Hamburg. Die Ikone der Frauenbewegung stellt im Schauspielhaus ihr neues Buch vor und räumt beim Thema Islam ein Missverständnis aus.

Dem Feminismus ging es eine Zeitlang nicht so gut. Das merkte man zum Beispiel daran, dass plötzlich schmolllippige Jungredakteurinnen aus Berlin offen über ihren „Ekel“ vor dem Feminismus räsonierten. Vielleicht war der Feminismus damals, wir befanden uns schon im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, irgendwie zu erfolgreich. Oder zu pedantisch. Wenngleich das Streben nach Gleichberechtigung eine Mission ist, die niemals endet.

Wer dafür zur Not ganz allein sorgt? Na, die Ikone der Frauenbewegung, die Heroine des Emanzipationskampfs. Alice Schwarzer ist mittlerweile 75 Jahre alt und würde den Begriff „Oberfeministin“ wahrscheinlich nicht mal despektierlich finden. Berühmt wurde sie Mitte der 1970er-Jahre mit ihrem Buch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“, in dem sie die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit stellte. 1977 gründete sie die Zeitschrift „Emma“, die von Feministinnen auch heute noch gekauft wird. Die Auflage liegt derzeit bei knapp 30.000.

Man hat ihr weit mehr noch auf Frauen- als auf Männerseite, neben verbiesterten Fundamentalpositionen, ihren Hang zur Selbstinszenierung vorgeworfen. Was immer funktioniert, wenn man wie Schwarzer nicht nur Journalistin, sondern auch eine klassische Medienfigur ist. 2014 hatte Alice Schwarzer Ärger mit dem Finanzamt; das sorgte bei Häme bei ihren Gegnern, und derer gibt es nicht gerade wenige.

Ihr neues Buch überrascht

Ins Schauspielhaus verlor sich von denen jedoch jetzt keiner. Alice Schwarzer war nach Hamburg gekommen, um ihr neues Buch vorzustellen, das „Meine algerische Familie“ heißt und tatsächlich den ein oder anderen Leser überrascht haben dürfte. Schwarzer ist eben auch für ihre Kritik am Islamismus bekannt. Es ist eine ihrer Grundsatz-Positionen, die man gerne unterschreibt. Was das angeht, waren die etwa 350 Zuhörer mit jeder Faser ihres aufgeklärten und in oft jahrzehntelanger Arbeit an der Selbstbestimmung gewebten Weltbilds bereit, den Stift zu zücken – um im Bild zu bleiben.

Auf zehn Frauen (zwischen 30 und 70 war alles vertreten) kam ein Mann, es kann sehr gut sein, dass er im jeweiligen Falle freiwillig da war. Es gibt auch Männer, die die Lebensleistung der ewigen Kämpferin Schwarzer vorbehaltlos anerkennen. Die kam unter freundlichem Applaus auf die Bühne, nachdem ihr Verleger Helge Malchow ein paar einleitende und freundliche Worte über sie verloren hatte.

Es folgte: ein sich zwischen Ernsthaftigkeit, Selbstironie und, seltener, Rauflust bewegender Auftritt. Schwarzer las, immer wieder unterbrochen von frei gesprochenen Einschüben aus ihrem Algerien-Text, der engagiert und lebensnah von ihren vom Ende der Achtzigerjahre herrührenden engen Beziehungen zu Nordafrika berichtet.

Schwarzer kritisiert politischen Islamismus

Es ist eine Journalistin namens Djamila, die Schwarzer 1989 bei einem Workshop in Algerien traf und deren Familie sie bei etlichen Besuchen kennenlernen durfte. Wenn bei Familienfesten die Männer vor den Frauen essen, ist Schwarzers Kommentar überraschend mild: „Ja, meine Herren, da ist die Welt noch in Ordnung.“ Ihr Verleger Malchow, der über weite Strecken der Veranstaltung in einer der Schauspielhaus-Randkuhlen saß und den Blick sichtlich erfreut ins Schwarzer treu ergebene und häufig schmunzelnde Publikum richtete, fühlte sich später als Fragensteller bemüßigt, seiner Autorin die eine entscheidende Frage zu stellen.

Nämlich die, wie eine Feministin es angesichts der gesellschaftlichen Stellung der Frau in Algerien eigentlich aushalten könne. Schwarzer hatte vorher schon mal bissig die Fronten ge- und gleichzeitig erklärt, dass ihre Gegnerschaft nie dem Islam, sondern immer nur dem politischen Islamismus gegolten habe („Das wird in den Medien seit Jahrzehnten umgelogen“). Und wenn sie in Wirklichkeit also alles andere als eine Islamfresserin sein will, Hummus mag, die sich nach Frankreich hin orientierende Algerierinnen versteht, wenn sie sich auch angesichts der überwältigenden Dominanz der Maghreb-Männer selbst unter ebenjenen keine Feinde sucht, dann und nur dann kann eine wie sie auch mal gelassen antworten: „Ich fahre da nicht arrogant hin und halte Vorträge, ich sage ja auch nicht in Deutschland jeder Frau, sie sei nicht emanzipiert genug.“

Kein Wort zu #metoo

Das wäre auch ein Knochenjob. Oder Unsinn. Schwarzer sagte anschließend übrigens noch einen Satz, den sicher jede Frau und jeder Mann über sich selbst sagen will, dass sie nämlich „behutsam mit den Menschen, aber hart in der Sache“ sei. Angesprochen auf den Antisemitismus in Algerien gönnte sie sich ein wenig Maternalismus („Wer so nette Muslime kennt wie ich, der kann die auch mal beiseite nehmen...“).

Blieb nur die Frage, warum bei allem Augenmerk auf die Buch-PR (im Anschluss: Signierstunde!) das Thema des, wenn man denn so will, so machtvoll wieder auferstandenen Feminismus nicht angesprochen wurde? Kein Wort zu #metoo und der Showbiz-Dämmerung, zum Mut vieler Frauen, den Missbrauch von Macht und Stellung endlich, endlich aufs Tapet zu bringen, kein Wort auch zu den Verteidigungsbemühungen für den angeklagten Mann. Alice Schwarzer war an diesem Abend gedanklich ganz in Algerien.