Hamburg. Das fordern Hamburger Krankenkassen. Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks: Ärzte verschreiben zu viele Antibiotika. Neue Kampagne.
Hamburger Krankenkassen fordern, dass Antibiotika beim Verschreiben künftig wie Drogen behandelt werden. Die neue Kampagne der Gesundheitsbehörde gehe angesichts der katastrophalen Lage nicht weit genug. Der BKK Landesverband Nordwest fordert für Antibiotika ähnlich strenge Richtlinien wie für Betäubungsmittel. BKK-Vizevorstand Dirk Janssen sagte dem Abendblatt: „Während der Gesetzgeber aus guten Gründen die Verordnung von Betäubungsmitteln reglementiert, werden Antibiotika nach wie vor nach dem Motto ,viel hilft viel‘ verschrieben.“ Angesichts der Bedrohungen durch multiresistente Keime sei diese Praxis dringend zu ändern.
In Hamburg stiegen die Verordnungen von Antibiotika weiter, während sie in anderen Bundesländern sänken. „Durch einen ungezielten Einsatz von Antibiotika werden Resistenzen noch befördert“, so Janssen. Und das liege daran, dass nur in fünf Prozent aller Fälle überhaupt ein Test (Antibiogramm) gemacht werde, der erst zeige, welches Antibiotikum sinnvoll ist. Verzichte man zum Beispiel auf Antibiotika bei Erkältungen sowie Wundinfektionen, könne man nur in Hamburg jedes Jahr 1,4 Tonnen an Medikamenten sparen.
Prüfer-Storcks: Zu viele Antibiotika an Hamburger Patienten
Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) will mit einer Initiative erreichen, dass Hamburger Ärzte weniger Antibiotika verschreiben. In der Hansestadt erhalten Patienten jährlich mehr als 560.000 Rezepte für Antibiotika – viel zu viele, warnt die Senatorin. Von sofort an sollen Mediziner und Patienten besser über die Risiken informiert werden.
„Wenn wir mit Kanonen auf Spatzen schießen, werden wir irgendwann keine wirksame Waffe mehr gegen Infektionen haben“, sagte Prüfer-Storcks. Mit zu häufigem und unnötigem Einsatz des Medikaments erhöht sich das Risiko von Resistenzen. Wenn aber die „Lebensretter“ nicht mehr wirken, können auch harmlose Verletzungen, Standardoperationen und Infektionen zum Tod führen. Nach Schätzungen sterben in Deutschland jährlich 10.000 bis 15.000 Menschen an den Folgen einer Infektion mit multiresistenten Keimen.
Die Hamburger Landeskonferenz zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung hatte sich ein Jahr lang mit dem Thema befasst. Zu ihr gehören Gesundheitsbehörde, Krankenkassen, Ärzte-, Zahnärzte- und Psychotherapeutenkammer, die Krankenhausgesellschaft, Apotheker und Patientenvertreter. Die Experten setzen jetzt auf die Öffentlichkeitskampagne „Antibiotika gezielt einsetzen“. Plakate in der Stadt und mehrsprachige Infoblätter bei Apotheken und Ärzten sollen Menschen darüber aufklären, dass Antibiotika nicht immer helfen – zum Beispiel bei 90 Prozent der Erkältungen, weil sie durch Viren ausgelöst werden. Antibiotika helfen nur gegen Bakterien, etwa Streptokokken.
Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg, wies auf einen ungewöhnlichen Umstand hin: In manchen Bezirken Hamburgs werden auffällig oft Antibiotika verschrieben. Wo genau das der Fall ist, wollten die Urheber der Initiative nicht sagen. Insgesamt weniger Antibiotika würden aber in Altona, Eimsbüttel und Bergedorf verschrieben.
Antibiotika-Schnelltest soll helfen
Mohrmann führt das auf die Kompetenz der Patienten zurück. „Die Menschen in diesen Bezirken nehmen die Weiterbildungsangebote der Krankenkassen mehr wahr“, sagte er. Noch immer würden viele Patienten Antibiotika verlangen, obwohl sie sie eigentlich nicht bräuchten. Wenn ein solches Medikament wirklich notwendig sei, solle es aber bis zum Ende der Behandlung eingenommen und nicht beim ersten Anzeichen einer Besserung abgesetzt werden.
Weil es aber nicht nur an den Patienten liegt, richtet sich die Initiative auch an die Ärzte. Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg will in der Zukunft gezielt Ärzte ansprechen, die besonders viel Antibiotika verschreiben. Die Rezeptdaten der Mediziner sammelt sie schon, weiß also, wie viel die einzelnen Ärzte verordnen. Doch jetzt will sie ihnen auch regelmäßig Feedback geben. In welchem Rhythmus das passiert, konnte deren Abteilungsleiter für Praxisberatung, Andreas Walter, nicht sagen.
Zudem möchte die Initiative Ärzte dazu bringen, in Zukunft verstärkt einen Schnelltest zur Unterscheidung von viralen und bakteriellen Infektionen einzusetzen. Ab Juli 2018 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten dafür. Mit dem Test lässt sich nicht nur sicherstellen, dass Patienten wirklich bakteriell infiziert sind – sondern auch, mit welchem Bakterium. Zu oft verschrieben Ärzte Breitbandantibiotika, die die Resistenzentwicklung fördern würden.
Zahl der Verordnungen liegt Hamburg im Mittelfeld
Denn die Resistenzen, die der menschliche Körper entwickeln kann, sind das Gefährliche beim Umgang mit Antibiotika. Wird ihm zu viel zugeführt, reagiert er möglicherweise nicht mehr darauf. Dann können selbst harmlose Verletzungen, Standardoperationen und Infektionen zum Tode führen. Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums sterben in Deutschland jährlich 10.000 bis 15.000 Menschen an den Folgen einer Infektion mit multiresistenten Keimen.
Mit den 560.000 jährlich verordneten Antibiotika-Rezepten liegt Hamburg im Vergleich der Bundesländer im Mittelfeld. In den alten Bundesländern werden Antibiotika deutlich öfter verordnet als in den neuen, Frauen erhalten die Medikamente öfter als Männer. Deutschland gehört im internationalen Vergleich allerdings nicht zu den Ländern, die besonders viel von diesen Medikamenten verordnen. Der weltweite Antibiotikaverbrauch ist laut US-Forschungszentrum CDDEP in den vergangenen 15 Jahren um rund 65 Prozent gestiegen.