Hamburg. Täglich passieren seltsame Sachen im Norden. Randnotizen, die einen Blick wert sind. Eine aktuelle Auswahl von Nico Binde.
Die Farbe der Woche
Was hatten wir schon? Wir hatten die lila Kuh, lila Wolken, lila Pausen und den Li-La-Launebären. Auch Braunalgen und Blaualgen sind uns geläufig, aber ein lila Teich? Der ist neu. Er befindet sich in Elmshorn und schimmert derzeit so was von violett. Ein klarer Fall für die Soko „Schoko“ mit Chefermittlerin Milka Marzipan! Denn die anfangs von der Polizei vermutete „Gewässerverunreinigung“ ist gar keine. Umweltdetektive aus Pinneberg waren zunächst von frevelhaftem Fehlverhalten bei der Farbenentsorgung einiger Maler ausgegangen, zumal ganz in der Nähe Silikonkartuschen, Plastikeimer und Kachelreste gefunden worden waren. Auch dreistes Guerillamarketing eines Schokoladenherstellers konnte nicht ausgeschlossen werden. Doch nun ist klar: Das lilafarbene Kleingewässer geht auf die explosionsartige Entwicklung einer kälteliebenden Blaualgenart zurück. Der Fachbegriff für kälteliebend ist übrigens psychrophil. Die Li-La-Launealge befindet sich also in bester Gesellschaft mit mikrobiologischen Phänomenen wie dem „Blutschnee“ in Nordschweden und Lars, dem kleinen Eisbär.
Die Vollen der Woche
Äthylist, also Alkoholliebhaber, ist anscheinend ein Mann aus Bornhöved. Zumindest wirkte der 52 Jahre alte Hobbygärtner zum Wochenbeginn am Steuer seines Aufsitzrasenmähers so berauscht, dass Nachbarn unruhig wurden. Einer von ihnen stoppte die Unsicherheitsfahrt und nahm den Schlüssel des Wiesentrimmers an sich. Der Besitzer versuchte zwar, das Gerät mit einem Taschenmesser erneut zu starten (um in Schrittgeschwindigkeit zu fliehen?), scheiterte aber. Kleiner Trost: Das gelingt den wenigsten mit 2,05 Promille. Noch mehr getankt hatte nur ein Frachterkapitän im Nord-Ostsee-Kanal: Er navigierte seinen Kahn mit 3,29 Promille, offiziell gemessen von der Polizei. Bemerkenswert, einerseits. Illegal, andererseits. Für die Vorentscheidung zur Trunkenheitsfahrt der Woche reichte es. Die Nachentscheidung trifft ein Gericht.
Das Fundstück der Woche
Ganz ohne Rauschmittel war eine Videokamera wochenlang auf Zickzackkurs. Das Gerät kam Anfang September an der britischen Küste mit der Flut abhanden, driftete quer über die Nordsee, zeichnete dabei weiter fleißig auf und wurde am 2. November, nach zwei Monaten und 900 Kilometern auf See, an die nordfriesische Hallig Süderoog gespült. Was folgte, war Detektivarbeit. Mit den Aufnahmen der Kamera, aufwendigen Strömungsmodellen und ozeanografischem Fachwissen rekonstruierte ein ganzer Expertenstab den Tathergang und fahndete nach dem Besitzer der Actionkamera. In dieser Woche nun konnte ein englischer Junge namens William ermittelt werden. Sein Vater wandte sich an die Halligbewohner, nachdem britische Medien (und das halbe Internet) das Videomaterial der Kamera-Flaschenpost verbreitet hatten. Und nun sage noch einer, im Informationszeitalter sei alles schlecht. Abgesehen davon, dass wasserdichte Actioncams offenbar jeden Cent wert sind.
Die Tiere der Woche
Am Grund der Nordsee spielen sich derweil Dramen ab. Es grassiert akuter Futterneid unter Schollen, einige sind schon platt wie Flundern. Der Goldbutt leidet nämlich an Anorexia nervosa, teilte der Deutsche Fischereiverband mit. Magersucht! Schon unter Dreijährigen! Schollen in diesem Alter hätten 2003 noch mehr als 200 Gramm gewogen, jetzt bringen sie nur 100 Gramm auf die Waage – der Goldbutt in der Krise. Was klingt wie ein Regionalkrimi aus Cuxhaven, ist real besorgniserregend. Denn Schuld ist ausnahmsweise nicht der Klimawandel, sondern der üppige Bestand und das dürre Nahrungsangebot. Einfache Lösung der Fischer: mehr Schollen fangen. Kleines Problem: Der Internationale Rat für Meeresforschung hat gerade die Absenkung der Fangmenge um 36 Prozent empfohlen. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.
Das Igitt der Woche
Hier Unterfischung, da Überproduktion: Der Boden ist nass, und die Tiere sind zahlreich, sodass bei vielen Bauern akuter Gülleüberschuss herrscht. Aber wohin mit dem Mist, wenn er nicht aufs feuchte Feld kann? Ähm, also, warte mal, lass uns kurz überlegen, mögen sich Spaßvögel in dieser Woche gedacht haben, bevor sie zur niedersächsischen Landesgeschäftsstelle der AfD nach Lüneburg gefahren sind, um das Haus nicht nur mit Farbbeuteln einzudecken, sondern auch „mit Gülle zu verunreinigen“, wie ein Polizeisprecher formulierte. Nun müffelt es erstens, ermittelt zweitens der Staatsschutz und sinnt drittens die AfD auf Rache. Ihr Landesvorsitzender Paul Hampel sagte nach dem Gülle-Gate: „Viele, vor allem junge Mitglieder, wollen das nicht länger hinnehmen.“ Es bedürfe oft viel Überzeugungskunst, sie von „Revancheaktionen“ zurückzuhalten. Rache ist Blutwurst – und stinkt.
Die Angst der Woche
Von Aktionen per Post sollten die „Revanchisten“ der AfD in diesen Tagen vielleicht besser Abstand nehmen. Seit ein DHL-Erpresser den Konzern und seine Kunden ängstigt, kann jede unsauber verpackte Grußbotschaft eine mittelschwere Panikattacke auslösen. Ein Reinbeker hat nun die Polizei alarmiert, weil sein Paket verschmiert war und merkwürdig roch. Nachdem der Kampfmittelräumdienst Sprengstoff ausschließen konnte, öffneten Feuerwehrleute in Schutzanzügen die Sendung im Hinterhof der Wache – und fanden: eine vom Adressaten bestellte LED-Lichterkette. Weihnachten ist gerettet.
Der Job der Woche
Dass Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) als Krisenmanager zum Paketdienst DHL wechselt, ist natürlich Quatsch. Ein halbes Jahr nach seiner Wahlniederlage soll der 54-Jährige als Unternehmens-Repräsentant fungieren, und zwar außerhalb der Gefahrenzone, in Brüssel. Albig ist hochmotiviert, überschwänglich diktierte er den Agentur-Kollegen seinen Umzugstermin: „Ich sofort – der Rest nach den Schulferien.“ Wenn die Familie zum „Rest“ wird, hat man sich bei fortschreitender „Gazpromisierung“ der SPD den Titel „Vice President Corporate Representation Brussels“ redlich verdient. Aber: Wo ist eigentlich Gerhard Schröder, wenn man ihn braucht? Ach, der hat zu tun. Als was? Aufsichtsratsvorsitzender. Und wo? Beim russischen Energiekonzern Rosneft. Keine weiteren Fragen.
Der Tipp der Woche
Fast so erfreulich wie die gesicherte berufliche Zukunft des ehemaligen SPD-Spitzenpersonals ist eine Mitteilung der Verbraucherzentrale Mecklenburg-Vorpommern in der Vorweihnachtszeit. Demnach können Kinder täglich bedenkenlos bis zu sechs Zimtsterne essen. Na prima, mögen Eltern jetzt einwenden, aber das haben wir schon vorher gewusst. Die Frage ist ja eher: Dürfen die das? Und auch darauf lautet die beruhigende Antwort. Ja. Zimt enthalte zwar den leberschädigenden Aromastoff Cumarin. Bei 15 Kilogramm Kind sind täglich 30 Gramm Zimtstern oder 100 Gramm Lebkuchen aber völlig in Ordnung, so das Bundesinstitut für Risikobewertung. Um auf Weihnachtsmärkten nicht in die drohende Zimtabhängigkeit und die unweigerlich folgende Beschaffungskriminalität zu rutschen, wird Suchtgefährdeten empfohlen, bei exzessivem Konsum auf den schonenderen Ceylon-Zimt zu achten. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Weihnachtsbäckereifachangestellten.
Das Wiedersehen der Woche
Einmal nicht aufgepasst hatte vor sechs Jahren Juliane Hasselmann aus Hannover und zack, verlor sie beim Umzug ihren schwarz-weißen Kater „Snoopy“ (wobei noch zu klären wäre, ob sich „Snoopy“ nicht absichtlich verlieren ließ). Ein halbes Katzenleben lang schlug sich der Kater fortan allein durch, bis seine Besitzerin angerufen wurde. Eine Frau hatte das Haustier aufgegabelt und zum Tierarzt gebracht, wo der implantierte Chip des Katers zur alten Halterin führte. Nach dem Wiedersehen habe sie „die ganze Heimfahrt geweint“, sagte die 27 Jahre alte Frau. Wohl auch im Wissen, dass sich die beiden in sechs Jahren Trennung auseinandergelebt hatten. Als würde der Ex-Freund, der sich damals nur kurz Zigaretten holen wollte, plötzlich wieder vor der Tür stehen. Deshalb lebt der um einige Ohrmacken und Freiheitserfahrungen reichere, inzwischen zehn Jahre alte Kater nun bei Mutter Hasselmann.
Die Einfuhr der Woche
Bei dieser veterinärmedizinischen Gelegenheit muss darauf hingewiesen werden, dass es verboten ist, Antilopen-Fleisch nach Deutschland im Allgemeinen und Hannover im Besonderen einzuführen. Das hatte ein 46 Jahre alter Kongolese in dieser Woche versucht. Auch die sterblichen Überreste eines westafrikanischen Stachelschweins sind bei ihm gefunden worden, teilte der Zoll der niedersächsischen Landeshauptstadt mit. Insgesamt zehn Kilogramm ungekühltes Fleisch wurden in Plastiktüten gefunden. Für die Zukunft können sich Feinschmecker hinter die Antilopen-ohren schreiben: Eigenbedarf hin, möglicherweise leckere Spezialitäten her – das Fleisch artengeschützter Tiere darf nur mit entsprechenden Dokumenten befördert werden. Eiserne Zollvorschrift.
Der Polizeieinsatz der Woche
Meppens Polizei scheint entweder gnadenlos unterfordert oder sich für nichts zu schade zu sein. Nachdem einem vier Jahre alten Jungen namens John das Kinderrad mit der Aufschrift „Police“ gestohlen wurde, schalteten die Beamten an der Ems einen Zeugenaufruf: „Auffälliges Polizeifahrzeug entwendet“. Das für die Verbrecherjagd speziell ausgerüstete 14-Zoll-Einsatzfahrrad sei von einem Hinterhof verschwunden, so die offenbar vom Sinn für Humor nicht ganz freizusprechenden Beamten in ihrer Mitteilung. Die Polizei schließe einen Racheakt nicht aus. „Möglicherweise sollten Johns aktuelle Ermittlungen gegen zwei rivalisierende Kita-Gangs erschwert werden.“ So jung, und schon so organisiert kriminell. Good luck, John-Boy!
Der Protest der Woche
Hanstedt hat Angst vor Touristen. Nicht vor allen, aber vor denen aus dem anscheinend boomenden Zweig des Pferdeverbrennungstourismus. Ein Betreiber von Tierkrematorien will im niedersächsischen Ort, also dem Hanstedt in der Nordheide, nicht dem bei Wildeshausen, Uelzen oder Breddorf, eine Verbrennungsanlage für Pferde bauen. Dagegen macht die Gemeinde (in der Nordheide) mobil – mit Plakaten und einer Bürgerinitiative. „Die Bürger befürchten, dass durch das Einäschern der Pferde Schadstoffe, Dioxine und Flurane in die Luft gelangen“, sagt Bürgermeister Gerhard Schierhorn. Das Gewerbegebiet, in dem das geplante Krematorium gebaut werden soll, grenze dicht an Wohngebiete. Was aus dem Schornstein der Verbrennungsanlage kommt, sei nach Betreiberinformationen allerdings unterhalb der Grenzwerte. Die Toleranzgrenzwerte der Hanstedter sind anscheinend nicht gemeint. Denen sind längst die Gäule durchgegangen.