 40 bis 80 Kilometer plus Körperpflege wie Massage und Physio – macht locker zehn Stunden die Woche. Im ersten Jahr baut man Form auf und wagt sich an einen Zehn-Kilometer-Lauf. Anfang des zweiten Jahres, nach durchtrainiertem Winter, folgt der Halbmarathon, ein halbes Jahr später dann die 42 Kilometer. Ganz wichtig: Nicht nur laufen! Übungen zur Rumpfstabilität sind immens wichtig, also Bauch, Rücken, Hüfte.

    Klingt sehr anstrengend. Drittens?

    Achilles: Augen auf bei der Trainerwahl. Es geistern einige wirklich schräge Vögel durch die Szene, die früher mal bei irgendeinem Provinzrennen gewonnen haben und sich seither als Quasi-Fast-Olympia-Teilnehmer aufführen. In Ermangelung eines Trainerscheins nennen sie sich oft „Coach“ und werben im Internet mit den wunderbarsten Versprechen. Vorsicht: Einen guten Trainer erkennt man nicht an den Bestzeiten seiner Athleten, sondern an deren Verletzungen. Es ist kein Problem, Menschen mit viel hartem Training schneller zu machen. Doch nach einiger Zeit muckt der Körper. Im Gegensatz zum Profi haben wir Normalsportler noch einen Beruf, meist eine Familie und keinen Betreuerstab, der uns betüdelt. Ich bin großer Freund des klassischen Sportvereins und empfehle dringend, hier den Erstkontakt zu suchen.

    Hier finden Sie die Bilder aller Teilnehmer von 2017:

    Ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Viertens?

    Achilles: Sportkameraden suchen. Seien wir ehrlich: Marathontraining ist langweilig. Denn um im Wettkampf schneller und länger zu laufen, muss man vor allem im Training schneller und länger laufen. In der heißen Phase geht es drei, vier Stunden lang durch die Pampa; da ist bald jeder Gedanke gedacht und jedes Gedicht aufgesagt. Ein paar Wegbegleiter erleichtern das Martyrium, sofern es sich nicht um hohlbirnige Schwatzbacken, politische Extremisten oder just Getrennte handelt. Depressiv werde ich schon vom Laufen. Ich hatte auch mal einen Vertreterheini in der Laufgruppe, der Versicherungsverträge abschließen wollte, nachdem er uns unterwegs stundenlang Angst gemacht hatte, was ohne Rechtsschutz oder Vollkasko alles passieren kann. Idealerweise gibt es Schnellere und Langsamere in der Gruppe, denn beide bauen auf: Den Schnelleren will man unbedingt eines Tages einholen, der Langsamere gibt mir dieses wunderbar widerliche Gefühl der Überlegenheit.

    Und fünftens?

    Achilles: Das soziale Umfeld vorbereiten, sich von den Kindern verabschieden, den Chef auf längere Fehlzeiten vorbereiten, bei Freunden und Bekannten darauf hinweisen, dass man Partys gegen 22 Uhr stocknüchtern verlassen wird. Je nach Persönlichkeit bieten sich zwei Strategien an. Das Prinzip Großmaul arbeitet mit märchenhaften Ankündigungen von Zielzeiten und Trainingsumfängen. Das hilft dem Athleten beim Motivieren, weil er sich selbst unter Druck setzt. Es hilft aber auch den Neidern, die fröhlich lästern, wenn’s nicht klappt. Dagegen steht die Methode Merkel: Erst mal nichts versprechen, keinerlei Erwartungen wecken, Ball ganz flach halten. Wenn’s nicht läuft, spart man sich immerhin den Spott.

    Darf ich Sie zum Schluss noch etwas sehr Privates fragen?

    Achilles: Noch privater als bisher?

    Warum haben Ihre Eltern Sie eigentlich Achim genannt? Und finden Sie auch, dass Sie diesem Hajo Schumacher ähnlich sehen, der immer bei Maybrit Illner im Fernsehen sitzt?

    Achilles: Ich verrate Ihnen weltexklusiv ein Geheimnis. Ganz früher, als ich mit diesem Achim-Achilles-Ding angefangen habe, habe ich mir tatsächlich eingebildet, es würde eines Tages mal irgendwen interessieren, wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, ganz in der Tradition von Theobald Tiger und Hans Bötticher. Aber bei mir hat nie jemand gefragt. Sie sind echt der Erste, dem unsere Ähnlichkeit auffällt. Ja, ich gestehe hiermit der Weltöffentlichkeit: Ich bin beide. Ein echter Coup, Herr Haider. Sie sind eben ein Alpha-Journalist.