Hamburg . Die Neubaupläne für den prominenten Platz am Eingang der Reeperbahn entzweiten Anwohner, Politiker und Investoren. Ein Rückblick.

Der Platz ist prominent, der Plan perfekt, die Stimmung euphorisch, der Prozess demokratisch austariert: Vor 25 Jahren, am 25. Januar 1993, stellt Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller (SPD) ein neues architektonisches Highlight als Entree zur Reeperbahn vor.

Doch der Ort ist höchstsensibel, der schöne Plan alsbald umstritten. Plötzlich formiert sich Widerstand, und die Stimmung kippt. Denn am Millerntorplatz stößt hanseatischer Geschäftssinn besonders hart auf sozialbewusste Skepsis. Und in dem neuen Bauprojekt müssen zwei besonders engagierte Vertreter beider Richtungen zueinanderfinden.

Stamokap gegen Texas? Auch das Millerntor selbst ist voller Gegensätze

Traute Müller wuchs in Barmbek auf und studierte Sozialpädagogik. 1976/1977 wurde sie Juso-Bundesvize, 1988 SPD-Landesvorsitzende. Die „taz“ rühmte, dass sie den Parteitag mit Stamokap-Sprüchen „mehrfach zur Weißglut“ brachte. 1991 wurde sie im Senat Voscherau zuständig für die Stadtentwicklung, ab 1993 saß sie auch in der Bürgerschaft.

Ihr Gegenüber beim Millionendeal am Millerntor ist der Investor Horst Rahe (damals 53) mit einer Bankengruppe. Der studierte Betriebswirt hat mal in Texas nach Öl und Gas gebohrt. Jetzt macht er in Immobilien und Schiffen. Im Jahr zuvor hat er das Hamburger Hotel Louis C. Jacob erworben. Heute gehören ihm A-Rosa-Resort-Wellnesshotels etwa auf Sylt, in Trave- und Warnemünde.

Stamokap gegen Texas? Auch das Millerntor selbst ist voller Gegensätze. Bis 1947 verband dort die Hamburger Volksoper kaiserlichen Protz mit populärer Proletkultur. In den Bombennächten brannte die plüschige Pracht prasselnd ab. An ihrer Stelle schoss 1967 das Iduna-Hochhaus auf. Architekt war Carl-Friedrich Fischer. Er hatte 1937 den Plan einer Hochbrücke über die Elbe entwickelt, mit dem der Nazi-Architekt Konstanty Gutschow dann Adolf Hitler begeisterte. Nach dem Krieg baute Fischer das Görtz-Palais am Neuen Wall und das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg. Dann stellte er dem Versicherungskonzern Hamburgs dritthöchstes Gebäude an den Millerntorplatz: 24 Etagen auf 78 Metern. Das Polizeipräsidium in St. Georg und das Unileverhaus in der Neustadt sind mit 83 und 82 Metern nur wenig höher.

Die Senatorin will auch Wohnungen, der Investor nur Büros

Doch schon ein Vierteljahrhundert später lief die Lebenszeit des gläsernen Riesen ab: Er krankte an Asbest-Krebs. Zuletzt waren dort das Oberverwaltungsgericht und der Datenschutzbeauftragte untergebracht, dazu ein paar Reedereien und Ingenieurbüros. Seit 1987 stand das Haus leer.

Sechs Jahre später soll der „hohle Zahn vom Millerntor“ gezogen werden. An der Zange: Traute Müller. Sie will St. Pauli ein neues Portal verpassen. In ihrem Büro sichtet sie Entwürfe. Zwei haben schnell ihre Ökelnamen weg: „Kühltürme“, „Hochhaus-Sense“. Der dritte Entwurf gewinnt. Er kommt vom Architektenbüro Kleffel, Köhnholdt und Gundermann: 41 Meter hoch, elf Stockwerke. Fassade aus Naturstein, Metall und Glas. Kosten: 300 Millionen Mark.

Streit gibt es trotzdem: Die Senatorin will auch Wohnungen, der Investor nur Büros. Die Senatorin möchte schlanke 35.000 Quadratmeter Fläche, der Investor volle 44.500 Quadratmeter. Bei der Vorstellung des Projekts am 25. Januar 1993 verspricht Müller einen „akzeptablen Kompromiss“: Ein „erstes Abstimmungsgespräch“ mit allen Beteiligten und der Bezirksversammlung habe sie „optimistisch gestimmt“, der Investor wolle auf 37.500 Quadratmeter abspecken. Traurig sei sie nur, weil dort nun doch keine Wohnungen gebaut würden, die sollten jetzt eben auf einem angrenzenden Grundstück entstehen.

Und dann klingelte die Polizei bei der Senatorin

Nächste Station ist am 14. April der Stadtplanungsausschuss. Bis dahin wünscht sich die Senatorin eine Bürgerbeteiligung in Form einer breiten, offenen Diskussion. Sie fällt verheerend aus: Die GAL-Abgeordnete Conny Jürgens ätzt, die Planung habe keine Rücksicht auf die Belange der „AnwohnerInnen“ genommen, sei „brav den Vorstellungen des Investors gefolgt“ und damit ein „erneuter Beweis für die Dialogunfähigkeit von Traute Müller“. Grete Kleist, Vorsitzende im SPD-Bezirk St. Pauli, traktiert die Genossin mit der Forderung, dass „Wohnungsbau und soziale Stadtteileinrichtungen in das Bauvorhaben“ inte­griert, Verkehrsberuhigungsmaßnahmen eingeleitet und St. Pauli als Sanierungsgebiet ausgewiesen werden müssten.

Auch der CDU-Fraktionsvize in Hamburg-Mitte, Hartwig Kühlhorn, schießt auf die Senatorin: „Frau Müller hat sich voll auf die Seite der Investoren geschlagen. Das hätte man alles schon viel früher haben können.“ Die angebliche Reduzierung um 7000 Quadratmeter sei „nur ein Taschenspielertrick“, denn die Senatorin habe einfach die 5000 Quadratmeter für die Eingangshalle unterschlagen. Am härtesten geht St.-Pauli-Pastor Christian Arndt mit dem Plan ins Gericht: Er sei „ein Erfolg für den Investor und ein Misserfolg für das Viertel“, klagt der Gottesmann. „Überall stehen Büros leer, und hier leben Menschen auf der Straße!“

Am 20. Februar 1995 wird das Iduna-Hochhaus gesprengt

Traute Müller kämpft um das Projekt, doch dann bricht Unerwartetes über sie herein: Am 24. November 1993 holen Mitarbeiter des Bundeskriminalamts morgens um sieben ihren Lebensgefährten seit 1977, Kurt Wand (damals 49), aus der gemeinsamen Wohnung in Eimsbüttel. Wenige Stunden später gesteht der linke Sozialdemokrat, dass er 20 Jahre für die Stasi spioniert hat.

Am nächsten Tag tritt Traute Müller zurück. Das Projekt läuft ohne sie weiter. Am 20. Februar 1995 wird das Iduna-Hochhaus vor 80.000 Schaulustigen gesprengt. In nur 18 Monaten ziehen Arbeiter den neuen Koloss hoch: 30.000 Quadratmeter Büros, dazu Läden und Restaurants. Beim Richtfest schildert Architekt Uwe Köhnholdt launig den „dornigen Weg durch die Hamburger Verhältnisse“. Ein Jahr später scheidet Traute Müller aus der Bürgerschaft aus.