Hamburg. Weniger Lametta, mehr Persönlichkeit: US-Popdiva unterhält ihre Fans in der allerdings nicht ausverkauften Barclaycard Arena.
Der Countdown läuft, erreicht die Null, Nebel wabert, eine Hebebühne steigt in die Höhe, Glamrock pulst aus den Lautsprechern, und eine Frau in mehreren Schichten Leder und mit Glitzer-Cowboyhut besingt ihr „Diamond Heart“, ihr nicht fehlerfreies, aber unzerbrechliches Herz. 10.500 Menschen jubeln in der gut gefüllten, nicht ausverkauften Barclaycard Arena. Ein spektakulärer Konzertbeginn? Für Lady Gaga (31) ist es fast schon ein geerdeter Auftakt.
Beim letzten Hamburg-Besuch der New Yorkerin im Oktober 2014 in der damals ausverkauften Arena schien nicht mal der Himmel die Grenze zu sein. Die „ArtRave“-Tour übertraf sich in jeder Konzertminute aufs Neue, zehnmal pusteten riesige Konfettikanonen Schnipsel in den Saal, eine verrückte Clubnacht wollte Lady Gaga nachempfinden. Als würde man in Las Vegas eine gigantische Disco mit Themen-Tanzflächen eröffnen: Moulin Rouge Paris, Studio 54 New York, Berghain Berlin, Seh-Sie Bad Oldesloe. Für das Jahr 2015 war sogar ein Weltraum-Auftritt an Bord des Virgin-Galactic-Raumgleiters angekündigt, doch der Prototyp stürzte vier Wochen nach Lady Gagas Hamburg-Konzert ab.
Chronische Schmerzen war Grund für Verlegung des Hamburg-Konzerts
Auch für die Gaga lief es seitdem nicht rund, trotz des bisher meistgesehenen Superbowl-Halbzeit-Auftritts im Februar 2017. Das „Willkommen, Bienvenue, Welcome“, das am Mittwochabend nach „A-Yo“ das Pop-Cabaret beschreibt, ist seit zehn Jahren Gagas Leitmotiv.
Studios, Tourneen, Videos, Spielfilme, Shows, Laufstege, Benefizgalas, politische Initiativen, soziale Netzwerke sind ihre Bühnen. Dort ist sie Artist in Residence, immer extravagant und aufsehenerregend, mal provokant, mal versöhnlich. Pausenlos und vor Showbeginn unter zunehmenden Qualen, wie in der Netflix-Doku „Gaga: Five Foot Two“ (2017) zu sehen ist. Chronische Schmerzen führten auch zur Verlegung des Hamburg-Konzerts von September auf Januar.
Die „Little Monsters“ kennen die Umstände
Die „Little Monsters“, wie Gagas Fans sich nennen, kennen die Umstände. „Poker Face“ und „Perfect Illusion“ machen ihnen an diesem Abend nichts vor, der Applaus ist auch ein Mutmachen. „Danke“, freut sich Gaga, deren Fannähe für einen US-Superstar authentischer wirkt als bei der Konkurrenz. Ihr aktuelles Album „Joanne“ (2016), benannt nach einer Tante, die 1974 lange vor Lady Gagas Geburt jung an einer seltenen Krankheit starb, gilt als persönlichstes Werk des ausgesprochenen Familienmenschen hinter der schillernden Star-Fassade.
In sieben Akte mit entsprechenden Videoeinspielern und Instrumental-Einlagen der Band ist die Show unterteilt, und die Unterbrechungen sind wahrscheinlich nicht nur zum Umziehen gedacht, sondern auch zum Luftholen. Denn auch eine geerdetere Gaga wirft sich geradezu in ihre Auftritte.
Lady Gaga ist ein Rausch für alle Sinne und Unsinne
Viele Songs wie „LoveGame“ oder „Telephone“ werden gekürzt präsentiert, um mehr Lieder in der zweistündigen Spielzeit unterzubekommen, die ihre Karriere und ihr Leben wie im Schnelldurchlauf abbildet. Sie spielt Gitarre bei „A-Yo“, Umhänge-Keyboard bei „Just Dance“ oder Kristall-Flügel bei „Come To Mama“ und „The Edge Of Glory“, galoppiert zwischen ihren Tänzern und Tänzerinnen über Hebebühnen durch den Saal, entblättert sich, um sich dann in diversen Farb- und Stilvarianten neu einzukleiden.
Vom hautengen schwarzen Catsuit bis zur roten Daunenjacken-Galakleid-Groteske mit langer Schleppe ist alles dabei. Auch wenn 2014 mehr Konfetti, mehr Lametta war, so ist Lady Gaga auch 2018 noch ein feines Fest, ein Rausch für alle Sinne und Unsinne.
Warum macht sie das alles, bis über die Schmerzgrenze hinaus? Es gibt dafür „Million Reasons“ und doch nur einen: Denkt man sich die Bühne, die Band, die Tänzer, die Kostüme, die Laser, die Böller und die feiernden Zuschauer weg, dann bleibt ihre Erzählung zu „Dancin’ In Circles“: Eigentlich ist Lady Gaga nur Stefani Joanne Angelina Germanotta, ein kleines Mädchen, das gern im Kreis tanzt und hüpft. Und wer selber Vater oder Mutter ist, weiß; dass es nichts Schöneres gibt, als ihr dabei zuzusehen.