Hamburg. Nele Wüstenberg und Philip Dumstrei mit ihrem Traumjob: Vom langen, aber erfolgreichen Weg auf Instagram mit großer Fangemeinde.
Ein letztes Mal prüft Nele ihr Spiegelbild im Fenster eines Restaurants am Fleet in der Innenstadt. Die 24-Jährige zupft an ihrer goldenen Winterjacke, streicht die hautenge Lederleggings glatt und posiert wie ein Profimodel an der Bleichenbrücke für das perfekte Foto. Kumpel Philip knipst es mit dem Smartphone. Dann tauschen sie die Rollen. Wenig später wechseln sie im Auto auch die Klamotten. Jeder hat vier Outfits im Kofferraum liegen. „Manchmal stehe ich halb nackt am Jungfernstieg“, sagt Philip und lacht. Die Passanten verrenken sich die Köpfe nach ihnen. „Früher war es mir sehr unangenehm. Mittlerweile bin ich abgehärtet“, sagt Nele. Denn die beiden Freunde verdienen ihr Geld mit einem der begehrtesten Berufe der Neuzeit: Sie sind Influencer.
Die Topverdiener der Branche
Erst vor einigen Tagen ist der Begriff zum Anglizismus des Jahres gekürt worden. Das Interesse an den „Beeinflussern“, die in den sozialen Netzwerken für Produkte werben, ist in den vergangenen zwei Jahren explodiert. Topverdiener der Branche wie Caro Dauer, Bianca „Bibi“ Heinicke oder Pamela Reif sind zu Stars geworden. „Das Spannende an Influencern ist nicht nur, dass sie in der jungen Zielgruppe oft bekannter sind als Schauspieler und Musiker, sondern die Tatsache, dass sie sich diese Bekanntheit ganz allein aufgebaut haben“, sagt Toan Nguyen von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt/Sports. Früher hätten Magazine oder Fernsehen den Grad der Prominenz geprägt. „Heute geschieht das alles auf YouTube und Instagram“, so Nguyen.
700 Millionen User
Vor fünf Jahren haben sich auch Nele Wüstenberg und Philip Dumstrei wie inzwischen 700 Millionen andere Menschen auf der Welt ein privates Konto beim Social-Media-Dienst Instagram angelegt. Drei Jahre und etliche Fotos später hatten sie bereits mehr als 10.000 Fans. „Daraufhin bekamen wir die ersten Kooperationen mit Werbepartnern“, erinnert sich Nele. Das Geschäft habe sich so rasant weiterentwickelt, dass sie ihre Arbeitszeit als Zahnarzthelferin herunterstufen musste. Seit Mitte Januar ist sie Influencerin für Mode, Schönheit und Reisen in Vollzeit und hat nebenbei ihr eigenes Modelabel „Kombo J“ gegründet.
Auch Philip, der auf Sylt eine Ausbildung zum Modeberater absolviert hat, arbeitet im Einzelhandel nur noch in Teilzeit. Genau wie Nele hat er sich eine Fangemeinde von 100.000 Fans bei Instagram aufgebaut. „Viele belächeln den Job als Influencer“, sagt der 25-Jährige. Dabei stecke harte Arbeit darin.
Bis zu zwei Stunden benötigen die beiden Sandkastenfreunde, die seit viereinhalb Jahren in Hamburg leben, um ein Bild zu knipsen, es zu bearbeiten und mit einem entsprechenden Text ins Internet zu stellen. „Die meisten sehen nur die rosarote Welt, aber nicht was dahintersteckt“, kritisiert Philip.
Als „rosarot“ werden außerhalb der Szene die kostenlosen Produkte wie Kleidung, Schmuck und Taschen wahrgenommen, die Influencer wie Nele und Philip zugeschickt bekommen. Als Gegenleistung werben sie auf Bildern für entsprechende Marken und werden dafür entlohnt. Die Wirkung für Firmen ist enorm. Denn Influencer bauen durch tägliche Einblicke in ihren Alltag Vertrauen zu ihren Fans auf. Dadurch sind sie glaubwürdiger als unnahbare Schauspieler oder Musiker. „Wir gehen aber nur Kooperationen ein, die zu uns passen. Es ist wichtig, authentisch zu bleiben“, sagt Philip. Sie verdienen mit einem Werbeauftrag zum Teil vierstellige Beträge. Je mehr Fans (Follower) ein Influencer hat, desto mehr Geld kann er von den Firmen verlangen.
50.000 Dollar pro Post
Laut einer Studie von Jung von Matt und der Influencer-Plattform Brandnew bekommen die meisten der 1200 befragten „Beeinflusser“ pro Geschäft nur einen dreistelligen Betrag. Größere fünfstellige Gagen erzielen nur acht der Befragten. „Es gibt aber auch die Topverdiener, die mit einem einzigen Post 50.000 Dollar verdienen“, erzählt Brandnew-Gründer Francis Trapp. In Deutschland stecken seiner Einschätzung nach Marken eine zweistellige Millionensumme in die Werbung mit Influencern. Ist es also ein Traumjob?
Besonders in den Ohren von Teenagern mag dies so klingen. „Der Berufswunsch ist wie eine Rakete durch die Decke geschossen“, sagt Trapp. Und das werde in den kommenden Jahren so bleiben. „Influencer ist genauso ein anerkannter Beruf wie Profifußballer“, findet Trapp. Doch er hat auch seine Schattenseiten. Als Social-Media-Sternchen gehört es dazu, Fremde an seinem Privatleben teilhaben zu lassen und auch Beschimpfungen zu ertragen. „Ich bin doch auch nur ein Mensch“, sagt Nele. Angst davor, dass der Boom um Influencer so schnell vergehen könnte wie er aufgeploppt ist, haben Nele und Philip nicht. „Wir haben beide eine Ausbildung gemacht und können jederzeit in unseren alten Job zurückkehren“, sagt Philip. Und solange zahlen sie von ihren Werbeeinnahmen als Influencer die Miete.