Hamburg. Peter Tschentscher fühlt sich „gut vorbereitet“ – und sieht Wohnungsbau, Nahverkehr und Wissenschaft als Top-Themen. CDU erneuert Kritik

So überrascht die Opposition von der Entscheidung am Freitag war, so schnell schoss sie sich doch auf den designierten neuen SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher ein. Von einer „Notlösung“ sprachen CDU und FDP. Olaf Scholz übergebe das Amt an seinen „Zwilling im Geiste“, dies lasse „ein ‚Weiter so‘ des kalten Durchregierens befürchten“, hieß es von der Linken-Fraktion. Auch in den Medien gab es wenig schmeichelhafte Meldungen: Tschentscher sei ein „Verlegenheitskandidat“, schrieb das „Handelsblatt“.

Ob das den 52 Jahre alten Finanz­senator und Humanme­diziner getroffen hat, ließ er sich am Wochenende nicht anmerken. Er wehrte sich zwar, aber in einem gelassenen Ton: „Ich denke, dass ich in den letzten Jahren viel Regierungserfahrung gesammelt habe – in Hamburg, aber auch in Berlin im Bundesrat –, sodass ich auf das Amt des Ersten Bürgermeisters gut vorbereitet bin“, sagte er dem Abendblatt. „Ich bin froh, dass wir die Regierungsarbeit der letzten Jahre in einem guten Team fortführen. Wenn die Opposition an mir sonst nichts auszusetzen hat, ist das ein gutes Zeichen.“

Wäre es nicht sinnvoll, dass er wie Olaf Scholz zuvor neben dem Bürgermeisteramt auch den Parteivorsitz übernehmen würde? „Nein“, sagte Tschentscher. „Wir haben mit Melanie Leonhard hierfür eine hervorragend geeignete Kandidatin, die eine außerordentlich gute Parteivorsitzende sein wird. Wir werden sehr eng zusammenarbeiten.“

Schwerer als die Kritik der Opposition an seiner Person dürften für Tschentscher die jüngsten Umfrageergebnisse wiegen. Danach kommt die SPD in Hamburg nur noch auf einen Stimmenanteil von 28 Prozent – das wäre das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 hatte die SPD noch 45,6 Prozent erreicht. Die CDU käme gegenüber ihrem historisch schlechtesten Wahlergebnis von 15,9 Prozent bei der Wahl 2015 jetzt auf 22 Prozent. Auch die anderen Bürgerschaftsparteien profitieren von den Verlusten der SPD.

„Das ordentliche Regieren mit neuen Ideen weiterführen“

Peter Tschentscher gab sich am Wochenende trotzdem zuversichtlich, dass der Negativtrend für die SPD zu stoppen ist. Möglich sei das, „indem wir das ordentliche Regieren der letzten sieben Jahre mit neuen Ideen und Projekten weiterführen und dabei auch verstärkt den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern führen“, sagte er.

Gefragt nach den wichtigsten Pro­blemen, die er als Bürgermeister als Erstes angehen würde, sagte Tschentscher: „Alle sollten eine gute und bezahlbare Wohnung finden können. Deshalb muss der Wohnungsbau mit über 10.000 Baugenehmigungen und 3000 Sozialwohnungen pro Jahr fortgeführt werden.“ Ein zweites „wichtiges Feld“ sei „ein modernes öffentliches Verkehrssystem mit einem erweiterten U- und S-Bahn-System“, so Tschentscher. „Drittens wollen wir die Wissenschaft und die Forschung stärken.“

Derweil übte CDU-Fraktionschef André Trepoll erneut Kritik an der Entscheidung für Tschentscher. „Ich habe Herrn Tschentscher bisher nicht als inhaltlich gestaltende Kraft in der Stadt wahrgenommen“, sagte Trepoll. „Zahlen zu verwalten ist das eine – zu gestalten, inhaltliche Impulse zu liefern und die Menschen dabei mitzunehmen, ist das andere. Dafür steht Tschentscher nicht und daher ist er eindeutig eine Notlösung.“

Seit die SPD in Hamburg an der Regierung sei, verzeichne die Stadt steigende Steuereinnahmen. Das mache das Regieren bequem. „Die Rekordsteuereinnahmen haben wir den fleißigen Hamburgern zu verdanken“, sagte Trepoll. „Tschentscher selbst steht für die Fortsetzung der bisherigen uninspirierten Politik des Verwaltens“, so der CDU-Fraktionschef. „Viele haben beim letzten Mal Scholz und nicht SPD gewählt. Tschentscher ist nicht als Bürgermeister legitimiert, und wir wissen doch aus Erfahrung, dass die Hamburger lieber selber entscheiden, wer ihr Bürgermeister ist.“

Es gebe viele Herausforderungen, die der neue Bürgermeister zügig angehen müsse, sagte Trepoll. „Die Hamburger Wirtschaft wächst schwächer als die anderer Bundesländer, der Hafen lahmt seit Jahren, die Elbvertiefung ist weiter nicht in Sicht. Der Dauerstau in unserer Stadt ist ein wiederkehrendes Ärgernis.“

Der Wohnungsbau sei zwar angekurbelt worden, „aber damit auch der Widerstand gegen weitere Nachverdichtung auf Hamburgs wertvollen Grün­flächen“. Rot-Grün tue zu wenig dafür, dass Wohnen bezahlbar bleibe. Gelitten habe das Sicherheitsgefühl der Hamburger in vielen Stadtteilen. Mehr getan werden müsse auch für die Qualität der Bildung in Hamburgs Kitas, Schulen und Hochschulen, sagte Trepoll.

Er kündigte an, dass die CDU nach Ostern mit einem „Zukunftsdialog“ beginnen werde. „Wir diskutieren mit allen interessierten Hamburgern, Zukunftsforschern und Experten, wie Hamburg sich in fünf bis zehn Jahren und darüber hinaus entwickeln soll“, sagte Trepoll. „Da der Senat hier nicht liefert, machen wir das jetzt einfach.“