Hamburg. Freizeittrend aus Japan wird immer beliebter. Wie schwer es wirklich ist, sich unter Zeitdruck aus einem Raum zu befreien.
Das Licht flackert. Von der Decke hängen Sauerstoffmasken, auf dem Boden liegen Koffer verstreut. Wir stehen in einem Flugzeugwrack mitten im Dschungel. Zwar ragen durch den Notausgang Lianen und Blätter in den Rumpf, aber der Weg in den Urwald ist versperrt. Wir sitzen fest. Und haben nur 60 Minuten Zeit, um unsere Mission zu erfüllen. Aber wie zum Teufel kommen wir hier raus?
Rätsel lösen, Hinweise finden, Codes knacken – darum geht es beim „Escape Room“. Der Freizeittrend aus Japan wird immer beliebter in Deutschland. Allein in Hamburg bieten 16 Unternehmen das Detektivspiel für Erwachsene an. Die Aufgabe: Innerhalb einer Stunde muss eine Spielgruppe aus einem Raum fliehen. Damit das gelingt, müssen zwei bis sieben Spieler verschiedene Rätsel lösen. Kinder dürfen erst ab 16 Jahren ohne eine erwachsene Begleitperson mitspielen. Die Preise gehen bei 70 Euro pro Partie los. So weit, so gut. Die Theorie ist simpel. Aber wie schwer ist es wirklich, sich aus einem Raum unter Zeitdruck zu befreien? Mit meinen Abendblatt-Kollegen habe ich es bei „Adventure Team“ in Altona getestet.
Unklar, was einen genau erwartet
nsere Mission: Wir sind die „Time Doctors“, die das Raum-Zeit-Gefüge retten sollen. Um eine Zeitmaschine zu reaktivieren, müssen wir Energiekugeln finden. An diese gelangen wir nur, wenn wir in vier Durchgangsräumen Aufgaben lösen. Mehr darf nicht verraten werden.
Ganz ehrlich: Ich bin komplett überfordert. Genauso wie meine Kollegen Sandra und Björn war ich noch nie in einem „Escape Room“ und weiß auch nur vage, was mich erwartet. Bis auf Monopoly-Abende mit Freunden bin ich nicht gerade eine begeisterte Zockerin.
„Die Mission hat eine Erfolgsquote von 60 Prozent“, sagt Spielleiter Christian. Na toll. Der Druck steigt. Die „Time Doctors“ werden erst seit zwei Wochen angeboten. Ein halbes Jahr hat es gedauert, den Raum aufzubauen. Die bisherige Bestzeit liegt bei 45 Minuten. Aber für Anfänger wie uns geht es nicht darum, die Rätsel am schnellsten zu lösen. „Der Spaß ist das Wichtigste“, sagt Christian, bevor er uns endgültig im ersten Raum alleine lässt. Die Uhr tickt.
Man verliert jegliches Zeitgefühl
Es riecht nach Kaffee. Säcke voller Bohnen stapeln sich neben Truhen und Fässern. Möwen kreischen. Wie angewurzelt bleibe ich stehen, beeindruckt von der Kulisse. Sandra und Björn marschieren sofort los. „Da sind Kugeln!“, ruft Sandra. Ich wühle in einer Truhe, krieche in einen Geheimgang und taste den Boden ab. Dabei verliere ich jegliches Zeitgefühl.
„Adventure Team“ ist ein Familienunternehmen. Daniel Scholz (37) hat vor drei Jahren seinen ersten „Escape Room“ eröffnet und führt das Geschäft mit seinem älteren Bruder Manuel (44). Alle Rätsel haben sich der Ingenieur und der Doktor der Informatik selbst ausgedacht. „Die beiden waren schon immer Spielefreaks“, erzählt Vater Lutz. Der 76-Jährige bastelt während unseres Besuchs in seiner Werkstatt. Der gelernte Werkzeugmacher in Rente baut die Kulissen der Spielstätten.
Der nächste Raum ist eine Kirche
m nächsten Raum befinden wir uns in einer dunklen Kirche. Die Wände sind aus Stein. Sogar ein Fenster aus Buntglas und die Spitze des Dachs wirken originalgetreu. Irre. Mittlerweile bin ich voll drin in meiner Rolle als Wissenschaftlerin. „Ich fühle mich wie in einer anderen Welt“, sagt Björn und untersucht einen Beichtstuhl. In jedem Raum ist uns ein zeitliches Limit gesetzt. Bis es abgelaufen ist, bleibt die Tür zu.
Unser Team harmoniert. Neben Geschicklichkeit und Logik ist Kommunikation – ja, das sollten wir Reporter können, – die wichtigste Voraussetzung, um Aufgaben zu entschlüsseln. Zunächst teilen wir uns auf unterschiedliche Ecken auf. Findet einer von uns einen entscheidenden Hinweis, diskutieren wir gemeinsam über eine Lösung. Anders funktioniert es nicht. Jeder muss mit anpacken. Im Alleingang hat es noch niemand rechtzeitig aus dem „Escape Room“ geschafft.
Der Spielleiter hilft mit Denkanstößen
Während ich mich fühle wie Sherlock Holmes, funkt mich Spielleiter Christian über ein Walkie-Talkie an. Er überwacht jeden unserer Schritte über Videokameras. Wenn wir nicht weiterwissen (und das passiert öfters), gibt er uns Denkanstöße, ohne dabei zu viel zu verraten.
Ursprünglich wurden „Escape Games“ am Computer gespielt. Die Japaner waren die Ersten, die das Spiel in echte Räume übertragen haben. Der Trend geht so weit, dass es sogar Meisterschaften gibt. Erst im Oktober wurde der „Escape Game Meister“ in Hamburg gesucht.
Wir lösen die Aufgabe am Ende doch
Hier stehen wir also, im Flugzeugwrack im Dschungel. Unserem dritten Raum. Draußen brüllen die Affen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass wir uns tatsächlich mitten im indonesischen Regenwald befinden. „Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragt Sandra mit einer aufgeblasenen Rettungsweste in der einen und einem Aktenkoffer in der anderen Hand. Wir haben keinen blassen Schimmer. Erst im letzten Raum, in den wir durch den von Blättern und Lianen bewucherten Notausgang gelangen, hängt eine Uhr an der Wand. „Verdammt!“, brüllt Björn. Uns bleiben nur noch sechs Minuten, um das Raum-Zeit-Gefüge zu retten. Unsere Bewegungen werden hektischer, aber auch fokussierter. „Wie sollen wir das schaffen?“, fragt Sandra. 37 Sekunden vor Schluss haben wir unsere Aufgabe gelöst. Wir schnaufen durch.
Euphorisch verlassen wir den Raum. Tageslicht lässt uns blinzeln. Dürfen wir noch einmal spielen?