Hamburg. Serie „Hamburgs Klassiker neu entdeckt“. Heute: Der Tierpark Hagenbeck. Auch im neuen Eismeer kann man sich ein bisschen aufwärmen.

Es hat etwas Magisches. Im dunklen Türkis schweben schwerfällige Körper grazil dahin, am liebsten mit dem Bauch nach oben. Hier eine flotte Pirouette um die eigene Achse, dort ein possierliches Flossen-vor-der-Brust-Zusammenpatschen. Wer an diesen kalten Tagen in der höhlenartigen Eismeer-Anlage des Tierparks Hagenbeck steht, bekommt eine Sondervorführung der Walrosse.

Wo sich sonst Menschentrauben drängen, steht man nun alleine – und im Fokus der Kolosse, die hinter der Scheibe herumschwimmen. Immer wieder kommen sie an und pressen ihre bärtigen Schnauzen zehn Zentimeter vor dem eigenen Gesicht ans Glas, um dann daran emporzugleiten, eine Rolle rückwärts zu schlagen und in Rückenlage davonzugleiten. Da kommt schon das nächste an und zieht eine ähnliche Schau ab. Man kann sich kaum sattsehen – wie gut, dass die Steine vor den Scheiben beheizt sind und man sich hier ein bisschen aufwärmen kann.

Flamingos kann man fast berühren

Es ist schon etwas Besonderes, im Winter zu Hagenbeck zu gehen. So nah kommt man den Tieren sonst so gut wie nie. Die Flamingos kann man fast berühren: Dicht an dicht stehen sie nur eine Armlänge vom Ufer entfernt. Ihr knalliges, lachsfarbenes Gefieder bildet eine willkommene optische Abwechslung zu dem stumpfen Grün der Vegetation und dem hellen Erdbraun der überwiegend verwaisten Gehege.

Die Kosten

Viele Tiere bleiben bei Temperaturen um den Gefrierpunkt lieber in ihren Häusern. Die Löwen zum Beispiel, die ungerührt auf eine sich vor ihnen drängende Grundschulklasse blicken. „Macht nicht gleich Fotos, sondern beobachtet die Tiere lieber erst mal“, fordert eine Hagenbeck-Mitarbeiterin die Kinder auf, die ihnen dann erklärt, wie sich ein Löwenrudel beim Jagen verhält. Schülergruppen bilden heute die klare Mehrheit der Besucher – das Angebot des Tierparks, mit Pädagogen der Zooschule Führungen zu begleiten oder ­Rallyes auszuarbeiten, wird auch im Winter gerne angenommen.

Neugier auf beiden
Seiten: der kleine
Elias mit seiner
Mutter Ines Zenner
und einem der
Walrosse in der
unterirdischen
Eismeer-Anlage
Neugier auf beiden Seiten: der kleine Elias mit seiner Mutter Ines Zenner und einem der Walrosse in der unterirdischen Eismeer-Anlage © HA | Marcelo Hernandez

Während die Löwen auch nach draußen könnten, haben die Zebras diese Wahl heute nicht. Weil die benachbarte Anlage der Pinselohrschweine umgestaltet wird und die Arbeiter nur übers Zebra-Gehege dorthin kommen, müssen die schwarz-weißen Schönheiten drinnen bleiben. Jetzt stehen die Zebras in Einzelboxen – ein bisschen nervös, sodass ihre hoch stehenden Mähnen zittern. Auf der anderen Seite des Ganges reckt ein Strauß seinen Kopf übers Gitter, mit seinen großen Augen fixiert er Denise und Janina Fechter, zwei Schwestern aus Buchholz. Die eine war noch nie bei Hagenbeck, die andere seit ihrer Grundschulzeit nicht mehr. Was sie hertreibt? „Der Tierparkbesuch ist für uns eine Ablenkung von Arbeit und Lebensstress“, sagen sie vergnügt.

Von Stress ist heute im Tierpark tatsächlich nichts zu spüren. Die wenigen Tiere in den Außengehegen scheinen – sofern sie sich überhaupt sehen lassen – auf Winterbetrieb umgestellt zu haben. Die Kamele stehen faul herum – durch einen dicken Pelz geschützt vor Kälte und Wind. Die Onager wenden den Besuchern spröde das Hinterteil zu. In den Volieren sitzen die Vögel mit aufgeplustertem Gefieder auf den Ästen. Die Mähnenspringer – Ziegen aus Nordafrika – haben keine Lust zu springen. Und von den drei Eisbären lässt sich nur einer blicken: Er döst träge vor sich hin – dabei müsste er sich bei der Kälte doch eigentlich pudelwohl fühlen.

Tiere sind Temperaturen in Hamburg gewohnt

Tatsächlich sind alle draußen untergebrachten Tiere – ob aus arktischen oder tropischen Gefilden – an die Temperaturen in Hamburg gewöhnt. „Sie sind in unseren Regionen geboren und haben sich dem Klima angepasst“, sagt Hagenbeck-Sprecherin Eveline Düstersiek. Nun gut, das sind wir auch – trotzdem kommt es uns sehr gelegen, dass Hagenbeck als einer der wenigen Zoos die Möglichkeit bietet, die Tiere in ihren Stallungen zu besuchen.

Der 1907 eröffnete Tierpark war seiner Zeit immer voraus. Während ­anderswo Tiere noch im Käfig und getrennt nach Kategorien präsentiert wurden, brachte Carl Hagenbeck sie in Freigehegen unter, die er nach Lebensräumen anordnete und so naturnah wie möglich gestaltete. Seine Idee, Gitter durch Gräben zu ersetzen, wurde zunächst verlacht – etwa vom Zoologischen Garten am Dammtor, der später pleiteging –, dann aber in der ganzen Welt aufgegriffen. Häufig waren Mitglieder der Familie an den Planungen beteiligt. So entstanden nach dem Hamburger Vorbild Zoos in Chicago, Rom, Paris, Detroit und – durch Carls Neffen John – auch auf Sri Lanka, wo dieser einen Teehandel aufbaute.

Auge in Auge

Doch zurück zu den Stallungen. Dort ist es nicht nur wärmer als draußen – man steht den Wildtieren oft auch Auge in Auge gegenüber. Sogar den Giraffen. Öffnet man die Tür, hat man zunächst nur Beine vor sich. Erst nach Betreten des hohen Raumes kann man die Tiere ganz erfassen. Mit dicht bewimperten Augen blicken sie einen an – ziemlich von oben herab.

Mit einer Giraffe
(fast) auf Augenhöhe
zu sein
gehört sicher zu den
Erlebnissen mit
Seltenheitswert
Mit einer Giraffe (fast) auf Augenhöhe zu sein gehört sicher zu den Erlebnissen mit Seltenheitswert © HA | Marcelo Hernandez

Aber dann beugen sie für einen Moment ihre langen Hälse – und plötzlich hat man ihre seltsam geformten Köpfe ganz dicht vor sich mit der langen und sehr beweglichen Oberlippe, dem Höcker zwischen den Augen und den Hörnchen vor den Ohren. Auch ihr strenger Geruch wird nun wahrnehmbar, der nicht von den vergleichsweise kleinen Köteln auf dem Boden stammt, sondern von ihrem Fell.

Orang-Utans wie pubertierende Jugendliche

Dann geht’s noch ins Haus der Kängurus, die dort keinen großen Sprünge machen, sondern brav Salat- und Kohlblätter fressen, und in das orientalisch gestaltete Elefantenhaus. Der Kuppelbau wird derzeit von zehn Asiatischen Elefanten bevölkert – die Publikumslieblinge gehören zur zweitgrößten Landtiergattung der Erde.

Aus dem asiatischen Raum stammen auch die Orang-Utans. Bei Hagenbeck bewohnen sie eine hohe Kuppel, in der Klettereinrichtungen aus Baumstämmen, Hanfseilen, tropischen Pflanzen und künstlichen Bäumen viele Spiel- und Versteckmöglichkeiten bieten. Gerade wird aber gefaulenzt: Wie pubertierende Jugendliche lümmeln die Orang-Utans in Astgabeln, einer hängenden Plastikwanne, einem ausgehöhlten Baumstamm und auf dem Boden herum. Erst nach und nach werden sie aktiv – und das ist witzig anzuschauen.

Zum Greifen nah
und ein fröhlicher
Farbtupfer: Die
Flamingos stehen
ganz dicht am Ufer
Zum Greifen nah und ein fröhlicher Farbtupfer: Die Flamingos stehen ganz dicht am Ufer © HA | Marcelo Hernandez

Einer hangelt sich in Windeseile von Seil zu Ast zu Seil, während er ein lilafarbenes Schmusetuch auf keinen Fall loslassen will, ein anderer verlässt einen hohlen Baumstamm und nimmt, wie bei einem richtigen Umzug, sein orangefarbenes Tuch und ein paar Zweige mit. Der größte von allen fängt an, in den Seilen zu posieren – mit herausfordernden Blicken ins Publikum.

Vogelspinnen, Giftschlangen und Krokodile

Anschließend geht es durch die Kälte zur letzten Station unserer winterlichen Zoo-Tour: ins Tropen-Aquarium, das man auch unabhängig vom Tierpark besuchen kann. Neben wohliger Wärme werden die Besucher von einer Truppe zutraulicher Kattas empfangen, einer Lemurenart mit schwarz-weiß geringeltem Schwanz. Sandra und Lilly aus Buxtehude, die mit ihrer Klasse gerade einen Vortrag über Evolution gehört haben, sind entzückt – zumal die Kattas auch zu einem Selfie bereit sind. Als Schüler-Praktikant Justus mit einer Schüssel Salat auf der Bildfläche erscheint, ist aber Schluss mit dem Stillhalten. Mit wilden Sprüngen stürmen die Kattas auf ihn zu – drei, vier hüpfen ihm sogar auf die Schulter,

Von anderen Tieren im Tropen-Aquarium hält man sich lieber fern: In der fantasievoll gestalteten Anlage (mal Südseedorf, mal Bergwerkgrube) leben neben Vogelspinnen und Giftschlangen auch Krokodile Im Riesen-Aquarium ziehen Haie und Rochen ihre Bahnen. Vor der raumhohen Glasscheibe, hinter der die Besucher vor ihnen sicher sind, ist man heute ebenfalls fast alleine. Die Wärme, das gemächliche Vorbeiziehen der Fische – Susanne Schmidt aus Pinneberg ist regelmäßig hier „Es ist beruhigend für die Seele“, sagt sie. „Und wunderschön zum Fotografieren.“

Mini-Tiger erkunden großes Hagenbeck-Gehege: