Hamburg. Bundesweit finden derzeit Wahlen zur Arbeitnehmervertretung statt. Auch Alexander Kahl (30) von Hochtief will mitbestimmen.

Es ist gar nicht so einfach, einen Termin mit Alexander Kahl zu bekommen. Denn der Mann, der seit Jahren für die Verbesserung von Arbeitszeiten seiner Kollegen beim Baukonzern Hochtief im Einsatz ist, hat selbst ein Zeitproblem. Betriebsratssitzungen in Hamburg, Treffen des Gesamtbetriebsrats in Essen, Termine mit der Geschäftsführung, Verhandlungen, Gespräche – und das alles neben seinem eigentlichen Job als Einkäufer in der Auftragsvergabe. Am Telefon geht er schließlich seinen Kalender durch. Es gibt Firmenbosse und Politiker, mit denen es einfacher ist, eine Lücke im Terminplan zu finden. Schließlich klappt es doch. „Eine Stunde, mehr geht wirklich nicht“, sagt Kahl. Es wird dann doch länger dauern. Der Betriebsrat hat Sendungsbewusstsein.

Eigentlich steht dem stellvertretenden Vorsitzenden der Arbeitnehmervertretung bei der Hamburger Hochtief-Niederlassung eine Freistellung von einem Drittel seiner Arbeitszeit zu. „Das ist die Theorie“, sagt er. „Ich betreue meine Baustellen, und die Betriebsratsarbeit kommt oben drauf.“ Alexander Kahl hat sich auch für die anstehenden Wahlen wieder aufstellen lassen, zu der bis Ende Mai in ganz Deutschland Beschäftigte in etwa 28.000 Betrieben aufgerufen sind. 180.000 Mandate sind zu vergeben. In Hamburg arbeiten gut 40 Prozent der Arbeitnehmer in Unternehmen mit Betriebsrat. Mit 30 Jahren steht der Hamburger für den anstehenden Generationswechsel in den Betriebsräten.

Wachsendes Interesse bei Jüngeren

„Wir beobachten einen Trend, dass mehr junge Menschen kandidieren“, sagt André Grundmann, Regionalleiter der IG Bauen-Agrar-Umwelt. „Sie wollen mitbestimmen, nicht über sich bestimmen lassen.“ Im Organisationsbereich der Gewerkschaft waren im Jahr 2014 in Hamburg Beschäftigte in 87 Unternehmen zur Wahl aufgerufen. Insgesamt 299 Betriebsräte wurden gewählt. Genaue Zahlen über die Altersverteilung gibt es nicht.

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.diregistriert ein wachsendes Interesse bei Jüngeren für die Arbeitnehmervertretungen. „Es gibt junge Leute, die nachziehen“, sagt der Hamburger Ver.di-Sprecher Björn Krings. Er nennt es „innerdemografischen Wandel“. Die 1. Bevollmächtige und Geschäftsführerin der IG Metall Region Hamburg, Ina Morgenroth, beobachtet einen kontinuierlichen Prozess. „Mitbestimmung ist nicht unattraktiv“, sagt die Gewerkschaftlerin, die mit 40 Jahren selbst auch zu den Jüngeren zählt.

„Das ist schon eine Herausforderung“

Tatsächlich werden junge Betriebsräte überall dringend gesucht. Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigen, dass deutschlandweit mehr als 60 Prozent der aktuell amtierenden Arbeitnehmervertreter älter als 51 Jahre sind. Zum Vergleich: Die Gruppe der 20- bis 40-Jährigen macht gerade mal 12,3 Prozent aus. „Der Generationswechsel ist gerade ein großes Thema“, sagt auch die Hamburger DGB-Chefin Katja Karger. Es gehe darum, dass die alten Hasen ihre Erfahrung an die Jüngeren weitergeben. Die brächten frischen Wind und gute Ideen mit und profitierten idealerweise von der Erfahrung der Älteren. „Deswegen ist der organisierte Übergang zwischen den Generationen in den Arbeitnehmervertretungen wichtig“, so die Gewerkschafterin.

Betriebsrat Alexander Kahl steht an diesem Morgen in signalgelber Jacke und schweren Arbeitsschuhen auf einer Baustelle in Lokstedt. Mit einer lässigen Handbewegung rückt er den Helm zurecht, bevor er mit Polier Jörg Heller den Erweiterungsbau einer Senioren-Anlage betritt. Als Einkäufer wickelt er die Aufträge an alle externen Handwerksbetriebe ab, zwischen 20 und 30 Gewerke pro Baustelle sind das in der Regel. „Das ist schon eine Herausforderung“, sagt der gelernte Baukaufmann. Er mag seinen Job, aber das hält ihn nicht davon ab, im Betriebsrat auch mal auf Konfrontationskurs zu gehen. „Ich kämpfe für die Rechte von Arbeitnehmern“, sagt er und ist sich durchaus bewusst, dass das idealistisch klingt.

Vereinbarung zur Gleitzeit war Kahl wichtig

Dabei ist der schmale junge Mann mit dem offenen Lächeln keiner, der die rote Fahne schwenkt. Grundlage seiner Arbeit ist das Betriebsverfassungsgesetz. Er habe sich schon immer für Politik interessiert, sagt Kahl, der in Bramfeld aufwuchs und jetzt auf St. Pauli lebt. Mit 18 Jahren trat er in die SPD ein. Er ist seit seiner Jugend auch als Fußballschiedsrichter aktiv. „Ich fand es naheliegend, dass ich mich auch in der Firma engagiere“, sagt Kahl. Betriebsratsarbeit, sagt er, ist nichts anderes als Politik im Unternehmen. Seit sechs Jahren ist er inzwischen dabei. „Wir haben einiges für die Kollegen erreicht.“

Neben Tarifrunden – über die er sich nicht öffentlich äußern kann – haben er und seine sechs Kollegen über Themen wie Arbeitssicherheit, HVV-Fahrkarten und die Besetzungen von Baustellen mit der Arbeitgeberseite verhandelt. „Wir haben auch erstmals einen kostenlosen Gesundheitscheck in der Firma organisiert“, sagt Kahl. Gerade wird ein ­Leasing-System für Dienstfahrräder eingeführt. Besonders wichtig war ihm, dass die Arbeitnehmervertreter eine ­Betriebsvereinbarung für gleitende Arbeitszeit durchgesetzt haben. „Die Kollegen haben jetzt die Wahl, ob sie fest von 8 bis 17 Uhr arbeiten wollen oder ob sie ihre Stunden eintragen“, sagt Kahl.

„Man muss ein dickes Fell haben“

Es war nicht so, dass alle 120 Mitarbeiter der Hochbau-Sparte das gut fanden. „Kritik gibt es immer. Man kann es nie allen recht macht“, so der Betriebsratsvize. Anfeindungen oder direkte Blockade, wie man es von anderen Unternehmen hört, gebe es aber nicht.

„Man muss ein dickes Fell haben. Die kommen nicht und schenken uns Rosen.“ Auch wenn er weiß, dass viele bei Betriebsräten auch an Filz, Machtkonzentration, Faulheit und Kungeleien denken, sieht er das anders. Er ist von der Notwendigkeit einer Vertretung für Mitarbeiter überzeugt. „Das Bild wandelt sich mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt“, sagt Kahl. Seine Generation sei jetzt gefordert. Bei ihm im Betrieb ist die Bilanz schon recht ordentlich. Denn außer ihm kandidieren noch zwei weitere junge Kollegen für den Betriebsrat.