Schnelsen. Kalorien sind egal: Wie sich moderne Konditoren mit süßen Torten auf YouTube präsentieren. Auch im Fernsehen ist das Thema populär.

Nichts gegen Butterkuchen, Schwarzwälder Kirsch oder Frankfurter Kränze, doch kann Backkunst viel fantasievoller sein – auch optisch. Pfundige Nahrung erfuhr diese süße These am Wochenende in den Ausstellungshallen in Schnelsen. „Tortenmesse“, das Motto war Programm. Weit entfernt von Ernährungsaposteln und Askese standen verführerische Kalorienbomben im Mittelpunkt. Und wer nicht nur mit den Augen sündigen wollte, lud sich in der Cafeteria Passendes auf den Teller: Donauwellen, Schmandschnitten und so weiter.

Backen ist im Trend

„Backen ist enorm im Trend“, stellte Bettina Schliephake-Burchardt aus Volksdorf genüsslich fest. Großmutters Fähigkeiten seien gefragter denn je. Dass an ihrem Stand junge Frauen Schlange für Selfies und Autogramme standen, hatte guten Grund. Die ge­lernte Konditorin machte mit ihren „Sugar Dreams“ (Zuckerträume) Karriere. Aus dem Kellerraum im Haus der Eltern ist die 46-Jährige nach oben gekommen. Sie betreibt einen Kanal auf YouTube und einen Blog, bietet Kurse an, ist Buchautorin und Schokoladen-Sommelier, vertreibt eigene Backmischungen.

Außerdem ist Betty Jurorin in der Sendung „Das große Backen“ auf Sat.1. Aktuell haben Prominente Schneebesen und Kuchenrolle in der Hand. Vergangene Woche waren 1,7 Millionen Zuschauer dabei. Am Mittwoch geht’s um 20.15 Uhr zur besten Sendezeit in der Rührschüssel wieder rund.

Kraken zum Vernaschen

Dass speziell Motivtorten in Mode sind, zeigt sich im Obergeschoss der Messe. Ausgestellt und vielfach bewundert sind ausgezeichnete Einzelstücke der Tortenkunst. Kraken zum Vernaschen, Segelschiffe mit Piratenflaggen, gewaltige Kühe in Giftgrün, Megamäuse oder mehrstöckige Geschosse werden fotografiert. Insgesamt kamen an drei Tagen knapp 6000 Besucher. Erwachsene zahlten 10 Euro Eintritt, Schüler und Studenten die Hälfte. Frauen waren in der Mehrheit, indes zeigten auch Männer ihr Faible fürs Backen. Gewiss die Hälfte der Besucher war unter 30 Jahre alt.

„Nicht anschneiden“, stand auf Pappkartons neben den prämiierten Exponaten. Und: „Nicht essen“. Wer weiß, auf welche Ideen die Besucher bei der Premiere dieser „Tortenmesse“ im Vorjahr gekommen sein müssen? Eigentlich sind diese in mühseliger Handarbeit hergestellten Süßspeisen zum Futtern viel zu schade. Zumal auch sehr junge Bäcker Hand angelegt haben. Der achtjährige Schüler Florijan kreierte ein grünes Fußballfeld aus Teig, Marzipan und farbigem Fondant. Die neunjährige Leonie schuf eine Torte wie ein Wollknäuel. Und Evelyn erschuf im Alter von fünf Jahren eine süße Skiwelt. Hat Mutti wirklich nur zugeguckt?

Leuchtender Zucker und Lolita Cupcakes

Wer nicht nur sehen, sondern lernen wollte, nahm an Backkursen und Workshops teil. Angeboten wurde zudem ein Bühnenprogramm. Es ging um leuchtenden Zucker, um Dekor aus Modellierschokolade, um „grüne Zuckermonster“, das Fertigen süßer Giraffen und „Lolita Cupcakes“. Letztere sehen aus wie kugelförmige Lutscher, bestehen jedoch aus Kuchenteig, Glasur und farbigen Verzierungen – zum Reinbeißen, am Stil.

Interessierte erfuhren aus berufenem Munde, wie man im Internet eigene Beiträge präsentiert. Profis nennen das „Food-Blogging“. Wie fotografiere ich meine eigenen Torten gekonnt? Wie füge ich griffige Texte hinzu? Was sind geeignete Überschriften? Organisiert wurden die Arbeitsgruppen von Sonja Frohberg aus Lüneburg, die in der Szene ambitionierter Privatbäcker als „Burgherrin“ bekannt ist. Auf Facebook folgen ihr gut 5000 Leser, ihren Blogs bis zu 30.000. Vielleicht läuft die Sache so gut für die Hobbybackfrau, weil sie damit kein Geld verdienen muss und will.

Wie eine große Familie

Wenn Frau Frohberg mit ihrem Rollstuhl über das Messegelände fährt, muss sie immer wieder anhalten. „Wir kennen uns in der Szene gut“, erklärt sie beinahe entschuldigend, „und sind ein bisschen wie eine große Familie.“ Dennoch ist die Konkurrenz an den Ständen enorm. Offeriert wird, was des Kunst­bäckers Herz begehrt. Aktuell angesagt sind Teigrollen aus Acryl und Förmchen aus Gummi. Letztere sehen aus wie Eiswürfelbehälter.

Zu haben sind Zutaten wie Rollmarzipan, Fondant in allen möglichen Farben, Zuckerguss in schrillen Glitzer­tönen, Kügelchen und Herzen zum Verzieren. Wer mag, kauft Torten-Tattoos, Zucker in goldener Farbe, Einhörner aus Marzipan. Teilweise werden deftige Preise verlangt.

Fertiger Baumkuchen ungarischer Art, Brownies made in Hamburg und jede Menge Cupcakes in beerigen Geschmacksrichtungen runden das nahrhafte Angebot ab. Gekrönt sind die fluffigen Teigberge mit einer Mischung aus Frischkäse und Buttercreme. Es ist ein Gefühl, als nehme man nur vom Hin­gucken zu.