Hamburg. Peter Jordan bringt Hamburgs populärsten Mythos als stürmisches Spektakel „Pirate of Nord & Ostsee“ ins St. Pauli Theater.
„Siehst du diese Fahne wehn,
Wird es dir bald schlecht ergehn!
Wenn du dieses Zeichen kennst,
Sieh, dass du um dein Leben rennst!
Totenkopf und gekreuzte Knochen!
Die Segel zerfetzt, der Mast gebrochen!
Feuer an Deck und Mann über Bord!
Die Wellen der See, sie spülen dich fort!
Wärst du doch nie in See gestochen!
Du klammerst dich an eine Plank,
Vor Durst und Sonne schon ganz krank.
Du siehst ein Schiff und rufst: bin hier!
Doch auf dem Schiff, da sind nur wir!“
(Aus dem Song „Totenkopf“ in
Peter Jordans „Störtebeker“)
Die Hanse-Herren sitzen am Tisch wie die Jünger beim letzten Abendmahl. Die Namen sind landestypisch: Knut Knutsen, Willem Willemsen, Sven Svensen, Beek Beeksen. Der historische Bürgermeister Kersten Miles flucht: „Mast und Schotbruch!“ An dem Wutausbruch sind Seeräuber schuld. Dass sie Hamburgs Koggen offenbar mit einem Kaperbrief der dänischen Königin plündern, das „quatschen die Robben beim Kegeln“, „das tuscheln die Muscheln im Watt“.
So recht deutlich werden die Piraten in ihrem „Heya“-Song: „Entern, plündern, hauen, stechen! Planken splittern, Knochen brechen! Dann wird geentert und geteilt, gemordet und gezecht …“ Zu besichtigen ist die wilde Bande ab 12. April im St. Pauli Theater. Dort bringt der Schauspieler Peter Jordan Hamburgs populärsten Helden „endlich live“ auf die Bühne. Titel: „Störtebeker – Pirate of the Nord & Ostsee“.
Moderne Unterhaltungskunst
Jordan, seit seiner Zeit als Kommissar im Hamburger ARD-„Tatort“ auch für Theatermuffel kein Fremder, braut ein Spektakel aus den wirksamsten Essenzen der modernen Unterhaltungskunst: History, Fantasy und Comedy. Seine Story fügt dem Mythos ein neues Kapitel hinzu: Der Held liebt eine friesische Walküre, der Verräter ist sein bester Freund, sein Häscher ein holländischer Käsehändler mit modernen Managementmethoden.
Manches alte Kapitel der Legende dagegen beginnt zu verblassen. Schuld sind auch klimatische Veränderungen. Der Scheidebach in Neugraben etwa ist zu Störtebekers Zeiten so breit und tief, dass Boote auf ihm bis in die Schwarzen Berge rudern können. Sein Hauptzufluss, die Falkenbek, stürzt im extrem schnee- und regenreichen Spätmittelalter noch als tosender Wildbach in die Marsch.
Heute aber fällt das oft nur noch fußbreite Rinnsal nach Feststellungen der Umweltbehörde „in großen Teilen über lange Zeit trocken“ und ist deshalb zum „Straßenbegleitgraben“ degradiert. Mit den letzten Tropfen schwindet auch die alte Legende von den mit Piratenschätzen beladenen Kähnen dahin, die von der Elbe in sichere Verstecke schaukeln.
An elf Kumpanen wankt er angeblich vorbei
Auf dem Falkenberg führt die Tradition ein mittelalterliches Burggemäuer auf den sagenhaften Seeräuber zurück. Vor allem, als Forscher im Jahr 1905 auf dem 68 Meter hohen Lehmkegel die Reste einer sächsischen Burg entdecken. Die Erbauer schützten dort wohl schon im 8. Jahrhundert ihre Wertsachen vor Franken, Wikingern und den bis nach Bremen plündernden Ungarn. Den kriegerischen Geist dieser Epoche bezeugen eine Lanzenspitze, zwei Äxte, drei Pfeilspitzen und die Glieder einer Stachelkette. Es ist die Zeit der Hammaburg, Hamburgs Keimzelle an der Domstraße.
Später lauern dort Raubritter auf Kaufleute aus Stade. Aus ihren Flaggensignalen von Bergfried zu Bergfried kann sich später die Legende von den Totenkopffahnen der Seeräuber nähren. Als Buxtehude eine Bürgerwehr schickt, verstecken sich die Räuber im Busch und werden vom Angstgeschrei brütender Kiebitze verraten. In der Legende gießt ein Seeräuber-Judas vor Helgoland flüssiges Blei in Störtebekers Steueranlage. In Jordans Bühnenspiel liefert Störtebekers Vize Godeke Michels die Piraten den Häschern aus. Nach ihm wird eine kleine Grube auf dem Falkenberg „Göd sin Kuhl“ genannt.
In jüngerer Zeit wirken auch die Silberlinge aus dem Dreißigjährigen Krieg, die der Lehrer Ferdinand Frohböse 1905 auf dem Falkenberg ausgräbt, auf die Legende ein. Denn im gleichen Jahr baut der Gastwirt Adolf Ide seine „Burg Störtebeker“ auf die kühne Kuppe, und der Falkenberg wird ein beliebtes Ausflugsziel.
Als Störtebeker 1401 auf dem Grasbrook enthauptet wird, bietet die noch nicht ganz vollendete Katharinenkirche im Hintergrund die passende christliche Kulisse. Ihr Turm ist heute Hamburgs ältester Hochbau. Die Spitze aus Kupfer stammt zwar erst aus dem Jahr 1657, doch bis heute hält sich hartnäckig der Glaube, sie sei aus Gold vom Piratenschatz Klaus Störtebekers gegossen.
Ein deutscher Robin Hood
1878 bergen Arbeiter beim Bau der Speicherstadt auf dem Grasbrook einen damals etwa 500 Jahre alten Schädel. 1922 präsentiert das Museum für Hamburgische Geschichte das Fundstück zu seiner Eröffnung, und die Erinnerung an die spektakuläre Enthauptung Störtebekers erwacht in alten und neuen Geschichten. An elf Kumpanen wankt der kopflose Pirat vorbei, weil ihm Bürgermeister Miles versprochen hat, in einem solchen wundersamen Fall Milde walten zu lassen. Doch dann werden die Delinquenten trotzdem hingerichtet – wieder ein Verrat an dem Mann, der von den sozial Benachteiligten bis heute wie ein deutscher Robin Hood verehrt wird.
2004 rekonstruiert die französische Künstlerin Élisabeth Daynès das Gesicht. Besondere Kennzeichen: tief liegende Augen, leichter Silberblick, große Nase, markante Wangenknochen und ein fehlender Schneidezahn. Auch eine zwei Tonnen schwere Störtebeker-Bronze, 1982 in die heutige HafenCity gestellt, hält den Opfermythos am Leben: Unter dem nackten, gefesselten Seeräuber steht „Gottes Freund, der Welt Feind“.
Virtuelle Reise
In der interaktiven Show „Hamburg Dungeon“ am Kehrwieder reisen Besucher virtuell auf einem Piratenschiff, um Störtebeker vor der Hinrichtung zu retten. Weil das misslingen muss, erweckt modernste Projektionstechnik den abgehauenen Kopf täuschend echt zum Leben. Auf der dreieinhalbstündigen Elbefahrt „Störtebeker Seefahrergelage“ servieren „entzückend gewandete Piratenbräute“ etwa „Honigbratrippen Piraten Art“. In der Elbphilharmonie treffen sich Konzert- und After-Work-Besucher im Störtebeker Beer & Dine zu den handwerklichen Produkten einer „Braumanufaktur“.
Heute dient der Sagenheld mehr denn je als typisch küstendeutsches Testimonial für Schiffe, Straßen, Hotels, Restaurants und Bars an Nord- und Ostsee. Aus der Legende fließt reichlich Inspiration für Theaterstücke, Filme und Lieder.
Und die schwarz-weiße Piratenflagge weht nicht nur, aber vor allem bei Fußballspielen auf St. Pauli. „Totenkopf und gekreuzte Knochen! Wärst du doch nie in See gestochen!“, lässt Jordan seinen „Störtebeker“ passend zu manchem Zweitliga-Kick singen, „wenn du dieses Zeichen kennst, sieh, dass du um dein Leben rennst!“