Hamburg. Eigentlich hat der Mann schon alles – außer einer “Erlebniswundermaschine“. Doch auch die gehört jetzt zum Udoversum. Hier im Video.
Womit soll man einen Udo Lindenberg noch unter dem Hut hervorlocken? Der Mann hat ja schon alles, wirklich alles. Er hat alles besungen auf 35 Alben, alles gemalt auf Hunderten Likörellen. Er hat eine Statue und ein Rock’n’Popmuseum in seiner Geburtsstadt Gronau, einen Stern auf der Reeperbahn, eine Stiftung, ein (Panik-)Orchester, ein Musical, eine Wachsfigur, einen Echo für sein Lebenswerk und eine Schalmei von Erich Honecker. Er kennt jede Bühne und jede Bar nicht nur dieser Stadt. Man muss sich also ins Zeug legen, um den Präsidenten der bunten Republik Deutschland, den heißen Greis früher als gewohnt aus dem Bett zu holen.
Aber wer sein Strahlen am Montag bei der Vorstellung der „Panik City“ im Clubhaus am Spielbudenplatz sieht, der weiß: Da ist wohl was gelungen. Zwei Millionen Euro haben Corny Littmann, Axel Strehlitz und ihre Partner in die Hand genommen, um auf 700 Quadratmetern kein Museum, sondern eine multimediale Erlebniswelt rund um Udo Lindenberg, sein Wirken, seine Kunst, seine Erfolge und seine Reinfälle zu schaffen. Lindenberg selber hat zwar nichts investiert, aber „Udo hat das Ganze inhaltlich wesentlich mitgestaltet“ wie Littmann sagt. Bis zuletzt hat Udo letzte Hand angelegt und alles selber ausprobiert: „Irgendjemand muss den Job ja machen“.
90 Minuten "Udo Lindenberg Experience"
90 Minuten dauert eine geführte Gruppenreise durch die „Erlebniswundermaschine“, die „Udo Lindenberg Experience“, die eingebettet ist zwischen die Musikclubs Kukuun, Häkken, Gaga und Bahnhof Pauli, die Kleinkunstbühne Schmidtchen und die Bar Alte Liebe. Mit dem Glasfahrstuhl geht es in den vierten Stock, und von dort in einen unspektakulären Shop und weiter direkt ... in Udos Raucherlounge im Hotel Atlantic. Es fehlt nur der kalte Hauch Zigarrenduft, der ihn umgibt – aber in der „Panik City“ herrscht Rauchverbot.
Udo Lindenbergs „Panik City“ auf dem Kiez
Der vielleicht einzige unauthentische Moment, der weggeblasen wird von seinen Songs und einer kurzen, detailvollen Vorstellung des Lindenwerks auf einer sehr breiten Multimediawand. Der jetzt 71 Jahre junge Pop-Astronaut lebte bekanntlich ein Leben auf der Überholspur, drückte immer gleichzeitig auf Gaspedal und Vorspultaste, geriet mehrfach ins Schleudern und flog direkt aus der Kurve. Es ist immer noch einmalig, wie er 1992 den Echo für sein Lebenswerk bekam, weil man nicht mehr viel erwartete. Tatsächlich brauchte er danach 16 Jahre, um aus der halben oder kompletten Versenkung wie „Phoenix aus der Flasche“ wieder mit dem Album „Stark wie Zwei“ (2008) aufzutauchen. Sein erstes Nummer-Eins-Album nach 33 Versuchen, seine Eintrittskarte in die Stadien der Republik. Und dass diese Geschichte sich wiederholen lässt, zeigte er vor zwei Jahren mit dem Nachfolger „Stärker als die Zeit“. Sich immer neu erfinden und ganz der Alte bleiben, der ewige Newcomer, immer noch so unterschätzt wie im Übermaß medial ausgeleuchtet.
"Ich mach mein Ding" – selbst eingesungen
Im zweiten von sechs Themenräumen geht es zurück zu den Ursprüngen nach Gronau. Zu Mutter Hermine und Vater Gustav, die als Bilder grüßen und zu Schwester Inge, mit der Udo im Dialog über seine ersten Gehversuche als Musiker, als Trommler erzählt. Überhaupt hat man immer das Gefühl, dass Lindenberg einen in Person anspricht und durch die Räume begleitet, besonders im – subjektiven – Herzstück der „Panik City“, einem Nachbau der Boogie Park Studios in Altona. Angeleitet von Udo können sich die Besucher hier Kopfhörer und Mikro schnappen und in zwei Takes (der erste Take geht für jeden daneben, egal, was die anderen sagen) „Ich mach mein Ding“ einsingen – und sich den Mitschnitt anschließend schicken lassen. Ein schöner Spaß, eine kurze Karaoke-Party mit echtem Studio-Feeling zwischen Schlagzeug, Boxen und Gitarren.
Nicht unbedingt schön, aber historisch relevant wird es im vierten Themenbereich, dem wilden, blendend klinisch weißen Osten. Ein Stasi-Offizier empfiehlt, sich ein „Tablett“, also einen Tablet-PC zu greifen und damit mehrere Objekte zu scannen. Dann erfährt man mehr über Udogensien wie den Trabant aus der letzten Produktionsreihe, den Lindenberg 1996 kurz vor seinem 50. Geburstag geschenkt bekommen hat. Der Trabi in der „Panik City“ ist zwar ein Nachbau (das Original steht gut versteckt irgendwo in Hamburg), aber eine schöne Überraschung hier oben in der vierten Etage.
Ein Raum, gebaut rund herum um einen Trabi
Im Prinzip wurde der Raum um das Auto herum gebaut, nachdem es mit einem Kran durch eine Lücke in der Fassade des Clubhauses gehoben wurde. Neben dem Trabi hängt eine Ibanez-Gitarre mit „Gitarren statt Knarren“-Schriftzug. Es ist tatsächlich die originale Stromklampfe, die Lindenberg am 9. September 1987 vor dem Friedrich-Engels-Haus in Wuppertal an SED-Chef Erich Honecker überreichte. Vorher hatten der Panik-Präsident und der Generalsekretär um des lieben Friedens Willen bereits Briefe, Lederjacke und Schalmei ausgetauscht, dennoch war „Hony“ perplex: „Danke recht herzlich“. Jeder Schritt Udos, das zeigen Auszüge aus Lindenbergs Stasi-Akte, wurde überwacht, aber damit hatte niemand, weder der „Oberindianer“ noch die „Rudi-Ratlos-Gangs“ von den Sicherheitsbehörden der DDR gerechnet. Die brauchten wahrscheinlich erstmal einen Schnaps.
Den gibt es einen Raum weiter, auch wenn die 1000 ausgestellten Flaschen bereits leer sind. An mehreren Multimedia-Tischen können die Besucher ihre eigenen „Likörelle“ malen und sich anschließend mailen lassen. Virtueller Blue Curacao für blau, Grenadine für rot, Eierlikör für gelb, Green Banana für grün, Udo macht es auf der Leinwand vor. Ein wenig Mut anmalen für das Finale vor dem Ausgang auf die geile Meile, die alte Gangsterbraut, die Reeperbahn: Durch einen authentischen Backstage-Flur inklusive Leergut und Kippenstummeln geht es in den Virtual-Reality-Raum und via VR-Brille direkt hinein ins Udo-Lindenberg-Konzert.
Selbst Udo-Alleswisser kriegen Mehrwert
Mehr sei hier mal nicht verraten und das sind auch nur kurze Ausschnitte aus einem Rundgang durch die „Panik City“. Aber: Das Konzept ist so modern und innovativ wie leicht nachzuvollziehen. Eine begehbare Infotainment-Show ohne Blendeffekte, aber voller verblüffender und liebevoll gestalteter Details. Auch ausgewiesene Lindianer und Udo-Alleswisser kriegen hier ihren Mehrwert, während der interessierte Tourist nicht erschlagen oder überfordert wird. Diesen Balanceact durchzuhalten, und modernste Technik in Bild und Ton nicht um der Technik willen zu präsentieren, ist schon beeindruckend.
Alles hat seine Zeit, und auch wenn Udo „Stärker als die Zeit“ singt, muss sich selbst seine erfolgreiche Marke wieder neu beweisen. Sein Musical „Hinterm Horizont“ hatte in Berlin und in Hamburg Besucher, lief aber in der Hansestadt nur ein Jahr. Und dass ein bekannter Name aus der Musikwelt kombiniert mit einer liebevoll gestalteten Erlebniswelt noch kein Garant für Erfolg ist, zeigte die 2009 eröffnete „Beatlemania“-Ausstellung, die 2012 leider den Betrieb aufgeben musste.
Die Reeperbahn ist jedenfalls um eine Attraktion reicher. Eine, die sowohl zum „alten“ Rock’n’Roll-Kiez passt als auch zum „neuen“ Amüsier- und Kulturquartier. Davor kann man nur den Hut ziehen.
ServiceDie „Panik City“ im Clubhaus St. Pauli (Spielbudenplatz 21/22) hat ab Dienstag, 20. März, geöffnet. Tickets gibt es in der Hamburger Abendblatt Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, T. 30 30 98 98 und online auf panikcity.de Eröffnungsangebot: Zwischen 18,50 und 29,50 Euro (inkl. Eierlikörchen) kostet in der Eröffnungsphase bis 30. April eine 90-Minuten-Tour je nach Tag und Tageszeit (täglich 12.00-23.00). Die Zeitfenster reserviert man sich vorab und erscheint 30 Minuten vor dem Termin in der Alten Liebe. So gibt es immer ausreichend Platz für jeden Besucher. |