Hamburg. Die SPD wirft der Volksinitiative zum Grünschutz vor, höhere Mieten zu provozieren. Die Grünen sehen das Anliegen durchaus positiv

So richtig logisch war die Idee dann doch nicht. Als der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) am Donnerstag in seiner Zentrale die Volksinitiative zum Grünschutz präsentierte, verteilte er an alle Journalisten ein kleines knallgrünes Kressebeet in einem Pappkarton. Darin steckten Logo und Slogan seines Wald-und-Wiesen-Beschützer-Projekts: „Hamburgs Grün erhalten!“ Was aber soll man mit Kresse anfangen, die man erhalten soll und sich nicht aufs Quarkbrot schnippeln darf?

Nabu-Chef Alexander Porschke nahm entsprechende Sprüche mit Humor – danach aber machte er Ernst. Die Politik sei dabei, Hamburg in eine „Betonwüste“ zu verwandeln, behauptete der frühere Grünen-Umweltsenator. Der rot-grüne Senat habe sogar „die Not der Flüchtlinge genutzt, um in Tabubereiche vorzudringen“ und Landschaftsschutzgebiete zu bebauen. Die Hamburger Regenten forcierten das Wachstum immer weiter, obwohl doch klar sei, dass die Fläche in einem Stadtstadt begrenzt sei. SPD-Bürgermeister Olaf Scholz habe gesagt, er wolle nie wieder aufhören, in Hamburg Wohnungen zu bauen. Wo die alle stehen sollen, habe er allerdings nicht verraten.

Bleibt also in den Augen des Nabu nur eins, um Hamburg vor dem Ergrauen in Beton zu retten: Die Bürger müssen massenhaft die am Donnerstag angemeldete Volksinitiative des Nabu unterstützen. Darin nämlich wird der Senat aufgefordert, „darauf hinzuwirken, den Anteil des Grüns in Hamburg zu erhalten“. Das ist zwar eine windelweiche Formulierung, an die sich weder Senat noch Bürgerschaft gebunden fühlen müssten. Aber die zunächst geplante Forderung nach Festschreibung des aktuellen Grünanteils wäre wohl mit Bundesrecht kollidiert und daher vom Verfassungsgericht kassiert worden.

Nabu strebt Volksentscheid parallel zur Wahl 2020 an

„Das Ganze hat jetzt eher Petitionscharakter“, konstatiert Manfred Brandt vom Verein Mehr Demokratie, der Hamburgs Volksgesetzgebung mit gestaltet hat. „Es wird aber eine öffentliche Diskussion erzwungen. Das ist legitim und wichtig für die Meinungsbildung.“ Sollte der Nabu die jetzt nötigen 10.000 Unterschriften und 2019 auch die 65.000 für ein Volksbegehren zusammenbekommen und einen Volksentscheid zur Bürgerschaftswahl 2020 erreichen, dürfte er damit ein zentrales Wahlkampfthema setzen: die Debatte, wohin sich die Stadt in den kommenden 20 Jahren entwickeln soll. Das aber ist ein Thema, das wie ein Spaltpilz in der rot-grünen Koalition wirken könnte.

Denn natürlich können die Grünen nicht anders, als das Grundanliegen des Nabu prinzipiell zu unterstützen. „Wir halten die grundsätzliche Linie der Volksinitiative daher für legitim“, sagte der Grünen-Umweltsenator Jens Kerstan am Freitag. Schon in der von ihm angestoßenen Debatte, ob Hamburg zu einer echten Weltstadt wachsen müsse, hatten Kerstan und Nabu-Chef Porschke sich gemeinsam gegen die Forcierung weiteren Wachstums positioniert. Es gehe mehr um Lebensqualität denn um Größe, so der Tenor der beiden Männer, deren Lebenläufe sich wie Spiegelbilder voneinander lesen: Während Kerstan viele Jahre Chef des Umweltverbands GÖP war und dann Umweltsenator wurde, war Porschke erst Umweltsenator und ist jetzt Chef des Umweltverbands Nabu.

Die SPD dagegen hatte stets betont, dass Wachstum auch Wohlstand bedeute und der Zuzug gar nicht steuerbar sei. Deswegen gehe es darum, das Wachstum zu gestalten – etwa dadurch, dass man für ausreichend bezahlbaren Wohnraum sorge. Auch das Nabu-Projekt begleiteten die Genossen von Beginn an mit scharfer Kritik. Es drohe eine „soziale Spaltung“, wenn der Wohnungsbau durch eine Art ökologische Käseglocke beschränkt werde und die Mieten dadurch stiegen, hatte etwa SPD-Fraktionschef Andreas Dressel kritisiert. Nachdem der Nabu nun eine weichere Formulierung für seine Initiative gewählt hat, nimmt zwar auch Dressel die Schärfe heraus und betont nur noch: „Wir gehen mit sehr guten Argumenten in diese öffentliche Debatte.“ Unklar ist dabei allerdings, wen er mit „wir“ meinen könnte. Denn vor allem die Grünen können sich im Wahlkampf 2019/20 wohl kaum offen gegen ihre Freunde vom Nabu positionieren. Dass es SPD und Grünen schwerfällt, eine gemeinsame Haltung zu Porschkes Projekt zu finden, zeigte sich am Donnerstag nach der Nabu-Pressekonferenz. Erstmals seit Langem verschickten die Koalitions-Fraktionen unterschiedliche Pressemitteilungen. Bisher hatten sie fast immer identische Meldungen zu allen möglichen Themen versandt.

Kaum belastbare Daten über Ausmaß des Grünverlusts

Dabei ist die politische Gefechtslage auch an anderen Punkten unübersichtlich. So gibt es nicht einmal wirklich belastbare Daten darüber, wie viel hochwertiges Grün in den vergangenen Jahren überhaupt verloren gegangen ist. Die 186 Hektar pro Jahr, von denen der Nabu spricht, beinhalten laut Umweltbehörde nämlich nicht nur versiegelte Flächen, sondern auch Parkfriedhöfe oder Straßenbegleitgrün – und im Zweifel jahrelang mit Glyphosat besprühtes Ackerland. Selbst manche Grüne weisen darauf hin, dass der Grünschwund in Hamburg laut Studien nach Bremen bundesweit am geringsten sei.

Unklar ist auch, welche Bündnispartner Porschke und sein Nabu finden. BUND-Chef Manfred Braasch kündigte zwar am Freitag an, dass man die befreundeten Konkurrenten vom Nabu unterstützen wolle. Nicht sicher ist aber, wie sich die 33.500 Hamburger Kleingärtner positionieren. Der Nabu hätte sie gerne im Boot und hat sie in der Fragestellung genannt. Der Chef des Landesbunds der Gartenfreunde, Dirk Sielmann, ist allerdings SPD-Mitglied und Bezirkspolitiker – auch wenn er betont, dass er nur „ehrenamtlich“ Politiker sei und hauptamtlich die Interessen seiner 43.000 Mitglieder vertrete. Ob die aber alle etwas von der Volksinitiative hätten, sei unsicher. Denn ein großer Teil der Kleingärten sei offiziell nicht als Grünfläche ausgewiesen. Auch das zeigt, wie wacklig die statistische Grundlage der Diskussion ist.

Am einfachsten für Rot-Grün wäre es, wenn das „A-Team“ aus SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks auch diese Initiative im Vorwege mit einem Kompromiss wegmoderieren könnte. Bevor die beiden antreten, muss der Nabu aber erst beweisen, dass wirklich genug Hamburger hinter seiner Initiative stehen. Dafür wollen die Naturschützer auch das Weihnachtsgeschäft nutzen. Bis Heiligabend sammeln sie Unterschriften in der Mönckebergstraße.