Hamburg. Als eine der letzten deutschen Städte verlangt Hamburg 30 Cent. CDU fordert Abschaffung. HVV: „Für Fahrscheinkontrollen unerlässlich“

Sie wirkt wie ein Relikt aus einer fernen Vergangenheit, und doch gibt es sie in Hamburg bis heute: die Bahnsteigkarte. Als einer der letzten Nahverkehrsverbünde in Deutschland verlangt der HVV, dass sich Menschen eine kostenpflichtige Bahnsteigkarte kaufen, wenn sie jemanden am U-Bahn- oder S-Bahngleis abholen möchten. Die Karte kostet 30 Cent. Wer sie nicht kauft und beim Verlassen der Station in eine Kontrolle gerät, wird wie ein Schwarzfahrer behandelt und muss 60 Euro bezahlen. Außer in Hamburg wird laut Hamburger CDU nur noch in München von den Nahverkehrsbetrieben eine Bahnsteigkarte verlangt – dort für 40 Cent. Die Deutsche Bahn hat die Bahnsteigkarten nach Auskunft einer Sprecherin bereits in den 70er-Jahren überall abgeschafft.

Die CDU verlangt nun das Ende für das Ticket zum Betreten des Bahnsteigs auch beim HVV – und hat dazu einen Bürgerschaftsantrag eingereicht. „Die Bahnsteigkarte ist ein Relikt aus den frühen Tagen des Eisenbahnzeitalters und gehört auch in Hamburg abgeschafft“, sagt CDU-Verkehrspolitiker Dennis Thering. „Gerade eine Stadt, die für sich in Anspruch nimmt, mit der Ausrichtung des ITS-Weltkongresses im Jahr 2021 die Mobilität von morgen zu wagen, darf nicht länger an sinnlosen Überbleibseln aus vergangenen Verkehrszeiten festhalten“, so der Bürgerschaftsabgeordnete. „Außerdem ist es völlig unverständlich, dass der Senat mit dem Abschiedsschmerz der Fahrgäste Kasse machen möchte. Nach Abschaffung der Bahnsteigkarte wäre es auch ohne Fahrkarte möglich, die Kioske auf den Bahnsteigen aufzusuchen.“

Wie wenig die HVV-Kunden die gute alte Bahnsteigkarte nutzen, geht aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des CDU-Politikers hervor. Demnach hatten 2017 bis zum November gerade einmal 7929 HVV-Kunden eine Bahnsteigkarte gezogen, rund zwei Drittel von ihnen bei der Hochbahn, die übrigen bei der S-Bahn. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 zählte der HVV insgesamt mehr als 770 Millionen Fahrgäste. Angesicht der geringen Nutzung der Bahnsteigkarten fallen auch die Erlöse minimal aus. Die Hochbahn nahm im gesamten HVV-Gebiet 2017 bis zum November gerade einmal rund 1562 Euro mit Bahnsteigkarten ein, die S-Bahn etwas mehr als die Hälfte. Der HVV lehnt eine Abschaffung der 30-Cent-Karten dennoch ab. „Fahrkartenkontrollen in den Bahnen haben den Effekt, dass die Prüfer oft schon von Weitem erkennbar sind und sich potenzielle Schwarzfahrer der Kontrolle entziehen können“, sagt HVV-Sprecher Rainer Vohl. „Im Interesse der ehrlichen Fahrgäste finden im HVV deshalb Fahrkartenkontrollen nicht nur in den Fahrzeugen, sondern auch auf den Bahnsteigen statt. Ohne den fahrscheinpflichtigen Bereich könnten diese Kontrollen nicht stattfinden. Schwarzfahrer würden dann behaupten, nicht in der Bahn gewesen zu sein.“

Der Senat schließt sich dieser Einschätzung an. „Die Bahnsteige dienen dem Ein- und Ausstiegen der S- und U-Bahn-Fahrgäste“, sagte Susanne Mei­necke, Sprecherin der zuständigen Wirtschaftsbehörde. „Sie stellen keinen Aufenthaltsbereich für Personen dar, die dort nichts zu suchen haben. Damit sorgen wir auch für Sicherheit und Ordnung in den Bahnhöfen. Bahnsteigkarten werden von Personen genutzt, die zum Beispiel Angehörige zum Zug begleiten oder dort abholen. Dass München das auch so sieht wie Hamburg, spricht nicht gegen unsere beiden Städte.“ Zudem verweist Meinecke darauf, dass es auch in Frankfurt ein ähnliches Modell gebe – nur, dass die Karten dort kostenlos ausgegeben würden.

Schon Lenin lästerte über die deutsche Bahnsteigkarte

CDU-Mann Thering will das Kontroll-Argument nicht gelten lassen: „Außer Hamburg und München bekommen es ja schließlich auch alle anderen Großstädte ohne Bahnsteigkarte hin.“ In ihrem Bürgerschaftsantrag fordert die CDU den Senat auf, „in Abstimmung mit den Genehmigungsbehörden der anderen beiden beteiligten Bundesländer ... darauf hinzuwirken, die Bahnsteigkarte ersatzlos ... zu streichen“.

In Deutschland seien seit Mitte der 60er-Jahre an Bahnhöfen und Haltestellen „Bahnsteigsperren“ zurückgebaut und vielerorts auch Bahnsteigkarten abgeschafft worden. Jetzt seien sie nur noch in München und Hamburg „in den Tarifbestimmungen verankert“, so der CDU-Antrag, in dem auch ein kommunistischer Revolutionär als eine Art Kronzeuge zu Wort kommt – nämlich der „Vorsitzende der Bolschewiki-Partei, Wladimir Iljitsch Lenin“. Dem werde bekanntlich dieser Ausspruch zugerechnet: „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich erst eine Bahnsteigkarte.“