Hamburg. Gleich vier Altpräsides der Handelskammer wollen die Jahresschlussveranstaltung boykottieren – sind aber zum Dialog bereit.
Traditionell lädt die Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns (VEEK) zu Hamburg kurz vor oder zu Silvester zur Jahresschlussveranstaltung. Nun kündigen vier ehemalige Handelskammer-Präsides im Abendblatt ihren gemeinsamen Boykott an. Nikolaus W. Schües und Karl-Joachim Dreyer sprachen dabei auch im Namen von Fritz Horst Melsheimer und Peter Möhrle.
Die Jahresschlussansprache des Präses der Handelskammer ist traditionell ein großes Ereignis für die Wirtschaft. Was erwarten Sie von der Rede am 29. Dezember?
Nikolaus W. Schües : Wie der Name schon sagt, kommen in der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns die Hamburger Wirtschaftsvertreter zusammen, die sich mit den Werten dahinter identifizieren. Es geht um geschäftliche Aufrichtigkeit, um präzise Urteilsfähigkeit und darum, zu seinem Wort zu stehen. Genau um das also, was die Mitglieder des neuen Präsidiums um Herrn Bergmann mit ihrer Respektlosigkeit gegenüber ihren Vorgängern im Ehrenamt, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kammer und ihren gebrochenen Wahlversprechen gegenüber den Mitgliedern nicht verkörpern. Der Auftritt des Präses in dieser Veranstaltung wird damit zur Farce. Dem werden wir gemeinsam fernbleiben.
Sie boykottieren die Rede?
Schües : Unser Protest richtet sich ausschließlich gegen das amtierende Präsidium und ausdrücklich nicht gegen den Verein VEEK, dessen Vorstand und selbstverständlich auch nicht gegen den Ersten Bürgermeister, der in der VEEK entgegen aller Tradition erstmals sprechen wird.
Halten Sie ein solches Vorgehen für souverän?
Schües : Ja, und vor allem ist es konsequent, denn schweigendes Missfallen ist der falsche Weg. Wir setzen uns nach diesem Jahr nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten in die erste Reihe, lauschen den Worten des Präses und tun so, als sei alles in Ordnung. Wenn es Herrn Bergmann missfallen sollte, sollte er über die Gründe nachdenken.
Mit der Absage könnten Sie das Tischtuch mit den Kammerrebellen endgültig zerschneiden.
Karl-Joachim Dreyer : Das amtierende Präsidium der Kammer hat mit seinem kollektiven Boykott der 500-Jahr-Feier der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns im Oktober gezeigt, was es vom Zusammenschluss von rund 1200 Hamburger Unternehmern und ihrem Leitbild in Wahrheit hält: offenbar nichts. Wer die Werte des Ehrbaren Kaufmanns derart missachtet, sich der traditionellen Veranstaltung aber gern als Bühne bedienen möchte, den beehren wir nicht um des lieben Friedens willen mit unserer Präsenz.
Was macht Sie so wütend?
Dreyer : Wir empfinden keine Wut, aber doch ein großes Maß an Unverständnis. Mit seinem zentralen Wahlversprechen, die Pflichtbeiträge abzuschaffen, hat der heutige Präses all die Mitglieder getäuscht, die ihm und seinem Kandidaten-Team ihre Stimmen anvertraut haben. Die Taktik mag clever gewesen sein – aus unserer Sicht war sie höchst unmoralisch. Ungeheuerlich empfinde ich des Weiteren die dem früheren Präsidium und dem ehemaligen Hauptgeschäftsführer verweigerte Entlastung. Sie ist in der Sache nicht nachvollziehbar, womöglich sogar rechtswidrig. Im Ergebnis führt sie dazu – gewollt oder ungewollt –, die Vorgänger im Ehren- und Hauptamt zu diskreditieren.
Immerhin verfing das Versprechen, die Pflichtbeiträge abzuschaffen.
Dreyer : Die Abschaffung der Pflichtbeiträge, das zentrale Wahlversprechen des neuen Präses, wird nun sukzessive gebrochen. Das kommt einem Wahlbetrug gleich, zumal das Beitragssystem wider besseres Wissen als überflüssige Belastung der Mitglieder dargestellt wurde. Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der ohnehin gesetzlich geregelten Pflichtbeiträge noch einmal bestätigt und festgestellt, dass sie für die sachgerechte Arbeit der Kammern notwendig sind. Vor diesem Hintergrund wäre die Abschaffung sogar rechtswidrig.
Was haben Sie in Ihrer Amtszeit falsch gemacht?
Schües : Keiner von uns war und ist frei von Fehlern. Wir haben als Präses stets ehrenamtlich nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Leider haben wir es versäumt, insbesondere den Mitgliedern kleinerer und mittlerer Unternehmern zu verdeutlichen, was sie an der Kammer Gutes haben. Wir hätten den Populisten den Nährboden für den Ausgang der jüngsten Kammerwahl entziehen sollen. Die Lockangebote sind unterschätzt worden.
Der Kammerpräses ist demokratisch legitimiert – die Kammerrebellen haben 55 der 58 Sitze errungen …
Schües : Das ist völlig unstrittig. Vieles spricht dafür, dass die Wahlordnung defizitär ist und ergänzt werden muss. Dass fast nur noch Kleinunternehmen im Plenum vertreten sind, widerspricht dem von den höchsten Gerichten geforderten Prinzip, dass die Kammervollversammlung ein Spiegelbild der gesamten regionalen Wirtschaft bilden soll. Dieses Prinzip ist wird im derzeitigen Kammerplenum verletzt.
Sie kennen die Kammer von innen. Hören Sie noch viel von den Mitarbeitern?
Dreyer : Die Absicht, die Kammer sozusagen in ein reines Service-Center umzufunktionieren ist falsch und dürfte kaum den Interessen der Hamburger Wirtschaft entsprechen. Damit verbunden ist ein unverantwortlicher Mitarbeiterabbau. Unverantwortlich, weil mit jedem ausscheidenden Mitarbeiter Kompetenz und ein hohes Maß an Expertise verloren gehen. Die Situation führt bei vielen Mitarbeitern zu großer Verunsicherung. Aufgrund mangelnden Vertrauens in die Kammerführung greift die Sorge vor personellem Kahlschlag um sich. Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter darf sich unserer Solidarität gewiss sein.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist viel vom Streit in der Kammer die Rede, in öffentlichen Debatten scheint sie kaum noch vorzukommen ...
Dreyer : Das ist auch unsere Wahrnehmung. Aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs der Stadt hat sich die Kammer verabschiedet. Die Verantwortlichen scheinen so sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, dass ihnen offenbar schlichtweg die Zeit fehlt, zur Entwicklung der Stadt konstruktive Impulse an die Politik und in die Stadtgesellschaft zu senden. Zum Rückzug aus dem Dialog mit wichtigen Entscheidungsträgern passt auch der angekündigte Ausstieg aus der IHK Nord. Das ist ein völlig falsches Signal der Kammer. Es ist ein Bruch mit dem kraftvollen Miteinander der Kammern im Norden.
Wir sind in der Weihnachtszeit. Was macht Herr Bergmann denn gut? Oder zumindest richtig?
Dreyer : Grundsätzlich ist es richtig, Strukturen, Systeme und Schwerpunkte zu hinterfragen und immer wieder anzupassen. Oftmals allein aus Prinzip mit Traditionen zu brechen ist aber der falsche Weg. Das zeigt sich am Beispiel der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns, der das Kammer-Präsidium einen radikalen Traditionsbruch zumutet. Seit Jahrhunderten hat die Hamburger Wirtschaft in der VEEK gegenüber den Regierenden im Rahmen des rechtlich Möglichen Stellung bezogen – als kritischer Ratgeber mit konstruktiven Positionen. Dies sollte auch zukünftig gelten.
Lässt sich der tiefe Graben zwischen der alten Kammer und der neuen Kammer überwinden?
Schües : Wir sind jederzeit zum Dialog bereit, bieten uns als Ratgeber, Korrektiv oder auch als Vermittler an – was immer von uns gewünscht wird. Bislang haben wir jedoch nicht den Eindruck, dass dies gefragt ist.
Oder hoffen Sie auf die Neuwahlen 2019? Was ist dann noch von der Handelskammer übrig?
Schües : Das lässt sich heute noch nicht vorhersagen. Selbstverständlich hoffen wir darauf, dass das Plenum wieder zum Spiegelbild der gesamten Hamburger Wirtschaft wird. Die großen Arbeitgeber und Steuerbringer der Stadt sollen wieder eine kraftvolle, einflussreiche Stimme bekommen. Herr Bergmann und sein Präsidium werden sich vor der nächsten Wahl jedenfalls nicht wieder an ihren Parolen, sondern an deren Umsetzung messen lassen müssen.
Erinnern Sie sich, wann Sie das letzte Mal die Jahresabschlussrede versäumt haben?
Schües : Aus unserer Runde konnte sich jeder spontan erinnern, in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten immer dabei gewesen zu sein.