Die Feuerwache Barmbek ist eine der meistfrequentierten in der Hansestadt. Das Abendblatt hat die Feuerwehrleute begleitet.
Die Sicht reicht nur wenige Meter weit. Zu dicht wabert der schwarze Rauch durch den Gang. Auf allen Vieren bahnt sich Karsten Hamann seinen Weg durch das Feuer. Nur seine Atemschutzmaske schützt ihn jetzt vor den giftigen Gasen um ihn herum. Langsam tastet sich der Feuerwehrmann von einem Kellerverschlag zum anderen. Dabei hat er nur ein Ziel vor Augen: so schnell wie möglich den Brandherd finden und löschen.
Karsten Hamann ist an diesem Freitagabend der erste von mehr als 200 Feuerwehrleuten, der in die Flammen in dem Alten- und Pflegeheim am Gustav-Seitz-Weg geht. Das Feuer in Steilshoop trifft den 42-Jährigen gleich in seiner ersten Arbeitswoche an der Feuer- und Rettungswache Barmbek. Gut zweieinhalb Jahre ist das nun schon her. Doch der Einsatz im April 2015 lässt den erfahrenen Berufsfeuerwehrmann – seit 15 Jahren im Dienst – nicht los. „Es war schwierig, den Brand zu bekämpfen“, sagt er.
Jederzeit kann der Alarm ertönen
Im Schnitt 59 Einsätze pro Tag haben der Brandmeister und seine rund 130 Barmbeker Kollegen. Mehr als 21.400 waren es im vergangenen Jahr, in diesem Jahr bis November bereits gut 18.000. Das heißt, rund alle 25 Minuten ausrücken. Die Wache ist eine der meistfrequentierten in der Hansestadt. An diesem Tag lässt der Alarm für „die Blauen“ auf sich warten. So heißen die Feuerwehrmänner, die für den Brandschutz eingeteilt sind, entsprechend der Farbe ihrer Einsatzkleidung. Jeder Hamburger Feuerwehrmann fährt auch Rettungswagen. Herzinfarkte, Unfälle, Betrunkene: Auf „die Weißen“ entfallen 85 Prozent der Einsätze. Wechsel ist alle drei Wochen.
„Es gibt Tage, an denen sind wir auch im Brandschutz im Dauereinsatz, an anderen rücken wir gar nicht aus“, sagt Oberbrandmeister Philipp Sänger, während er die Wasserschläuche kontrolliert. Jederzeit könnte der Alarm ertönen. Gemeinsam mit Karsten und vier weiteren Kollegen ist der 36-Jährige auf dem Löschfahrzeug eingeteilt. Seit sieben Uhr morgens sind sie im Dienst. 24 Stunden dauert die Schicht. Da wird die Wache zum Zuhause.
Die Einsätze verlangen viel Kraft ab
Auf der Wache nennen sie ihn seit der ersten Woche nur „Keller-Karsten“. Am Montag hatte Karsten, der zuvor in Greifswald und bei der Bundeswehrfeuerwehr arbeitete, einen Kellerbrand in einem Gemüseladen an der Straßburger Straße gelöscht. Am Freitag dann der Einsatz im Keller des Alten- und Pflegeheims. „Bei einem lange unbemerkten Kellerbrand kann es sehr ungemütlich werden.“ Neben den Holzverschlägen brannte auch der Elektroverteilerkasten. Immer wieder schlugen den Feuerwehrleuten beim Löschen deshalb Lichtbögen entgegen. 43 Bewohner werden damals leicht verletzt. Sie kommen mit Rauchvergiftungen oder einem Schock ins Krankenhaus. Weitere 89 Menschen bringen Karsten und seine Kollegen in Sicherheit.
Einsätze wie dieser verlangen den Feuerwehrleuten viel Kraft ab, sind statistisch aber eher selten. Von 5748 Bränden im vergangenen Jahr zählte die Hamburger Feuerwehr 223 Mittelbrände wie den in Steilshoop, Großbrände nur 21. Die Barmbeker rücken meist zu Entstehungsbränden aus. „Dank der Rauchmelder werden wir in der Regel früh alarmiert“, sagt Karsten. In ihrem Revier – Barmbek, Steilshoop, Bramfeld, Dulsberg, Winterhude und Uhlenhorst – sind das wegen der dichten Bebauung vor allem Wohnungsbrände. Mal das Essen, das auf dem Herd anbrennt, mal der Adventskranz, der plötzlich in Flammen steht. Hinzu kommen die technischen Hilfeleistungen. Etwa wenn eine Wohnungstür aufgebrochen werden muss. In Hamburg ist das im Schnitt achtmal am Tag der Fall.
„Kniesis“ letzte Fahrtmuss warten
Die Barmbeker Wache ist fest in Männerhand. Nur eine Auszubildende von den „Weißen“ hat sich beim Mittagessen unter die Jungs der dritten Wachabteilung gemischt. Hier herrscht Ordnung und Struktur. Tägliches Sporttraining, Kochen, gemeinsame Mahlzeiten, regelmäßige Lehrgänge. Und beim Putzdienst drängen sie sich zu zehnt in der etwa 20 Quadratmeter großen Küche. „Wir verbringen mehr Zeit mit den Kollegen als mit der Familie“, sagt Stefan Kniesberg. Der Hauptbrandmeister, den alle nur „Kniesi“ nennen, hat an diesem Tag seine letzte Schicht. Nach 35 Jahren geht er in den Ruhestand.
Für „Kniesis“ letzten Arbeitstag haben sich Karsten, Philipp und die anderen eine Überraschung ausgedacht. Sie wollen einen Alarm auslösen und ihren Kollegen dann mit der kompletten Mannschaft zur Ehefrau fahren. „Das ist bei uns Tradition“, sagt Karsten.
Wirklich ruhig sind sie nie
Doch dann: ein echter Alarm. Die Männer sind innerhalb von Sekunden in der Fahrzeugremise und schlüpfen in ihre Stiefel. Dann springt das Rolltor auf, sie fahren vom Hof. „Kniesis“ letzte Fahrt muss warten – in diesem Moment werden sie tatsächlich zu einem Brand gerufen. Am Mützendorpsteed in Bramfeld steht ein Müllcontainer an einer Hauswand in Flammen. Als Karsten und Philipp mit dem Wasserschlauch herbeieilen, schlägt das Feuer bereits bis unter das Dach einer angrenzenden Garage. „Wäre der Brand länger unbemerkt geblieben, hätte er schnell übergreifen können“, sagt Karsten. Doch das Feuer ist schnell gelöscht. Routine für das Team.
„Stress ist, wenn du nicht weißt, was dich erwartet“, sagt Karsten. Die Realität stelle sich oft anders dar als die Infos in der Brandmeldung. „Je länger du dabei bist, desto ruhiger wirst du“, ergänzt Philipp. Doch wirklich ruhig sind sie nie. Das Kasseler mit Sauerkraut hat Philipp in nur wenigen Bissen hinuntergeschlungen, gut geschlafen hat Karsten letzte Nacht nicht. In Gedanken sind sie stets auf Abruf. Allzeit einsatzbereit. „Jedes Feuer kommt unerwartet“, sagt Philipp.
In Erinnerung bleiben vor allem die schönen Einsätze
Unerwartet kommen auch die schlimmsten Einsätze, die sich in das Gedächtnis der Männer brennen. Etwa als Philipp nach einem Verkehrsunfall mit einem Toten die Kinder des Opfers von einem Foto im Portemonnaie entgegenblickten. Oder der Schmerz einer Studentin über den Tod ihres Vaters, den Karsten vergeblich versuchte nach einem Herzinfarkt wiederzubeleben. „Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem es meinen Kindern und mir gut geht“, sagt Familienvater Karsten. Dennoch: „Ein Bürojob wäre nichts für mich.“ Keinen Tag habe er als Feuerwehrmann bereut.
Das hat auch „Kniesi“ nicht, der doch etwas gerührt ist, als er im zweiten Anlauf zu seiner letzten Fahrt aufbricht. „Die Kollegen werden mir fehlen“, sagt der 60-Jährige. In Erinnerung behalten will er vor allem die schönen Einsätze. Etwa wenn sie im Rettungsdienst ein Kind zur Welt bringen. „Das ist ein erhebendes Gefühl.“
„Es gibt nichts Schöneres, als zu sehen, wenn unsere Hilfe erfolgreich war“, ergänzt Karsten. Und so wird er sich auch beim nächsten Kellerbrand wieder mutig durch den schwarzen Rauch tasten.