Hamburg. Krankenkassen empfehlen, sich im Zweifel doch noch impfen zu lassen

Als Herta F. den Brief vom Bezirksamt Altona las, traute sie ihren Augen nicht. Absender: Gesundheitsamt, Infektionsschutz, Hygiene, Medizinalwesen (A). Und im fett gedruckten Betreff der persönlich an sie adressierten Behördenpost stand: „Ermittlungen nach § 25 Infektionsschutzgesetz (IfSG), hier: Influenza.“

Dass gegen sie ermittelt wird, war der Rentnerin bis dato nicht bewusst. Sie hat auch nicht wirklich Lust, sich wie angeordnet beim Gesundheitsamt zu melden und möglicherweise intim befragen zu lassen. Schließlich war sie gerade ernsthaft an der Grippe erkrankt.

Doch Herta F. hat kaum eine Wahl. Nach dem Hamburgischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz kann sofort ein Ordnungsgeld von 250 Euro gegen sie verhängt werden. Sie muss sich also gegenüber den Hamburger Behörden erklären: Welche Art von Grippe hat sie? Wo kommt die Erkrankung möglicherweise her? Welche Kontakte hat sie? „Nur so können rechtzeitig Maßnahmen zum Schutz Dritter ergriffen werden“, heißt es.

Die Grippewelle 2018 ist mit Wucht in Hamburg angekommen. Herta F. hat sich mit den Viren angesteckt, obwohl sie geimpft war. Bei ihr und bei vielen anderen Hamburgern ist vermutlich die besonders schwerwiegende australische Grippe ausgebrochen. Die „Aussie Flu“, wie sie verniedlichend genannt wird, hat in der dort im September zu Ende gegangenen Grippesaison 170.000 Australier getroffen – das waren doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Wegen der engen Kontakte ins Vereinigte Königreich zittern jetzt buchstäblich viele Briten vor den Viren aus „Down Under“. Denn das Gesundheitssystem in Großbritannien ist bei Weitem nicht auf beispielsweise deutschem Niveau.

Doch auch in Hamburg, wo sich nach Angaben der Gesundheitsbehörde in der 1. bis 6. Kalenderwoche des neuen Jahres jetzt 1682 Influenzafälle bestätigt haben (2017: 1459), ist die Lage alles andere als beruhigend. Es gibt Grippeerkrankungen trotz Impfungen. Bei Eltern ist für ihre Kinder eine gewisse Impflässigkeit zu beobachten, und ältere und damit stärker gefährdete Patienten scheuen offenbar ebenso häufiger die Impfung.

Nach Zahlen des Robert-Koch-In­stituts für die Techniker Krankenkasse sind in Hamburg die Impfquoten der über 60-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren von 45 auf 34 Prozent zurückgegangen. Die Techniker weist darauf hin, dass sich eine üblicherweise im Herbst stattfindende Impfung auch jetzt noch lohnen könne. Die Barmer in Hamburg hatte in der vergangenen Woche nach den vorläufigen Grippezahlen für ihre Versicherten noch Entwarnung geben wollen. Jetzt muss die Kasse korrigieren. Zwar sind offenbar nicht so viele berufstätige Erwachsene, aber Kinder und Rentner umso mehr von der Grippewelle betroffen. Die Barmer hat eine kostenlose Hotline eingerichtet, bei der sich alle Patienten von diesem Mittwoch an von 9 bis 21 Uhr unter 0800-84 84 111 von Ärzten und Experten zur Grippe beraten lassen können.

„Bei Hochrisiko-Patienten, also Menschen mit einem schwachen Immunsystem, chronisch Kranken, älteren Personen oder Schwangeren kann eine Nachimpfung mit dem Vierfach-Impfstoff medizinisch sinnvoll sein“, sagte Barmer-Landesgeschäftsführer Frank Liedtke dem Abendblatt. „Wenn der behandelnde Arzt bei diesem Personenkreis eine Impfung mit einem Vierfachimpfstoff empfiehlt, übernimmt die Barmer die Kosten hierfür.“

Die Aufklärung ist notwendig. In einem Hilferuf einer Grundschule in Eimsbüttel an die Eltern heißt es: „Lassen Sie kranke Kinder unbedingt zu Hause. Die Ansteckungsgefahr hier in der Schule ist extrem hoch.“ Erst waren es zwei, jetzt sind es acht Lehrer, die krank sind. Der reguläre Unterricht, so die Schulleitung, werde „so gut es geht“ aufrechterhalten. Klassen werden geteilt oder gemeinsam unterrichtet.

Bislang wurde den gesetzlich Versicherten der Dreifachimpfstoff verabreicht. Er ist um rund fünf Euro günstiger als die Vierfachdosis. Doch das Robert-Koch-Institut warnte, dass der derzeit verbreitete Influenza-B-Virus der Yamagata-Linie vom Dreifachimpfstoff offenbar nicht verhindert werde.

„Ein Teil unserer Patienten ist empört“, sagt die Hausärztin Silke Lüder dem Abendblatt. Möglicherweise hätte man den Vierfachwirkstoff sofort verabreichen müssen. In ihrer Praxis in Neuallermöhe sind außer den Grippefällen derzeit auffällig viele Patienten mit bakteriellen Superinfektionen und einem zähen Husten. Die Allgemeinmedizinerin führt das unter anderem darauf zurück, dass der Januar zu warm und besonders feucht war und jetzt „normales“ Winterwetter herrsche. Einzelne Grippepatienten mit mehr als 40 Grad Fieber, trockenem Husten und Schmerzen bekommen das Spezialmedikament Tamiflu. Bei anders Erkrankten helfe zumeist Ibuprofen, Aspirin, Husten­löser – und Ruhe. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte, die höhere Zahl der an Grippe Erkrankten liege noch im üb­lichen statistischen Schwankungsbereich. „Ich glaube, das ist wie in jedem Winter. Man hat halt den Höhepunkt der Grippesaison.“