Hamburg. Der halbe Senat ist derzeit in der Bundeshauptstadt. Was ist dran am Einfluss der Hamburger Politiker?
Es wäre vermessen zu behaupten, dass die Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition in Berlin von Hamburg aus gesteuert werden. Aber falls sich CDU, CSU und SPD in den kommenden Tagen auf ein Vertragswerk verständigen, das die SPD-Mitglieder dann ja noch absegnen müssen – dann werden Hamburger Behörden und ihre Senatorinnen, Senatoren und Staatsräte daran einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch öffentlich nicht sehr sichtbaren Anteil haben.
Alles hängt einmal mehr von Bürgermeister Olaf Scholz ab, der als stellvertretender SPD-Vorsitzender und Finanzexperte seiner Partei zum exklusiven Kreis der sogenannten „kleinen Runde“ gehört: Diese 15 Spitzenpolitiker – fünf von der CDU, vier von der CSU und sechs Sozialdemokraten – entscheiden maßgeblich über das Wohl oder Wehe einer neuen Großen Koalition, sieht man einmal von der noch exklusiveren Dreier-Runde der Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) ab. Diesem Trio wird es obliegen, die allerletzten Knoten widerstreitender Interessen durchzuschlagen, damit eine Einigung möglich wird.
Der Wunsch-Katalog
Scholz hatte bereits im Vorfeld der Jamaika-Sondierungen die Devise an alle Hamburger Behörden ausgegeben, eine Art Wunsch- und Forderungskatalog für die Verhandlungen zu erstellen, um möglichst viele Hamburger Interessen selbst dann zu wahren, wenn er selbst gar keine direkten Einflussmöglichkeiten besitzt. Damals musste der Koalitionspartner von den Grünen entscheiden, welche Wünsche von SPD-Senatoren er mit auf das grüne Ticket in die Gespräche mit Union und Liberalen nehmen wollte. Scholz war sich im Übrigen auch nicht zu schade, auf die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende, frühere Bürgerschaftsfraktionschefin und jetzige Bundestagsabgeordnete Katja Suding zuzugehen und seine Hilfe zum Wohle der Stadt anzubieten. Etwa bei der (Bundes-)Finanzierung großer Verkehrsinfrastrukturprojekte ist die Interessenlage parteiübergreifend durchaus sehr ähnlich.
Fünf Senatoren koordinieren die Interessen der SPD-Länder
Diese Vorgehensweise der Einbindung und gewissenhaften Vorbereitung hat Scholz jetzt, da die SPD am Verhandlungstisch in Berlin sitzt, perfektioniert. Der Jamaika-Katalog ist dabei nur die Basis. Ein wesentlicher Baustein zur Wahrung der Interessen des Stadtstaats ist, dass es Scholz gelungen ist, eine Reihe seiner Regierungsmitglieder an Schaltstellen dieses Verhandlungsmarathons unter enormem Zeitdruck zu positionieren: Nicht weniger als acht Senatoren und Staatsräte sind Koordinatoren der A-Länder für ihre Fachbereiche. Das heißt: Sie sitzen in einer der 18 Arbeitsgruppen, bündeln die Interessen der SPD-regierten oder -mitregierten Länder und bringen sie in den Verhandlungsprozess ein.
Es sind: Sozialsenatorin Melanie Leonhard für die Arbeitsgruppe (AG) Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratieförderung, Schulsenator Ties Rabe für die AG Bildung und Forschung, Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks für die AG Gesundheit und Pflege, Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt für die AG Wohnungsbau, Mieten und Stadtentwicklung, die Staatsrätin Elke Badde für den Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes in der AG Landwirtschaft sowie die beiden Staatsräte der Verkehrs- und Wirtschaftsbehörde, Andreas Rieckhof und Rolf Bösinger, für die AG Verkehr und Infrastruktur. Hinzuzurechnen ist noch Kultursenator Carsten Brosda, der zwar nicht A-Länder-Koordinator ist – der Posten ist derzeit nicht besetzt –, aber gleichwohl die Interessen der SPD-regierten Länder in der AG Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Medien vertritt.
Nur sieben Ministerpräsidenten
Nun gehört zur Wahrheit, dass die SPD nur noch in sieben der 16 Länder den Ministerpräsidenten stellt, die Auswahl an möglichen A-Länder-Koordinatoren also begrenzt ist. Andererseits verweisen Insider auf das hohe Ansehen Hamburger Senatoren wie auch der Behörden auf Länderebene. Über die Genannten hinaus kommen noch als „einfache“ Mitglieder der GroKo-Arbeitsgruppen die Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Aydan Özoguz, Johannes Kahrs sowie Niels Annen hinzu. Aufseiten der CDU sitzen die Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse (AG Wirtschaft und Bürokratieabbau) sowie Marcus Weinberg (AG Familie, Frauen, Jugend und Senioren) mit am Verhandlungstisch.
Konkret bedeutet das, dass in diesen Tagen eine rege Reisetätigkeit von Senatoren und Staatsräten zwischen Hamburg und Berlin zu registrieren ist. Zeitweise war fast der halbe Senat in Berlin, um in Arbeitsgruppen zu verhandeln. Olaf Scholz machte es umgekehrt: Er hatte diese Woche als einer der Chefverhandler ohnehin für die Hauptstadt reserviert und kehrte nur einmal am Dienstag zur Senatssitzung und zum Neujahrsempfang für das Konsularkorps in die Hansestadt zurück.
Schulsenator Rabe hat seine Berliner Hausaufgaben bereits erledigt. Seine Arbeitsgruppe hatte sich am Donnerstagabend ohne allzu große Differenzen auf ein gemeinsames Papier verständigt. „120 Millionen Euro für Computer an Hamburgs Schulen“, verkündete Rabe darauf etwas vorschnell (siehe Bericht unten), schließlich müssen sich Union und SPD erst noch auf einen Koalitionsvertrag einigen.
Wer schreibt, der bleibt
Alles in allem lässt sich vermutlich sagen, dass kein anderes Bundesland in diesen Verhandlungen proportional so gut vertreten ist wie eben Hamburg. Bereits für die Sondierungen zwischen Union und SPD hatten die Hamburger Senatoren und ihre Behörden vorgearbeitet und Textbausteine für die mögliche Einigung geliefert. „Wer schreibt, der bleibt“, zitiert ein Insider eine alte Behördenweisheit. Dass Union und SPD laut Sondierungspapier die Ausgaben im Rahmen des Gemeindeverkehrswegegesetzes „erhöhen und dynamisieren“ wollen, wird nicht zuletzt auf Hamburger Initiative zurückgeführt. Sollte es dazu kommen, würde das auch mehr Geld für den U- und S-Bahn-Ausbau in Hamburg bedeuten.
Manchmal sind es kleine Formulierungen, deren Tragweite sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Union und SPD wollen zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm des Bundes die Länder neben der Digitalisierung auch bei weiteren Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, insbesondere im Bereich Ganztagsschule und berufliche Schulen, unterstützen. So weit, so gut. Die Streichung eines einzigen Worts im Grundgesetz wird, wenn die Absicht der Koalitionäre in spe Realität wird, einen Teil dieses Geldsegens anders als bisher in Zukunft auch nach Hamburg lenken.
„Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren“, lautet Artikel 104c des Grundgesetzes. Auf Drängen des „reichen“ Hamburgs sind Union und SPD in den Sondierungen übereingekommen, das Wort „finanzschwachen“ zu streichen. Das würde die Möglichkeit eröffnen, dass auch Hamburger Schulen in sozialen Brennpunkten mit Bundesgeld gefördert werden können ...
Scholz ist Chefverhandler der SPD für Finanzen und Steuern
Letztlich ist es aber so, dass alle Vorvereinbarungen und Abmachungen bis zuletzt unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Da trifft es sich gut, dass Olaf Scholz Chefverhandler der SPD für die Arbeitsgruppe Finanzen und Steuern ist. Diese Arbeitsgruppe bereitet wiederum nur vor, was letztlich in der kleinen Runde der 15 entschieden wird. Hier vor allem wird festgelegt, wie groß der Spielraum für zusätzliche Ausgaben in den kommenden vier Jahren sein wird, ob die anvisierte Marke von 46 Milliarden Euro überschritten wird und welche Investitionen letztlich vereinbart und welche gestrichen werden. Da trifft es sich gut, dass Scholz auch in dieser kleinen Runde sitzt.
Man gewinnt den Eindruck: Was auch immer in diesen Verhandlungen entschieden wird, Scholz ist dabei.